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Ausgabe:

1934 Nr. 6

Spalte:

105-106

Titel/Untertitel:

Die Philosophie des Als Ob und das Leben 1934

Rezensent:

Kesseler, Kurt

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Seite 1

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105

Theologische Literaturzeitung 1934 Nr. 6.

106

Anknüpfend an den in der Erkenntnis erfaßten Wert
der Wahrheit wird weiter gezeigt, daß neben den Seins-
Gesetzen des Lebens die Sinn - Gesetze, die Werte,
gelten. In ihnen werden unserem Leben Aufgaben gestellt
, deren Lösung ihm erst Sinn verleiht und die
Natur zur Kultur gestaltet. Die 4 Wertgebiete des Wahren
, Schönen, Guten und Heiligen werden abgezeichnet,
wobei die Bestimmung des Religiösen doch stark problematisch
und anfechtbar ist: „Im Bewußtsein dieser
Abhängigkeit des Wirklichen vom Überwirklichen
liegt das religiöse Bewußtsein". Von hier fällt der
Blick auf die Geschichte, die als Band zwischen Zeit
und Ewigkeit, zwischen Wert und Wirklichkeit verstanden
wird.

Die Schrift tut, was sie kann, um Philosophie
volkstümlich zu machen. Sie hat natürlich die Grenze,
daß Wissenschaft und Volkstümlichkeit in einem gewissen
dialektischen Gegensatz stehen. Sie hat noch
eine andere Grenze: Sie ist von einem philosophischen
Standpunkt aus geschrieben, von dem sich die heutige
Geisteshaltung abgewendet hat. Von den großen Problemen
der Gegenwart, die sich in philosophischen Be-
gi iffen wie Existenz, konkrete Situation, vom-andern-her-
Soin, Anspruch, Entscheidung, usw. anmelden, wie von
der großen Wendung in der Theologie unserer Tage
hört man in dieser hochidealistischen Schrift nichts.
In der Betonung des völkischen Charakters der Kultur
klingt allerdings ein sehr wirklichkeits- und gegenwartsnaher
Ton auf. Von hier wird eine ganz neue
philosophische Problematik aufsteigen, die nicht in Wert
und Wertverwirklichung, sondern in der Erfüllung der
konkreten Situation von Raum, Volk und Staat, also
nicht im Menschen im allgemeinen, sondern in dem
Menschen in Raum und Zeit ihre Probleme und ihre
Aufgaben sieht. Es wird also an die Stelle des idealistischen
das existenzielle Denken treten.

Düsseldorf. Kurt Kessel er.

Die Philosophie des Als Ob und das Leben. Festschrift zu
Hans Vaihingers 80. Geburtstag hrsg. von A.Seidel m. Beiträgen
anderer. Berlin: Reuther & Reichard 1932. (VIII, 248 S. m.
1 Bildn.) gr. 8°. RM 10-.

Die Beiträge suchen von den verschiedensten Seiten
an die Probleme der Als-Ob-Philosophie heranzukommen
, von der Naturphilosophie, der Statistik, der
Nationalökonomie, der Erkenntnistheorie usw. Auffallend
und interessant ist es, in wie hohem Maße, nämlich
in 5 Vertretern, sich Theologen an der Mitarbeit beteiligt
haben: Niebergall, Bruhn, Kiefer, Fuchs, Sperl.
Niebergall mißt die „Bekenntnisse einer schönen Seele"
an der Als-Ob-Theorie und sucht letztlich im Zerbrechen
der intellektuellen Stützen für die Religion die
entscheidende Bedeutung der Als-Ob-Theorie. Ganz ähnlich
finden Bruhn und Fuchs die Bedeutung des Fiktionismus
in dieser Vernichtung der intellektualisierteu
Religion. Bruhn baut den Gedanken in große philo-
sophiegeschichtliche Zusammenhänge ein und führt j
über Sokrates, Kant und besonders Cartesius zu der
Erkenntnis: „Wollen wir zur Lebenswirklichkeit des j
Menschen gelangen, so haben wir der unmittelbaren j
Lebensbesinnung zu folgen, welche durch die Sphären
des Wahrnehmens, Denkens, Erkennens hindurchstößt."

Fuchs bezeichnet das Als Ob, nämlich „die Er- !
kenntnis vom symbolischen Charakter aller religiösen
Aussaßen" als den „immer notwendigen Schutz der
Frömmigkeit gegen ihre Vernichtung durch den Begriff."
Die Gefahren, die vom Als Ob her für die Religion
aufsteigen, hat Kiefer klar gesehen. Es ist durchaus
richtig beobachtet, wenn er im theologischen Denken
Barths eine Linie findet, die zur Negierung des reli- !
giösen Gegenstandes hinführt. Er gibt Siegfrieds Auffassung
Recht: „Auch Barth falle unter Feuerbachs i

Verdikt,......in der Angst vor der Illusion operiere

er mit einer Erschleichung nach der anderen und mit
einem Scheinerweis gegen den anderen". Meines ErachL

tens wird aus dem allen deutlich, was ich bereits vor
etwa 15 Jahren gesagt habe, daß die Als-Ob-Philosophie
als kritischer Warner vor aller intellektualistischen Überspannung
ihre Bedeutung hat, daß sie aber, auf die
I Wahrheitsfrage gerichtet, die Religion mit Vernichtung
| bedroht. Im letzten Sinne wird sie aber nur allzu leicht
! verstanden werden, ist sie wohl auch von Vaihinger ge-
| meint. Die Äußerungen in der vorliegenden Schrift kön-
I nen dieser Gefahr vielleicht entgegenwirken.

Düsseldorf. Kurt Kessel er.

Oassert, Dr. Karl Georg: Psychologie der Kindes- und Jugendreligion
. Versuch einer psychologischen Grundlegung der
Methodik des Religionsunterrichtes. Bühl: Konkordia 1932. (141 S.)
Kr. 8°. RM 3.50.

Die Schrift enthält in ihrem umfangreichen ersten
! Teil eine ausführliche und beachtenswerte psychologische
I Analyse der Kindes- und der Jugendreligion, für die in
gleicher Weise Bekenntnisse aüs beiden Konfessionen
j herangezogen werden. Weitgehend ist die Fragebogenmethode
angewendet worden, so für die Beobachtung
des Gebetslebens, die Beteiligung an Gottesdienst und
Sakrament, die kritische Haltung gegenüber der Religion
usw. Die meist Befragten sind wohl Schüler
aus der Volks- und Berufsschule gewesen. Bei einzelnen
Ergebnissen hält man tief erschrocken still: In
83% aller Fälle ist die sexuelle Aufklärung durch Kameraden
erfolgt.

Der etwas knappere 2. Teil zeigt die Folgerungen
für den Religionsunterricht, besonders für die Berufsschule
, in der der Verfasser anscheinend am meisten
zu Hause ist. Man hätte in diesem Teil eine strengere
Auswertung des im ersten Teil gewonnenen Materials
gewünscht. Die Darstellung des Verfassers bewegt sich
aber weithin in allgemeinen Betrachtungen, die man auch
ohne das Material des ersten Teils aufrollen kann und
aufgerollt hat, und kommt wohl hauptsächlich infolge
dieser zu losen Beziehung auf den ersten Teil vielfach
auch auf allgemein - psychologische neben den religiös
- psychologischen Dingen zu sprechen. Durchaus
stimme ich der Grundhaltung zu, die sich von übersteigertem
Optimismus und Pessimismus fernhält: Man
kann und soll nicht zuviel vom Religionsunterricht venlangen
, aber er kann doch allerhand leisten; und wenn
er Verständnis und Ehrfurcht gegenüber der Religion
geweckt hat, dann hat er viel erreicht.

Besonders wertvoll sind in diesem Buch auch die
verhältnismäßig kurzen Betrachtungen über den Einfluß
des religiösen Milieus. In einem Zeitalter wie
dem unseren, das so stark vom Individualismus abrückt
, ist es wichtig, daß die soziologischen Einflüsse
klar gesehen und hoch gewertet werden. Religion
wächst nicht in der kalten Luft individualistischer Selbstherrlichkeit
, ihre Wirklichkeit ist das voin-andern-her
Sein, die Aufeinanderbezogenheit der Menschen. Danach
hängt für die religiöse Entwicklung sehr viel von der
Gesundheit der „Atmosphäre", besonders in der Familie
, ab. Wiederum gebe ich dem Verfasser Recht,
wenn er eine religiös gemäßigte, also weder eine kalte
noch eine überhitzte Atmosphäre, als den besten Boden
für das Wachsen der kindlichen und jugendlichen Frömmigkeit
ansieht.

Düsseldorf. Kurt K e s s e 1 e r.

Hasse, Prof. Heinrich: Schopenhauers Religionsphilosophie

und ihre Bedeutung für die Gegenwart. 2. Aufl. München: E. Reinhardt
1932. (49 S.) gr. 8°. RM 1.50.
Die kleine Schrift enthält auf 17 Seiten eine kritische
Auseinandersetzung mit Schopenhauers Religionsphilosophie
, der ein Anhang und Anmerkungen von 30 Seiten
beigegeben sind, die die einzelnen Ausführungen aus
Schopenhauer belegen und in die religionsphilosophische
Problematik der Gegenwart einordnen. Der Verfasser
stimmt Schopenhauer darin zu, daß das philosophische
Wissen dem religiösen Glauben gegenüber die überge-