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Ausgabe:

1934 Nr. 24

Spalte:

443-444

Autor/Hrsg.:

Weth, Gustav

Titel/Untertitel:

Die Heilsgeschichte 1934

Rezensent:

Müller, Martin

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1934 Nr. 24.

444

telalterlicher Theologen, aus der Versenkung in die
Texte selbst herausgeformt sind", ja daß manche Sätze
geschrieben sind „mit innerer Freude und Ergriffenheit
im Gefühl der geistigen Berührung mit so vielen großen
und edlen Theologengestalten — „wahrheitsfrohen Theologen
", wie er S. 5 sagt — aller Jahrhunderte, welche
über die höchsten und erhabensten Inhalte des menschlichen
Geistesleben Tiefes gedacht und geschrieben
haben" (S. IX f.). Dieses Hochgefühl erklärt es wohl
auch, daß er z. B. beim hl. Thomas von Aquin (S. 75ff.)
nur eitel Licht erblickt, ohne der Schatten, ich meine
vor allem seinen Mangel an kritischem Sinn in kirchen-
und literargeschichtlichen Dingen, mit einem Worte zu
gedenken. Nun mag man es dem Fürsten der Scholastik
gerne nachsehen, daß er etwa die ps.-dionysischen Schriften
mit allen seinen Zeitgenossen als Werke des Areo-
pagiten der Apostelgeschichte betrachtete. Aber daß
aus dem Opus imperfectum in Matthaeum ein waschechter
Arianer spricht, hätte ein Dogmatiker wie Thomas
eigentlich doch merken müssen. Selbst gewisse
kasuistische Moraltheologien, deren in puncto sexto „vollgesogenen
Eiter" der verstorbene Bischof Keppler, als
er noch Professor war, so lebhaft tadelte und „entleert"
sehen wollte, führt G. ohne jede Bemerkung an. Ebenso
das Buch „Du Pape" von de Maistre (S. 263). Vornehm
sachlich aber bleibt er immer, auch wo er von
Theologen wie Gorn. Jansenius, de Lamennais oder
Döllinger spricht (er vergleicht den ersten und den dritten
mit Tertullian, S. 191 u. 244), die mit der Kirche
in Widerstreit gerieten. S. 283—346 ist eine reichhaltige
„Spezialliteratur" zur Geschichte der kath, Theologie
aufgeführt.

Versehen habe ich nur wenige und kleine bemerkt: S. 17 das
unausrottbare Origines für den Alexandriner, dafür S. 23 Origenes für
das bekannte Werk Isidors von Sevilla (was S. 368 berichtigt ist). S. 13
muß es bei dem von Baudrillart begründeten Dictionnaire heißen „eccle-
siastiques", S. 27 „humanistische". Der bekannte Theologe des 9. Jahrhunderts
ist S. 28 „Scottus Eriugena" gedruckt, S. 45 „Scotus", und im
Personenverzeichnis fehlt er. S. 67 lies „de statu finali" (st. finalis),
S. 111 „den übernatürlichen habitus", S. 142 „Hesychastenstreit" (st.
Hesychiasten), S. 223 „Spender" (st. Spenden). — Joh. Greving (S. 247)
war zuletzt Professor in Münster. Ad. Franz (S. 248) starb 1916, nicht
1906. — S. 125 f. hätte wohl auch Thomas von Celano erwähnt werden
dürfen, auch wenn das „Dies irae" nicht von ihm stammt, und bei
Jacopone da Todi wird man die Erwähnung des „Stabat mater" vermissen
. — Bei Vigouroux (S. 265), Duchesne und Batiffol (S. 266 f.)
ist die Indicierung einiger Werke, nicht erwähnt, aber bei Schell (S. 232).
— Hätten S. 276 ff. nicht auch Baron Hügel und Tyrrell Erwähnung verdient
? - Daß der Name des verstorbenen Bischofs Keppler sich trotz
seiner zahlreichen Werke, von einem Ausspruch über Savonarola S. 97
abgesehen, nirgends findet, dürfte einigermaßen auffallen. Der Grund
liegt aber insofern bei ihm selber, als seine schriftstellerische Tätigkeit
sich mehr auf anderen Gebieten, als dem der wissenschaftlichen
Theologie, bewegte. (So fehlt auch der Name von Alban Stolz). Andererseits
scheint aber G. die neuere Homiletik, der Keppler vielfache
Anregungen gab, etwas stiefmütterlich behandelt zu haben.

München. Hugo Koch.

Weth, Lic. Gustav: Die Heilsgeschichte. Ihr universeller u. ihr

individueller Sinn i. d. offenbarungsgeschichtl. Theologie des 19.

Jahrh. München: Chr. Kaiser 1931. (XIV, 256 S.) 8°. = Forschgn.

z. Gesch. u. Lehre d. Protestantismus hrsg. v. P. Althaus, K. Barth u.

K. Heim, 4. Reihe, Bd. 2. RM 6.80; Subskr. 5.20.

Die vorliegende Arbeit ist ein wertvoller Beitrag
zum Problem der Heilsgeschichte, das der heutigen
Theologie ganz neu aufgegeben ist. Sie kann uns eindrücklich
machen, wieviel wir auch für gegenwärtige
Fragestellungen aus der theologischen Arbeit des 19.
Jahrhunderts noch zu lernen haben. Im Anschluß an
Paul Althaus sucht der Verfasser einen gereinigten Begriff
der Heilsgesehichte zu gewinnen, indem er ihn
einerseits gegen die altheilsgeschichtliche Theologie und
ihre entwicklungsmäßig lineare Betrachtung der Heilsgeschichte
, andrerseits gegen Barths einseitigen Begriff
der vertikalen Heilsgeschichte abgrenzt. Diese Abgrenzung
vollzieht er in gründlicher, ebenso den kleinsten
Einzelzügen wie der gemeinsamen Hauptlinie nachspürender
Darstellung und Auseinandersetzung mit den drei

Klassikern der heilsgeschichtlichen Theologie des 19.
Jahrhunderts: Beck, Hofmann und Auberlen, wobei jedesmal
dem engeren Problem des Verhältnisses von
universaler und individueller Heilsgeschichte besondere
Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Der einleitende Teil stellt die mannigfaltigen Ansätze
offenbarungsgeschichtlichen Denkens seit Bengel dar und

: weist nach, wie gewaltig es durch den modernen Geschichtsgedanken
und die idealistische Entwicklungsidee

, befruchtet wurde. An die Stelle einer rationalen Dog-
matik tritt nun eine neue Auffassung der Offenbarung

, als des geschichtlichen Handelns Gottes, durch das Zeit
und Ewigkeit in ein positives, bewegtes Verhältnis kom-

I men.

Es folgt eine Skizze der drei Haupttypen heilsge-
j schichtlichen Denkens. Steht bei Beck noch der Gedanke
; einer organisch-geschichtlichen Entwicklung des Reiches
| Gottes in ungeklärter Spannung zu einem ungebroche-
■ nen Biblizismus, so ist Hofmann der typische Geschichtstheologe
, der auch die Heilige Schrift seinem geschichtlichen
Denken einordnet und die heilsgeschichtliche Entwicklung
von der persönlichen Erfahrung der Wiedergeburt
aus betrachtet. Auberlen endlich geht in der
Methode wie Hofmann von der religiösen Erfahrung
aus, steht aber in der starken Betonung des Jenseitsrealismus
Beck näher.

Der Hauptteil, die systematische Darstellung, stellt
! die gemeinsamen Grundgedanken der drei Theologen
| heraus: Der Glaube an den Gott der Geschichte formt
j ihr ganzes theologisches System. Sie wissen von einer
| besonderen heiligen Geschichte, die Gott in die Weltgeschichte
hineinwirkt und die in schrittweiser, organisch-
! ökonomischer Entwicklung Gottes Heilsplan entfaltet.
' Auch die Endgeschichte erscheint als stufenmäßige Ent-
I wkklung, wobei die verschiedenen N.T.liehen Aussagen
j zu einem System zusammengearbeitet werden. Die Bibel
wird als Nachzeichnung des Verlaufs der Heilsgeschich-
! te wohl lebendig als Ganzes erfaßt, aber zugleich auch
' einem einseitig formalen Prinzip unterstellt. Ziel der
i Heilsgeschichte ist nicht Vollendung des einzelnen, sondern
der Gemeinde: das Reich Gottes. Bei aller Ab-
1 lehnung des religiösen Individualismus erkennen doch
aber Hofmann und Auberlen klar, daß das glaubende
j Subjekt methodischer Ausgangspunkt der heilsgeschicht-
! liehen Betrachtungsweise sein muß.

Das Ergebnis seiner Untersuchung faßt sich für den
Verfasser in folgenden wichtigen Erkenntnissen zusammen
: „Wir müssen heute eine heilsgeschichtliche Theo-
I logie neu aufbauen". Dabei müssen der philosophische
I Entwicklungsgedanke und die alte Theorie der Heilsge-
| schichte als eines Organismus zurücktreten, weil sie zu
einem eigenmächtigen Systemwillen verführen und der
Wirklichkeit des Handelns Gottes in der Geschichte —
: vor allem der zentralen Bedeutung der Christologie —
nicht gerecht werden. Das Zeit-Ewigkeitsproblem muß
: neu durchdacht werden; die ökonomische Betrachtung
j darf der Aktualität der eschatologischen Nahrwartung
nicht im Wege stehen. Bleibend wertvoll und zukunftsmächtig
aber ist der große geschichtstheologische Grundgedanke
: das gläubige Anschauen der Offenbarungstaten
Gottes in der Geschichte, allerdings nicht in der Rolle des
Betrachters, sondern in existenzieller Haltung. Die einseitige
Vertikalbetrachtung der Heilsgeschichte ist zu
ergänzen durch eine Horizontalbetrachtung, die den Gedanken
der einen zusammenhängenden Heilsgeschichte
heute wieder zur Geltung bringt.

Dessau. Martin Müller.

Trillhaas, Wolfgang: Schleiermachers Predigt und das
homiletische Problem. Leipzig: J. C. Hinrichs 1933. (IV, 225 S.)
8°. RM 7.50.

Kommt die Auseinandersetzung über Schleiermachers
„Predigt und Lehre" im I. Hauptteil (S. 29—132) oft
auch einem Sezieren gleich, das zu anschaulicher Vergegenwärtigung
bleibend wichtiger Erkenntnisse nicht