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Ausgabe:

1934 Nr. 3

Spalte:

53-55

Autor/Hrsg.:

Schlingensiepen, Hermann

Titel/Untertitel:

Die Wunder des Neuen Testamentes 1934

Rezensent:

Büchsel, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung 1934 Nr. 3.

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Jahrhunderts, besonders bei Seneca. Doch fällt es dem
Descensus-Mythos als neuem Ankömmling schwer, sich
neben dem alten Mythos der Griechen Raum zu schaffen
(378 f. 525). Schrankenlose Betätigung gab es
für ihn nur auf dem Gebiete des Zaubers. Dieser ist
daher das Gefährt, auf dem der Descensusgedanke mit
in erster Linie seinen Einzug ins Abendland hält (526).

Die weitgreifenden Untersuchungen führen beinahe
von selbst zu dem Schluß, daß sich im Christentum
die Ströme aus dem griechisch-römischen Heidentum
und von Asien her mit seinen iranisch-chaldäischen Anschauungen
und Formulierungen vereinigt haben (528).
Der hellenistischen Umwelt des werdenden Christentums
war der Begriff des in die Unterwelt fahrenden
Gottes ganz geläufig (4. 527). Die Volksphantasie war
von diesem Mythos gleichsam durchtränkt (375). Sein
reiches und zähes Leben verdankt der Descensuskom-
plex nun aber nach der Meinung Kr.s nicht der Durchschlagskraft
und dem Beharrungsvermögen einer religiösen
Idee, sondern ganz überwiegend dem unwiderstehlichen
Pathos seiner Formulierung. Diese Auffassung
durchzieht und trägt die ganze Darstellung, und
der Verf., dessen Buch in den „Studien der Bibliothek
Warburg" erschienen ist und sich damit einer bestimmten
Richtung einordnet, weiß sich A. Warburg für den
glücklichen Terminus „Pathosformel" verpflichtet (529,1).

Der schwere Band hinterläßt einen sehr starken
Eindruck von der hier geleisteten Arbeit. Ein überaus
reicher Stoff ist, besonders in den Noten, zusammengetragen
und verwertet. Doch fast mehr noch als die
Gelehrsamkeit imponierte der Mut und die Tatkraft,
mit der hier eine ungemein schwierige Aufgabe in Angriff
genommen worden ist. Kr. läßt sich durch nichts
schrecken, weder durch die Mängel der Überlieferung,
noch durch den Zwang, sich in erheblichem Umfang
auf Vermutungen beschränken zu müssen, noch durch
die Notwendigkeit, auf dem so weiten und auch sprachlich
so zersplittertem Gebiet, das er auf dem Weg
zum Ziele durchstreifen muß, so manches Mal auf
die Führung anderer angewiesen zu sein.

Von besonderen Schwierigkeiten ist der Versuch gedrückt
, das Motiv der Höllenstürmung im Christentum
bis fast an die Anfänge zurückzuverfolgen. Daran ist
die Einsilbigkeit der Überlieferung Schuld. Für die ntl.
Zeit muß man fast von Schweigsamkeit reden, wenn
man Kr. nicht zu folgen vermag, der Mt. 27, 51ff. unmißverständliche
Anzeichen wahrnimmt, ebenso etwa
noch Mk. 3,27 (5 ff.). Auch die Liturgie redet in der
ältesten Zeit bestenfalls andeutungsweise. Hier werden
vielleicht manche Leser nicht den nötigen guten Willen
zur Gefolgschaft aufbringen können, oder doch nicht
die Gewißheit gewinnen, von der sich Kr. beseelt zeigt.
Aber auch sie werden sich ihm gegenüber dankbar verpflichtet
fühlen für die Fülle neuer Erkenntnisse, mit
der sie sich beschenkt sehen und die sie sich um so
lieber und leichter aneignen, als die Durchsichtigkeit
des Aufbaus und die Klarheit der Darstellung und
Sprache ihnen die Mühe, an den Stoff heranzukommen,
sehr erleichtert.

Der Druck ist musterhaft. Nur die 316,1 genannte Schrift hat
nicht R., sondern O. Kittel zum Verfasser.

Güttingen. W. Bauer.

Schllngenslepen, Lic. theol. Hermann: Die Wunder des
Neuen Testamentes. Wege u. Abwege ihrer Deutung in der alten
Kirche bis zur Mitte des fünften Jahrhunderts. Gütersloh: C. Bertelsmann
1933. (XII, 228 S.) gr. 8°. — Beiträge z. Förderung christlicher
Theologie. Hrsg. v. A. Schlatter u. W. Lüttgert 2. Reihe. Sammig.
wiss. Monogr. 28. Bd. RM 8.40 ; geb. 10—.

Die Untersuchung ist nach Gegenstand und Anlage
eine geschichtliche. Sie stellt fest, welches Verständnis
der neutest. Wunder in der Kirche der ersten 5 Jahrhunderte
erreicht ist. Das Interesse, das in dem Buche
lebt, ist aber ein durchaus theologisches. Das Wun-
derverständnis der alten Kirche wird zugleich auf seine

Zulänglicbkeit, auf seinen Wert als Lösung der Wunderfrage
geprüft. Dadurch liefert das Buch einerseits einen
bedeutsamen Beitrag zur heutigen Debatte über das
Wunder (die dringend der Weiterführung bedarf!), andererseits
eine Beleuchtung der Theologie der alten
Kirche, die das, was die Dogmengeschichte bietet, wertvoll
ergänzt. Der Begriff Wunder wird hier in einem
erweiterten Sinne genommen. Nicht nur die Wundertaten
Jesu, sondern auch die hinter ihnen stehende Person
in ihrer Übernatürlichkeit und damit die Frage
nach dem Rechte und Grunde des Glaubens an ihn
ist Gegenstand der Untersuchung. Dadurch wird die
i Enge in der Abgrenzung des Themas, die Arbeiten zur
Geschichte der Exegese leicht ungenießbar macht, glücklich
vermieden.

cap I u. II haben vorbereitende Bedeutung. I stellt
die Seltenheit der Erwähnung der Wunder als das für
! die apostolischen Väter Bezeichnende heraus; II zeigt
j an den apokryphen Evangelien und Apostelgeschichten
die „schon früh beginnende Unsicherheit und Verschiebung
in der Würdigung der biblischen Wunder",
die paganistischen Motive, mit denen die Kirche in
der Bewahrung ihrer ursprünglichen Tradition zu ringen
hatte: den Doketismus im Christusbild und die
Steigerung des Apostelbildes ins Übermenschliche, die
bis zur Verwischung der Grenze zwischen Christus und
seinen Boten geht, cap III berichtet über die Behandlung
der neutest. Wunder unter apologetischem Gesichtspunkte
. Die Benutzung der Wunder Jesu als Beweismittel
für die Göttlichkeit seiner Person und Lehre,
ebenso das Bemühen um die Sicherung der Geschichtlichkeit
der Wunder und den Nachweis ihrer Fortdauer
in der Kirche sind früh nachzuweisen. Auch die Denkbarkeit
der Wunder wird erörtert. Andererseits gerät
das Wunder in eine bedenkliche Nähe zum Zauber.
Die Unausgeglichenheit und Unsicherheit in der apologetischen
Verwendung des Wunders trotz aller zur Schau
getragenen Überlegenheit über das Heidentum ist unverkennbar
. Mit besonderer Liebe verfolgt Schlgsp. den
Kampf zwischen Kelsos und Origenes. Kelsos richtet
den Angriff auf die Zuverlässigkeit der christlichen
Überlieferung als solcher und zugleich auf ihren Inhalt.
Origenes, in seinem Vertrauen in die Leistungsfähigkeit
historischer Sicherstellung der christlichen Überlieferung
nicht ernstlich erschüttert, läßt sich in der Ebene des
Gegners festhalten und wird dem letzten Ernst seiner
Aufgabe nicht voll gerecht. In der historischen Deutung
und Wertung der Evangelienüberlieferung ist er
Kelsos überlegen. Aber die Tatsache, daß das Evangelium
als Gotteswerk von menschlicher Überlieferung
dem Wesen, nicht nur dem Grade nach verschieden ist,
mit Klarheit und Folgerichtigkeit zur Geltung zu bringen,
vermag er nicht. Sein Verständnis des Kreuzes und
überhaupt des Menschseins Jesu bleibt beschränkt. Der
Kampf zwischen Kelsos und Origenes setzt sich fort in
dem des Porphyrius und der von ihm beeinflußten Literatur
mit Euseb „diesen selbstsichersten und siegestrunkensten
unter den Apologeten der alten Christenheit
" und seinen Nachfolgern. Als das Problem stellt
sich, besonders bei Euseb, das Nebeneinander von Wunder
und Leiden im Christusbilde heraus. Euseb sieht
darin die Unerfindlichkeit desselben gesichert. Augustin
läßt das Problem von der saluberrima humilitas dessen
her, der die menschliche Sünde, d. h. den Hochmut
zu überwinden kam. Arnobius, Athanasius, Gregor von
Nyssa, Makarius Magnes dagegen enttäuschen, cap IV
beschäftigt sich mit der Stelle, die die Wunder des NT.
im Glauben und in der Lehre der Kirche selbst einnehmen
. Die messianische Bedeutung der Wunder, d. h.
die Jesus als den im AT. Verheißenen zu beweisen, tritt
seit Irenaus und Tertullian, besonders im Kampf mit
Markion hervor. Die Beziehung zwischen Wunder und
Schöpfung wird gern herausgearbeitet, ebenso sein Charakter
als Wohltat des Heilandes für Leib und Seele.
Eschatologisch, als Hinweis auf die kommende Vollen-