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Ausgabe:

1934 Nr. 4

Spalte:

71-75

Autor/Hrsg.:

Caspar, Erich

Titel/Untertitel:

Geschichte des Papsttums 1934

Rezensent:

Wagenmann, Julius

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Theologische Literaturzeitung 1934 Nr. 4.

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seiner eigentümlichen Sprache wieder, so z. B. Mk.
10,15 in Joh. 3, 3. Die Diskussionen bei Joh. glichen
den rabbinischen Diskussionen. Freilich benutze der
Evangelist ein Herrenwort oft, wie Philon ein alttest.
Gotteswort, wie einen Text, den er targumartig interpretiert
. — Dieser Abschn. ist in seiner ausgesprochen
apologetischen Haltung der schwächste des Buches. Die
wirkliche Problematik wird nicht aufgewiesen, ja vielmehr
zugedeckt. Die nach J. Drummond im App. F
gegebenen Beispiele für Logien Jesu bei Joh. können,
von verschwindenden Ausnahmen abgesehen, in Wahrheit
nur den tiefen Unterschied der joh. und der synopt.
Jesusworte beweisen. Eine wirkliche Analyse des Stiles
wird vom Verf. nicht gegeben. Wenn unter den
sachlichen Parallelen, die zwischen joh. und synopt.
Jesusworten bestehen, Joh. 5,23 / Mt. 10,40 oder Joh.
14,13 f.; 16,23/Mk. 11,24 par.; Mt. 7,7 par.; oder
Joh. 15,14 / Mt. 12,50 erscheinen, so läßt das jeden
kritischen Sinn vermissen. Und wenn der Verf. in
den Fällen, wo es sich um wirkliche Parallelen handelt
, auf die eigentümliche Umsetzung des synoptischen
Wortes in die joh. Sphäre nicht ausdrücklich eingeht,
so ist das Problem eben nicht entwickelt.

Im vierten Abschn., „der vierte Evangelist, seine
Botschaft und ihr bleibender Wert", verzichtet der Verf.
nach kurzem Überblick über die Tradition (dazu vgl.
App. A) freilich darauf, in dem Lieblingsjünger, den
er mit dem Zebedaiden gleichsetzt, den Evangelisten
zu finden. Aber er bemüht sich, diesen zum Schüler
jenes zu machen. In der Charakteristik der „Bot- i
schaft" des Joh. betont er wieder mit Recht, welchen
Wert der Evangelist auf die reale Geschichte legt,
und bemüht sich dann, die Auffassung der Vaterschaft
Gottes bei Joh. als mit der des synopt. Jesus übereinstimmend
zu erweisen. Ein kurzer Überblick über die
joh. Gedanken vom Kampf zwischen Licht und Finsternis
, vom Gericht, vom Kreuz, vom Geist und vom
Liebesgebot ist in so allgemeinen Zügen gegeben, daß
die Problematik des Verhältnisses zur synopt. Predigt
Jesu nicht hervortritt. — Den bleibenden Wert des
Joh. sieht der Verf. in dem, was er die mystische
Auffassung von Lehre und Leben Jesu nennt. Er versteht
darunter, daß die Verkündigung aus der jüdischen
„Zeit-Perspektive" gelöst sei, daß die Lehre von der
Wiederkunft Jesu aus der Sprache der jüdischen Apo-
kalyptik in die Sprache einer „mystical fellowship" übertragen
sei, und daß der Logosbegriff dem Gedanken
der geschichtlichen Offenbarung dienstbar gemacht sei.
In der Lehre vom Geist, der im Zeugnis der Kirche
frei fortwirkt, rechtfertige sich das Evg. selbst.

Ist das Buch in seinen beiden ersten Teilen ein
verdienstlicher Beitrag zur Erforschung des vierten Evg.,
so kann Gleiches vom dritten Teil wegen seiner unkritischen
Haltung leider nicht gesagt werden.
Marburg. R. B u 11 m a n n.

Caspar, Erich: Geschichte des Papsttums von den Anfängen
bis zur Höhe der Weltherrschaft. I. Bd.: Römische Kirche und
Imperium Romanum. Tübingen: J. C. B. Mohr 1930. (XV, 633 S.)
gr. 8°. RM 32—; geb. 36—.

Der „Geschichte des Papsttums von den Anfängen
bis zur Höhe der Weltherrschaft" von E. Caspar kommt
eine besondere Bedeutung zu. Der vorliegende erste
Band, der unter dem Titel „Römische Kirche und Imperium
Romanum" in 12 Kapiteln die Geschichte des
Papsttums bis zum Pontifikat Leos d. Gr. (440—461)
behandelt; läßt schon eindeutig erkennen, daß durch sie
eine vorhandene Lücke in der kirchengeschichtlichen Literatur
wirklich ausgefüllt wird. Zwar fehlt es nicht
an kleinen und großen Darstellungen der Geschichte des
Papsttums — gerade das letzte Jahrzehnt hat eine
ganze Reihe hervorgebracht —; aber sie alle sind mehr
oder weniger für das breitere Publikum bestimmt und
wollten und konnten nicht den Anspruch erheben, den
Mangel an einer erschöpfenden wissenschaftlichen Behandlung
des Stoffes zu beheben. Dieser Mangel
machte sich immer stärker bemerkbar. Denn 50 Jahre
ist es her, daß die Geschichte des Papsttums zum
letzten Male zum Gegenstand einer eingehenden wissenschaftlichen
Untersuchung und Bearbeitung gemacht war,
u. zw. von dem Altkatholiken Jos. Langen in seiner
1881/93 erschienenen „Geschichte der römischen Kirche",
die in 4 Bänden nur bis zum Pontifikat Innocenz' III.
(1198—1216) durchgeführt wurde. Seitdem hatte sich
niemand mehr an diese Aufgabe gewagt. Schuld daran
mag gewesen sein, daß nach den lebhaften Auseinandersetzungen
infolge des Vatikanums eine gewisse Ermüdung
eingetreten war; daß man wohl auch glaubte,
durch sie soweit zu festen Resultaten gekommen zu
sein, wie es gerade bei den Fragen der Entstehung
des Papsttums möglich schien, und daß eine Verständigung
über viele und grundlegende Fragen wegen der
konfessionellen Voraussetzungen doch nicht zu erzielen
sei. Daneben aber hat die letzte Generation ja überhaupt
im wesentlichen die Aufgabe gehabt, in mühevoller
Kleinarbeit das Material, das auf allen Gebieten
in überreicher Fülle vorhanden war oder gar neu hinzukam
, kritisch zu bearbeiten und für eine Gesamtdarstellung
bereit zu stellen. Die Folge war eine kaum
noch zu übersehende Zahl von wertvollen Einzelergebnissen
, die in Spezialuntersuchungen vorgelegt wurden
, und neuer Gesichtspunkte der Betrachtungsweise
und der Fragestellung, sodaß das ganze Gebiet zunächst
unübersichtlicher und komplizierter wurde. Diesem Zustand
ist jetzt durch E. Caspar ein Ende gemacht.
Mit Meisterhand hat er das Werk angepackt und der
Wurf ist ihm gelungen! Das ist umsomehr zu bewundern
, als C. als „mittelalterlicher Historiker" dem
Stoff von Haus aus ferner stand und, wie er selbst
einmal sagt, „in Wissenschaftsbereiche und zu einem
Quellmaterial" vordringen mußte, „die ihm nicht aus
täglichem Umgang vertraut" waren.

In sorgfältiger Arbeit hat er das gesamte Quellenmaterial
durchforscht, auf die Forschungsergebnisse
anderer aufbauend, aber überall durch gewissenhafte
Prüfung und Sichtung sich ein eigenes Urteil bildend, sodaß
seine Darstellung eine selbständige wissenschaftliche
Leistung ist, die nicht nur zusammenfaßt, sondern
ihrerseits wieder die Forschung weiterführt. Es
sei nur hingewiesen auf seine Ausführungen über Victor
I., Hosius v. Corduba, Damasus und vor allem
über den Pontifikat Leos I. und die mit dem Chalcedo-
nense zusammenhängenden schwierigen kirchenrechtlichen
, kirchenpolitischen und theologischen Fragen.
Auf Schritt und Tritt beweist er auch hier wieder
seine aus früheren Arbeiten bekannte meisterhafte Beherrschung
der kritisch-historischen Methode, die im
Bunde mit einer erstaunlichen Fähigkeit, sich in eine
Quelle einzufühlen und sie zum Reden zu bringen auch
dort, wo sie für andere bisher stumm geblieben war
(seine Untersuchungen über den Dekretalienstil und die
Briefe aus dem Zusammenhang der dogmengeschichtlichen
Streitigkeiten im 5. Jahrh. zeigen das), selbst
auf diesem schon so oft beackerten Gebiete der Anfänge
des Papsttums manche neue Ergebnisse zu Tage
gefördert hat.

Daß sich daneben Aufstellungen finden, denen man
mit einem gewissen Bedenken gegenüber stehen muß,
und die sich wohl kaum halten lassen werden, versteht
sich bei einem solch umfangreichen Werke von
selbst, beeinträchtigt aber auch in keiner Weise den
Wert und die Bedeutung der Arbeit.

Unvollständig aber wäre diese Charakteristik des
Buches, wenn nicht besonders auf die formale Seite
hingewiesen würde. Nicht im schleppenden Gewände gelehrter
Untersuchung und weitschweifender, wenn auch
gründlicher Auseinandersetzung und Begründung mit
umfangreichen Anmerkungen legt C. seine Urteile und
Feststellungen dar — soweit dies nicht alles ganz weggelassen
werden konnte, ist es samt der Literaturangabe