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Ausgabe:

1934 Nr. 2

Spalte:

35-37

Titel/Untertitel:

Christoph Sigwart 1934

Rezensent:

Sybel, A. von

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Theologische Literaturzeitung 1934 Nr. 2.

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schichte. Und eine solche schon durch die formale
Anordnung möglichst sicherzustellen, ist m. E. wenn
nicht notwendig, so jedenfalls berechtigt und empfehlenswert
. Im übrigen tritt die enge sachliche Berührung
der beiden Gesamtpositionen gerade am zentralsten
Punkt der christlichen Glaubensüberzeugung d. h. in dem
die Gottesoffenbarung in Jesus Christus betreffenden
Fragenkomplex am stärksten hervor. Den Beleg dafür
liefert ein Vergleich des (8.) Hauptkapitels W.'s mit
dem 7. Kapitel meines „Wesen und Wahrheit des Christentums
" („Der Christenglaube der christlichen Religion
".) Ich verweise besonders auf unsere beiderseitige
, bis ins Letzte zusammentreffende Stellungnahme
zu Wilh. Herrmann und Martin Kahler.

Daß aber auch in dieser Hinsicht die Ausführung bei
W. im Einzelnen auch mir sehr lehrreich ist, will ich zur
Vermeidung etwaigen Mißverständnisses noch ausdrücklichst
betonen. — Das weitgehende Zusammentreffen
unserer beiden Positionen von sehr verschiedenen Ausgangspunkten
aus ist m. E. ein erfreulicher Beweis für
die Richtigkeit oder wenigstens die theologische Bedeutsamkeit
der entscheidenden gemeinsamen Grundgedanken.
Göttingen. G. Wobbermin.

Haering, Prof. Dr. Theodor: Christoph Sigwart. Tübingen: J. C.
B. Mohr 1930. (27 S. m. 1 Bildn. v. C. Sigwart) gr. 8° = Philosophie
u Geschichte, 27. RM 1.80; in Subskr. 1.50.

In dieser warmherzigen und feinsinnigen Gedächtnisrede
feiert Haering seinen Lehrer Christoph Sigwart
an der Hand einer Darstellung seines Lebens und Wirkens
als einen Philosophen, der bewußt darauf verzichtete
, absolute Erkenntnis zu bieten, als einen Führer
mehr zum Suchen und zur Besinnung als zu fertigen
Gedanken, als einen Denker, der eine Stellung über
den Dingen und Parteien zu erringen sich bemühte
und sich nicht in die Leidenschaften des Tages hineinziehen
ließ.

Sigwarts historische Arbeiten, meist den Denkern
der beginnenden Neuzeit gewidmet, zeichnen sich durch
einen hohen Grad der Objektivität aus, durch das Streben
nach einem gerechten Abwägen der Vorzüge und
Mängel des neuen Denkens jener Zeit wie des von jenen
Denkern bekämpften mittelalterlichen Denkens. — In
seinem Hauptwerk, der Logik, kommt es Sigwart vor
allem auf Lebensnähe an. Er will, sagt Haering, kein
Gebäude ideeller, aber weltferner Wahrheiten errichten,
sondern seine eigentliche Tendenz ist es, den Einzelwissenschaften
durch Prüfung ihrer Methoden praktische
Hilfe zu leisten. — Auch in seinen kleineren Schriften
sachlich-philosophischen Inhalts finden sich viele
noch heute wertvolle Ausführungen. Immer kämpfte er
gegen Einseitigkeiten, so gegen die Überspannung des
Kausalitätsprinzips auf Kosten des Zweckgedankens oder
auf Kosten der Willensfreiheit und gegen die Überspannung
der mathematischen Methode in der Psychologie.
Damals waren das Taten, schroff entgegen den Lieblingstendenzen
der Zeit, aber auch heute sind seine Ausführungen
, z. B. die Schrift „Über den Begriff des Wollens
und sein Verhältnis zum Begriff der Ursache",
immer noch des Studiums wert.

Sigwart, kritisch gegen die Tagesmeinungen, zugleich
von hoher Fähigkeit, an allem auch die andere Seite zu
sehen, war ein Philosoph der Vermittlung. Aber zu
Unrecht brachte ihn sein vorsichtig abwägendes Urteil
in den Ruf eines Relativisten und Skeptikers. Im Hintergrund
seines Denkens stand eine ihm freilich als
unbeweisbar geltende Metaphysik, die im Gottesgedanken
gipfelte und die ihm als Grenzgedanke für die Analyse
des Erkennens und sittlichen Handelns unentbehrlich
war. Wir finden in seinen Schriften immer wieder
Stellen, wo, mit Haering zu reden, „in die kristallene
und gewiß oft etwas kühle Helle seines Denkens plötzlich
und unerwartet ein wärmerer Schein aus letzten
weltanschaulichen Hintergründen und persönlichen Überzeugungen
auch über das Unbeweisbare fällt."

Berlin. A. v. Sybei.

Driesch, Hans: Grundprobleme der Psychologie, ihre Krisis.
i. d. Gegenwart. 2., verb. Aufl. Leipzig: E. Reinicke 1929. (XU,
270 S.) gr. 8°. RM 10-; geb. 12—.

Die vorliegende Arbeit ist ein Zeugnis für den Wandel
, der sich in der wissenschaftlichen Psychologie vollzogen
hat und noch immer weiter vollzieht. Immer mehr
rückt die Psychologie ab von dem Erbe, das sie von
der mechanischen Naturwissenschaft überkommen und
das ihr den Blick für das eigentliche Wesen des Seelischen
und Geistigen verstellt hatte. Driesch will einen
Beitrag zu dieser „Krise der Psychologie" liefern, indem
er den gegenwärtigen Stand ihrer Hauptprobleme auf
philosophischer Basis erörtert. Er behandelt die Prinzipien
der normalen Psychologie und Psychophysik,
die Fragen der „Organisation der Seele", die Probleme
der Parapsychologie sowie der Willensfreiheit und Unsterblichkeit
. Ich wähle für die Besprechung aus, was.
mir wichtig erscheint.

Mit erfreulicher Entschiedenheit tritt Driesch für
zwei Gedanken ein, die vielfach in der neueren Psychologie
revolutionierend gewirkt haben. Erstens hat
man sich klar gemacht, daß sinnvolle Erlebnisse nicht
aus Elementen erwachsen können, die selber noch ohne
Sinn sind. Es gibt elementare, also nicht weiter reduzierbare
Erlebnisinhalte, die uns den Aufbau einer sinn-
haltigen Erlebniswelt deshalb ermöglichen, weil sie selbst
schon Sinnerlebnisse sind. Driesch weist hin z. B. auf
das bewußte Haben der logischen Urbedeutungen wie:
Dieses, Solches, Nicht, Weil, Beziehung, Ordnung u.
dergl., dann auf das Gebiet der sog. Erlebnisakzente
oder -Tönungen und auf manches andere. Führten die
genannten Entdeckungen zu einer Überwindung des Sensualismus
, so bewirkte eine andere Einsicht die Überwindung
der rein mechanistischen Denkweise: die bewegenden
Kräfte des Seelenlebens, sofern sie eine
Bereicherung an sinnvollen Gehalten bewirken — und
solche Bereicherung macht ja den eigentlichen Sinn
alles seelischen und geistigen Lebens aus — müssen
solcher Art sein, daß sie im Unterschied zu blind-
mechanischen Kräften auf diese „Anreicherung an Sinn"
ursprünglich gerichtet sind. Schon in der elementaren
Dynamik des Seelenlebens müssen Richtkräfte am Werke
sein, die auf die Verwirklichung von Werten gehen.
(Driesch sieht in einem „Willen zur Ordnung" die
zentrale Kraft der Seele.)

Leider verbindet Driesch mit diesen beiden Thesen
einen Gedanken, indem ich nur einen verhängnisvollen
Irrtum sehen kann, nämlich seinen Lieblingssatz von
der Inaktivität des bewußten Ichs. Alles bewußte Seelenleben
ist für ihn ein passives Haben von etwas. Es
gebe im Bereich des Bewußtseins kein echtes Tun.
Alle Dynamik beruhe auf Kräften des unbewußten Seelenlebens
. Dagegen ist zu sagen, daß die Aktivität des
Ich, das Tun im prägnanten Sinne, ein ebenso ursprüngliches
und unauflösliches Phänomen ist wie das passive
Haben eines Inhalts. Neben dem von Driesch
allein anerkannten „Ursachverhalt: ich habe bewußt etwas
" steht gleich ursprünglich der Ursachverhalt: ich
tue. Und man hat kein Recht, das Phänomen bewußter
Ichaktivität durch irgend eine Umdeutung des deskriptiven
Befundes aus der Welt zu schaffen.

Drieschs Blindheit gegen die Ichaktivität und damit
gegen das eigentliche Wesen des Ich versperrt ihm
vielfach die Einsicht in die wahren Vorgänge. Das
zeigt sich vor allem bei seiner Analyse des Willens.
Er sucht das Wesen des Willens im Können, spielt wohl
auch einmal (S. 225), schon richtiger, mit dem Gedanken
, es handele sich um einen gewissen Ja-Akzent
gegenüber sog. „Vorwillensinhalten", aber er kommt
nicht zu einer wirklich in die Tiefe gehenden Analyse
der Willensvorgänge. Die Frage nach dem Wesen des
Entschlusses z. B. läßt sich mit Driesch's Voraussetzungen
nicht wirklich anpacken. Auch in der Frage der
Freiheit des Willens verschließt sich Driesch den Weg.
Seine mannigfaltigen Erörterungen zu diesem Problem
behalten etwas Unfruchtbares. Wenn das Ich unfähig