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Ausgabe:

1934 Nr. 26

Spalte:

473-476

Autor/Hrsg.:

Preuß, Hans

Titel/Untertitel:

Martin Luther 1934

Rezensent:

Leisegang, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1934 Nr. 26.

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heute katholische Orte. Es ist dringend zu wünschen,
daß jeder Dekanatsbezirk seine eigene Reformationsgeschichte
bekommt, die aber ein allgemeines Interesse
hat, weil die ersten evangelischen Pfarrer zum guten
Teil aus ganz anderen deutschen Ländern stammten und
auch die Württemberger oft während Herzog Ulrichs
Verbannung als Anhänger der Reformation außerhalb
Württembergs im Pfarrdienst standen wie Joh. Oailing,
dessen Lebensbild Hoffmann zeichnet. G. Bessert
teilt vier Briefe mit aus dem Marburger Staatsarchiv und
dem Straßburger Thomasarchiv, davon drei von Schnepf,
der in einem dieser Briefe dem Landgrafen Philipp über
seine Abmachung mit Blarer berichtet.

Horb. O. Bossert.

Preuß, Hans: Martin Luther. Der Deutsche. Gütersloh: C.
Bertelsmann 1934. (IX, 139 S.) gr. 8°. RM 4.50; geb. 6—.

Dies-es Buch ist bewußt politisch-fortschrittlich und
kommt dem Zeitgeist, der heute unter uns waltet, so
weit entgegen, als es sich mit der orthodoxen Lutherauffassung
, die der Verfasser vertritt, nur irgend verträgt
, ein anerkennenswertes Bemühen, das wohl mancherlei
Überwindung kostete, da es bisher die so verachteten
„liberalen" Theologen waren, die „den deutschen
Luther mit lautem Schall auf den Schild erhoben, während
die strengen Lutheraner ja stets vor allem die
religiösen Lehren Luthers in den Vordergrund stellten
".

Im ersten Kapitel wird eine Skizze des deutschen
Wesens gegeben, in der die deutsche Treue, die sich
wieder auf Vertrauen und Glauben gründet, als der
Grundzug deutscher Art herausgearbeitet wird. Im zweiten
wird Luther auf seine Abstammung und Rasse hin
geprüft mit dem Ergebnis, daß Luther ebenso wie die
hervorragendsten deutschen Männer nicht rein nordisch
war, sondern neben einem fälischen Einschlag ostische
Züge zeigt. „Die Mischung ist also offenbar der Boden
der° genialsten Männer. Freilich muß sofort hinzuge-
gefügt werden, daß bei dieser Mischung der nordische
Bestand als die conditio sine qua non erscheint.
Luther ist eins der hervorragendsten Beispiele dafür."
Dann kommt das Kernkapitel über Luthers deutsche Art.

Der Grundzug in Luthers Wesen stimmt mit der im
ersten Kapitel herausgearbeiteten Haupttugend der Deutschen
überein. Es ist das Vertrauen, der Glaube, die
Treue, die ihn in seinen menschlichen Beziehungen ebenso
kennzeichnen wie in seiner auf dem Begriff des
Glaubens aufgebauten Theologie. Dieser Glaube ist ein
durchaus männlicher, und durch den männlichen Zug
soll sich Luthers Frömmigkeit von der des Mittelalters
abheben, dessen ganzes ritterliches Christentum mit dem
in herzlich schlechtem Deutsch abgefaßten Satze abgetan
wird: „Das Mittelalter war weithin in seiner Frömmigkeit
etwas Feminines"!! Besonderer Wert wird dann
darauf gelegt, Luther zur deutschen Mystik in einen
Gegensatz zu bringen. Der Verfasser ist den deutschen
Mystikern wenig hold; er wagt zu sagen: „Neuerdings
ist es Mode geworden — leider auch gerade in Kreisen
nationalen Bewußtseins —, die Mystik Eckharts als urtümlich
deutsche Frömmigkeit zu preisen. Das geht
nicht! Mvstik ist ihrem Wesen nach immer etwas Internationales
, ob sie nun buddhistisch oder romanisch
oder germanisch ist, also kann man Eckhart, soweit er
Mvstiker ist, gerade nicht als deutsch ansprechen. Mystik
löst sodann aber auch das Ich-Du-Verhältnis auf.
Wer das noch nicht begriffen hat, sollte über Mystik
nicht mitsprechen. Die Seele geht in der Mystik über
in das Meer der Gottheit. Das ist aber genau das Gegenteil
des deutschen Treuverhältnisses, das ohne
Ich-Du ein Unding wäre. Eckharts personenauslöschende
Mystik ist eben darum nicht spezifisch deutsch." Und
dies im Angesicht der siebenhundertjährigen Tradition
deutscher Mystik, die von Eckehart über Tauler, Seuse,
Nikolaus von Kues, Paracelsus, Agrippa, Sebastian
Franck, Weigel, Jakob Böhme, Herder, Lessing, Goethe,

Fichte, Sendling, Hegel, Schleiermacher, Schopenhauer,

Wagner und viele andere bis in die Gegenwart reicht.

Ihnen allen wird hiermit das „spezifische" Deutschtum
; abgesprochen; denn sie glaubten alle an einen solchen
| Gott, wie ihn Eckhart lehrte, und waren alle ihrer

Denkform und ihrer Weltanschauung nach deutsche My-
I stiker.

Außerdem wäre hierzu zu sagen, daß es auch ein
I echt christliches und lutherisches Glaubensverhältnis gibt,
in dem das Ich und das Du ineinander aufgehen, so wie
I es Jesus als seine eigene Frömmigkeit in den Worten
ausdrückt: „Ich und der Vater sind eins." Der Gipfel
i der Treue ist doch wohl gerade die Aufnahme der an-
| dem Person in den eigenen Willen. Dann wäre auch
darauf hinzuweisen, daß gerade Meister Eckehart weit
davon entfernt war, seine Seele in dem von Preuß gemeinten
Sinne, der wie alle Feinde der Mystik immer
| gleich Mystik und Ekstatik in eins setzt, „in das Meer
der Gottheit" übergehen zu lassen. Er hat vielmehr in
: dem bekannten Gleichnis von Gott als der Sonne, die
; sich in der Seele spiegelt, deutlich genug gesagt: „Daz
i widerspilen des spiegeis in der sunnen, daz ist in der
; sunnen. Sunne und er (der Spiegel = die Seele) ist
doch daz er ist. Also ist es umbe got. Got ist in der
sele mit siner nature, mit s'ime wesenne unde mit
siner gotheit und er enist doch niht diu sele." Dieser
• zugleich transzendente und immanente Gott aber ist
der Gott Luthers „in allen und über allen und außer allen
Kreaturen",1 und dieser Gott Luthers stammt, wie ich
nachgewiesen habe, aus derselben theologischen Tradi-
■ tion wie der Eckeharts.

Auch steht es mit der Treue als Ich-Du-Verhältnis bei
Luther doch nicht so ganz einfach. Er hat jedenfalls
einige heilige, im Namen Gottes dem Papst und der
Kirche und Gott selbst geleistete Eide nicht gehalten,
sondern das eingegangene Treueverhältnis bewußt ge-
i brochen, weil er es vorzog, nicht anderen, sondern
sich selbst und seinem Gewissen die Treue zu halten.
| Diese Treue gegen sich selbst, von der P. an anderer
I Stelle auch spricht, ist sicher von einem „Ich-Du-Verhältnis
" nicht abhängig und steht — wie jedenfalls
J N. Hartmann in seiner großen „Ethik" zeigt, an Wert
j über der Treue gegen andere Personen, ja die Personentreue
läuft immer irgendwie auf diese hinaus. Hier
j fehlt — wie auch sonst in dem ganzen Buch — das Eindringen
in die Tiefe.

Und schließlich ist zu bemerken, daß der Verfasser
| ja dann selbst auf Luthers Gottesbegriff zu sprechen
kommt und nun erstaunlicherweise erklärt, „daß Luthers
j Gottesbegriff streng immanent ist, gegen Calvins
romanische Transzendenz". Mir ist zwar nicht klar,
| wie ein „Begriff" immanent und eine Transzendenz
„romanisch" sein kann; aber gemeint ist ja hier doch
wohl Gott selbst, der nach Luthers Lehre „i n allen
und über allen und außer allen Kreaturen ist". Damit
man aber dabei ja nicht an den Gott der Mystiker denke,
wird diese Lehre Luthers ganz modern mit dem „Raum-
' gefühl des nordischen Menschen" in Verbindung gebracht
: „Bei Luther dagegen verrät sich in derUbiquität
1 des Leibes Christi sein gotisch-dezentralisiertes Raum-
1 gefühl. Christi Leib ist überall, auch hier. Jede Abendmahlsfeier
ist für Luther ein neues Zentrum dieses
Leibes, das sich nach jeder Handlung wieder auflöst:
immer wieder die germanische Vorstellung des Wald-
wanderns mit seiner Ubiquität des Zentrums." Nein, das
augustinisch-neuplatonische und in der ganzen deutschen
Mystik weiter ausgebaute Motiv vom Deus totus in
omnibus hat wirklich nichts mit der germanischen Vorstellung
des „Waldwanderns" zu tun, sondern ist ein
Motiv rein spekulativer Mystik, über dessen Herkunft

1) Vgl. Luther W XXIII 135,3: „Darum muli er (Gott) in einer
jeglichen Kreatur in ihrem Allerinveendigsten, Auswendigsten um und um
durch und durch, unten und oben, vorn und hinten selbst da sein daß
nichts Gegenwärtigeres noch Innerlicheres sein kann in allen Kreaturen
denn Gott selbst mit seiner Gewalt."