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Ausgabe:

1934 Nr. 3

Spalte:

47-49

Autor/Hrsg.:

Allgeier, Arthur

Titel/Untertitel:

Die altlateinischen Psalterien 1934

Rezensent:

Soden, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1934 Nr. 3.

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an die synagogale Verlesung des Dtj. entstanden und
gesprochen seien. In der ersten Hinsicht wird man
gern zustimmen, in der zweiten erscheint mir doch
Zurückhaltung geboten.

Der Leser wird aus diesen Ausführungen hoffentlich
ersehen, daß dieser Kommentar Belehrung spendet
und zu fördernder Auseinandersetzung anregt. Bei der
letzteren wird er dem Verf. besonderen Dank wissen
für die ruhige und vornehme Art der Behandlung von
Auffassungen, die von der seinigen abweichen.

Leipzig. Joachim Begrich.

Allgeier, Arthur: Die altlateinischen Psalterien. Prolegomena
zu einer Textgeschichte d. hieronymianischen Psalmenübersetzgn. Freiburg
i. Br.: Herder & Co. 1928. (XI, 191 S.) gr. 8°. RM 12—.
Für die Geschichte des biblischen Vulgatatextes bietet
bekanntlich das Buch der Psalmen das reichste, aber
auch das verwickeltste Material. Hieronymus selbst
hat diesen um der kirchlichen Lesungen willen wichtigsten
, andererseits gerade wegen der Tradition in diesen
empfindlichsten Text dreimal bearbeitet: zweimal
nach der LXX und zwar erstmalig schon in Rom vor
385 und später im Orient auf Grund der Hexapla;
außerdem hat er ein Psalterium juxta Hebraeos geschaffen
. Die erste LXX-Bearbeitung (Hr) pflegt man
im sog. Psalterium Romanum zu sehen, das im Gottesdienst
von St. Peter in Rom noch heute Verwendung
findet, — was freilich nicht unbestreitbar ist (s. u.).
Die besten und ältesten Vulgatahandschriften bieten das
Psalterium juxta Hebraeos (Hh), die meisten aber die
zweite (hexaplarische) LXX-Bearbeitung, das sog. Psalterium
Gallicanum (Hg), so genannt offenbar in Unterscheidung
von Romanum und somit, weil es in Gallien
zuerst in den kirchlichen Gebrauch eingeführt war oder
zu sein schien. Es war ursprünglich ein Text mit
hexaplarischer Einrichtung, mit Asterisken und Obelen
ausgestattet, also keine eigentliche Rezension, wurde
aber ohne diese Ausstattung kopiert und gelangte zur
Vorherrschaft; es ist auch der Psaltertext des Breviers
geworden.

In die Überlieferung der Hieronymustexte, besonders
Hg, spielt bis ins hohe Mittelalter und darüber hinaus
verwirrend hinein die Fortüberlieferung vor-
hieronymianischer Rezensionen. Deshalb ist
die Erkenntnis der Geschichte des lateinischen Psalters
vor Hieronymus die Voraussetzung für eine geschichtlich
treue Rezension seiner eigenen Textbearbeitungen.
Auch davon abgesehen, hat sie ja ein großes kirchengeschichtliches
Interesse, weil sie für die Kritik der Väterzitate
aus diesem meistzitierten und -kommentierten
Buch der Bibel ebenso bedeutsam ist wie die Väterzitate
ihrerseits jene Geschichte illustrieren und datieren
helfen. So läßt sich z. B. die (auch aus anderen
Gründen unhaltbare) Behauptung, daß Alkuin der Verfasser
der libri Carolini sei, einfach durch Vergleichung
der Psalmenzitate in diesen mit solchen in gesichert
Alkuinischen Schriften widerlegen (s. Allgeier, Psalmenzitate
und die Herkunft der L. C, Hist. Jahrb. der
Görresges. 46, 1926, 333—353). Ebenso leisten die
Psalmenzitate treffliche Dienste bei der Echtheitskritik
der Predigten Augustins usw. Man unterscheidet in den
altlateinischen Psalterien 4 Hauptformen, die zum Teil
noch in örtlichem Sondergebrauch bei den Offizien
stehen: das Ps. Veronense (R)1, Sangermanense (G),
Mozarabicum (M) und Mediolanense (Mi). Diese 4
Hauptformen und dazu die ihnen sehr nahestehende von
Hr vergleicht Allgeier auf der Grundlage von Hg in der
Weise, daß er die Abweichungen von diesem zusammenstellt
. Wir erhalten also einen textgeschichtlich-textkriti-

1) Capelle, Le texte du psautier latin en Afrique (Coli. bibl.
lat. IV) 1913 hat bereits den starken afrikanischen Einschlag in R und
seine nahe Verwandtschaft mit Augustin erkannt. De Bruyne versucht
in seiner glänzenden Arbeit „St. Augustin reviseur de la Bible"
in den Miscellanea Agostiniana Bd. II S. 521—606 Augustin als den
Schöpfer der Textform R zu erweisen (Vgl. ThLZ 1932, 350f.).

sehen Apparat zu dem in jeder Vulgataausgabe vorlie-
| genden Psalmentext (Hg), — eine höchst dankenswerte
: Gabe für den Textkritiker wie auch den Exegeten
zumal den katholischen, der den Vulgatatext ja ständig
mitberücksichtigen muß. Das reiche Material, das in
diesen Varianten für die Geschichte der Sprache der lateinischen
Bibelübersetzung und damit für die spätan-
i tike und frühmittelalterliche Semasiologie steckt, hilft
' ein alphabetisches Register des Wortschatzes erschlie-
i ßen, das für alle Wörter die Steilen ihres Vorkommens
nebst den Zeugen, die sie wählen, kenntlich macht.

Eine textgeschichtliche Verarbeitung des gesammel-
1 ten und geordneten Stoffes bleibt weiteren Arbeiten über-
| lassen, an denen der Verfasser selbst den Hauptanteil
i nehmen durfte. Ganz kürzlich ist eine wichtige Studie
i dazu in seinem textgeschichtlichen Beitrag zu Dold-All-
geier, der Palimpsestpsalter des Codex Sangallensis 912
(Beuren 1933, S. 27—208) erschienen; ebenda S. XIV
sind andere verzeichnet. In der hier besprochenen Veröffentlichung
hat er dem Abdruck seiner Kollationen
eine Skizze der Geschichte der Kritik des lateinischen
Psaltertextes von Faber Stapulensis mit seinem Psalterium
Quincuplex 1508 über Sabatier und Bianchini
bis zur Gegenwart vorausgeschickt; sie führt von selbst
zur Entwicklung der Probleme und gibt nebenbei ein
interessantes, nicht immer rühmliches Stück aus der
Leidensgeschichte der tridentinischen Vulgata.

Ich muß für die ungebührlich verzögerte Anzeige
der bescheiden anmutenden, aber sehr gehaltvollen Studien
Allgeiers um Entschuldigung bitten; vielfache Beanspruchung
in anderer Richtung lassen mich nur selten
zu den altlateinischen Bibeltexten zurückkehren. Den
wenigen ernsthaften Mitarbeitern an diesen ist Allgeiers
Werk nicht entgangen, den mittelbar daran interessierten
Kirchenhistorikern mag die Besprechung immer noch
dienen. Ich möchte die unerwünschte Verspätung benützen
, um auf die Erörterungen hinzuweisen, die sich
seither an Allgeiers Darbietung angeschlossen haben und
auch bei kritischer Haltung ihren fördernden Wert bezeugen
. Die herrschende Anschauung, daß im Psalterium
Romanum Hr vorläge, ist von De Bruyne (Rev.
Bened. 42, 1930, 101 — 126) energisch und eindrucksvoll
angefochten worden; Allgeier versuchte in Biblica 12,
1931, 447—482 seine Gründe zu entkräften, sagt aber
jetzt selbst (der Palimpsestpsalter etc. S. 52), daß sie
die Abfassung von Hr durch Hieronymus zweifelhaft
oder unmöglich machen. Die Frage scheint mir positiv
noch unentschieden zu bleiben, wiewohl m. E. manche
Einwände De Bruynes auszuscheiden haben. Sein Haupt
argument, daß Hr nicht mit den Psalmenzitaten des
Hieronymus in seinen älteren Schriften übereinstimme,
behauptet zwar tatsächlich Zutreffendes, ist aber für
seine These gegen Hr als Rezensionswerk des Hieronymus
doch in etwa eine petitio prineipii. Allgeier tritt
seinerseits herrschender Meinung entgegen, wenn er
Hh für älter hält als Hg; ich kann mich hierin nicht
überzeugt bekennen (vgl. dazu schon früher Allgeier,
Theol. u. Glaube 18, 1926, 671—687 und Biblica 8,
1927, 450—463, 468 f., gegen ihn Capelle, Rev. Ben. 39,
1927, 226—228 und Vaccari, Biblica 8, 1927, 213—215,
463—468). De Bruyne hat in Rev. Bened. 41, 1929,
297—324 gezeigt, daß der herrschende Text des Ps.
Gallicanum, für den Allgeier den Codex Reichenau 38
saec. IX als alten und guten Zeugen seinen Kollationen
zugrundegelegt hat, die hexaplarische Rezension des
Hieronymus vielfach nicht bewahrt hat; er möchte dem
Cod. Vat. Reg. 11 (s. VIII) und einigen ihm nahestehenden
Zeugen den Vorzug geben, vor allem weil sie durch
die ausdrücklich hexaplarischen Zitate bei Hieronymus
und Augustin gestützt werden, und fordert einen rezensierten
Text von G ebenso wie auch von den anderen
Typen. Man wird diese, an sich natürlich berechtigte,
Forderung für eine Ausgabe von Texten, die wie die
Allgeiers zunächst nur Kollationen als textgeschichtliches
Material bringen will, überspannt, ja vielleicht