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Ausgabe:

1934 Nr. 23

Spalte:

426-427

Autor/Hrsg.:

Luthardt, Christoph Ernst

Titel/Untertitel:

Chr. Ernst Luthardt's Kompendium der Dogmatik 1934

Rezensent:

Koepp, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1934 Nr. 23.

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viel freundlichere und zustimmendere Einstellung zu
Bultmann.

Daß im ersten Band der große Eifer zu Verzeichnungen
Barths geführt hat, ist jetzt ostentativ deutlich
an einem zentralen Punkt geworden: den Existenzialis-
mus, den S. als eigentliches Ziel der Denktendenz von
Barth auffaßte, hat Barth selber im Neuansatz seiner
Dogmatik 1932 als Fremdkörper restlos ausgeschieden.
Oogarten und Bu 11m an n bleiben freilich mit Recht
unter dies Generalzeichen der Existenz gestellt. S. stellt
dar, wie beide mit diesem Problem des Selbst ringen,
der eine (Oogarten), das wahre Selbst und die Wirklichkeit
in einem Jenseits aller Relativität und Individualität
entdecken will, der andere (Bultmann) umgekehrt am
Ende des Wegs der Subjektivität und des Relativismus
in der radikalen Vereinzelung des Moments von „Anspruch
" und „Entscheid" dieses Selbst findet. Die Denkform
Oogartens ist „der Absolutismus deutungsloaer
Objektivität" und also die Aufrichtung rein objektiver
Autorität. Die Denkform Bultmanns ist die „unab-
schließliche Dynamik der gedanklichen Bewegung" in
der Dialektik des immerwährenden und nie abgeschlossenen
Gesprächs. Beide wollen so irgendwie d i e eigentliche
Wirklichkeit der Existenz nicht verfehlen.

Gogartens „Theologie der Wirklichkeit" wird von der
„Vernunftpolemik" an über das „Prinzip der Deutungslosigkeit", den
„Begriff der Wahrheit" und die „Lehre vom Wort Gottes" bis hin zum
„Theologischen Ausbau" in 5 Kapiteln entwickelt und kritisiert. Er
strebt auf diesem Weg zur äußeren Autorität des Wortes Gottes. Er
landet bei einer falschen Verquickung liberaler Ansatzpunkte mit orthodox
scheinendem Ergebnis. Wenn er den radikalen Abweis der Philosophie
vollzieht, so philosophiert er dabei nur selber, freilich falsch.
Wenn er jede „Deutung" der Geschichte ablehnt, so kann hinter der
offenbaren Vieldeutigkeit aller Geschichte doch kein deutun^sloser Christus
gefunden werden. Aus der Subjektivität aller ichgebundenen Erkenntnis
läßt sich keine theologisch relevante Du-Erkenntnis als schlechthin
anderer Art herauslösen; das Ziel, die absolute Wahrheit, wird auch so
nicht erreicht; die Konstruktion des Du dient nur dazu, sich der wirklichen
Lage zu entziehen. Die Errichtung einer deutungslosen Autorität
eines direkten Gotteswortes mißlingt, da es notwendig den konkreten
Mittler Christus ausschalte, nur den „Begriff" eines sogenannten neu-
testamentlichen Christus übrigläßt und in bloßer Klangmagie endet. Der
theologische Ausbau zeigt schließlich allen den „ebenso verhüllten als
ausgelaugten und denkschwach gewordenen .Idealismus' mit dem Einschlag
des liberalen Jesusbildes". Vielleicht hat der „defensor liberalis-
mi" doch manches außerordentlich richtig an seinem ehemals liberalen
Gegner gesehen? Jedenfalls hat er die Schwächen der „neuen Orthodoxie
" schonungslos gegeißelt. Für das in ihr sicher auch vorhandene
Recht hat er nicht denselben scharfen Blick.

Viel mehr hat er auch diesen für Bultmanns Theologie, die ja freilich
in mancher Hinsicht wie eine Selbstvollendung der alten liberalen
Theologie vor uns steht. — Bultmanns Theologie der Existenz
sucht im Grunde einen rein existenziellen Ethizismus (Anspruch - Entscheidung
) irgendwie mit dem „Worte Gottes" zu verbinden. Sie will
so zum rechten Verständnis von „Offenbarung und Wirklichkeit" gelangen.
Die Wirklichkeit der Existenz hat als durchgehenden Grundbegriff den
der Entscheidung, sie ist immerwährende Existenzdialektik. Die Entscheidung
kann aber geschehen als ein „Existenzielles Müssen" „von
Gott aus" in (mystischem?) „Hören im Glauben"; freilich bleibt der
Hiatus von Glauben und Denken; Gott und Existenz haben doch wieder
nichts miteinander zu tun; das Glauben wird aus der Wirklichkeit
wieder ausgeschaltet; das Christentum wird (wie bei Unamuno) „Agonie".
Eigentliche Wirklichkeit ist nur der Ethizismus der Existenz. Hier liegt
die eigentliche .Existenzbeziehung", welche die „Religion" ausmacht.
Der Anspruch zur „Entscheidung" in dieser „Beziehung" ist immer der,
zu lieben oder zu hassen. Von Gott her durch Christus ergreifen wir
aber die Liebe als unsere Möglichkeit. Freilich kommt es dabei nirgend
zu einer Stetigkeit. Und alles Reden davon muß immer wieder profan
werden. Auch Geschichte gibt es nur als „Begegnung"; Historie gibt
es nicht; es gibt nur Exegese am „Heiligen Text" als solche „Begegnung
". Im gedruckten Text kommt der konkrete „Anspruch" als „Du".
Hier wird Jesus Christus als „der Gepredigte" der Herr, Jesus Christus
mit der „nackten Tatsache" des Kreuzes. - Das Evangelium steht ganz
in der (dann näher mit Heidegger ausgelegten) profanen Weltlichkeit.
Das Licht, das in der Schöpfung leuchtete, leuchtet wieder auf. Das '
Ende ist die Konzeption einer natürlichen Offenbarung.

Oogarten will enden in der Autorität, Bultmann in
der Freiheit (des Entscheids). So stellt sich für S.
als Ertrag der Theologie der Krisis das Problem
„Autorität und Freiheit". In seiner Bewältigung
gelangt S. dann zur Lösung seines letzten

Grundproblems „Das Wort und die Existenz". Der
III. Band entwickelt das sehr selbständig, nur unter
mehr gelegentlichen Einzelrückgriffen auf Band I und II.
S. geht hier einerseits so vor, daß ihm deutlich noch alte
liberale Voraussetzungen primär den Weg weisen. „Es
liegt zutiefst im Sinn des christlichen Kerygmas, daß
es dem Einzelnen von Gott her und vor Gott
einen Wert, ja eine Würde (sie!) gibt, und die Reformation
hat die Selbstheit des Ich neuentdeckt und in
den Mittelpunkt gerückt", so lautet eine allererste voraus*
, laufende Grunderklärung! Die Freiheit gilt ganz
; besonders ausdrücklich als das „Grundprinzip der christlichen
Existenz"! So macht sich denn auch durch alle
Ausführungen immer wieder bemerkbar, daß primär von
diesem Grundprinzip aus gedacht und von ihm aus
dann erst zum Schluß der (im Titel also falsch voranstehende
) Begriff des Wortes Gottes erreicht wird.
Wer dem nicht zustimmt, wird immer wieder auf Vereinseitigungen
und Verschiefungen bei allen Problemen
in der Folge dessen zu stoßen glauben. — Andererseits
aber ist, dies vorausgeschickt, zu sagen, daß hier S.
vielfach zu höchst bemerkenswerten Und eigenen Gedankenlinien
und Ergebnissen kommt. Aus der alten
j liberalen Grundposition entstehen unter der Befruchtung
durch die Fragestellungen der dialektischen Theologie
grade in der Tendenz zu deren Ueberwindung Gedankengänge
, die Bausteine zu einer ganzen Neuorientierung
in der Theologie werden können. Freilich so, wie
sie sind, scheinen sie noch sehr viel alte Form mit sich
zu schleppen. Aber sie sind auch nicht jener radikale
Umschlag dieser alten Formen, als der sich die „Theologie
zwischen den Zeiten" heute immer deutlicher enthüllen
lassen muß. — Besonders wertvoll ist die außerordentliche
Energie, mit der gegenüber den Dialektikern
; überall, zumal in den Zentralproblemen von Autorität
und Freiheit, Wort und Existenz, die Größe der Gemeinde
dazwischen geschoben und als Lösemittel für
die verschiedenen Formen der Dialektik aufgewiesen
wird. In der „Gemeinde" verschmilzt wirklich Welt
und Offenbarung, Kreatur- und Sündenbewußtsein, Ergriffenheit
und Handeln, Autorität und Freiheit. In der
Gemeinde, das heißt aber zuletzt in dem „Wort der
Versöhnung", das die Gemeinde stiftet. Dies wird im
einzelnen mit einer ganzen Reihe von Ausführungen
unterbaut, die nicht selten zu einer wirklich
interessierten Zustimmung oder Ablehnung Anlaß geben
. Mit besonderem Interesse und Zweifel an einer
wirklichen Durchführbarkeit habe ich die Thesen begleitet
, daß es wohl nicht beim Einzelnen, aber dafür
durchaus in der Gemeinde so etwas wie „ein gläubiges
Sein" gebe, daß die Versöhnung die Kategorie des Wortes
Gottes, die sonst nur eine Möglichkeit sei, absolut
unumgänglich mache, und daß die Predigt primär als
Funktion der Gemeinde ein Akt des Hörens (aller, des
Predigers wie der Predigthörer) sei; das Reden des
Predigers steht im gemeinsamen Hören der Schrift.

Die „Theologie zwischen den Zeiten" ist restlos
auseinandergebrochen und in sich selbst zu Ende gekommen
. Die große Auseinandersetzung mit ihr durch
S. ist insofern um ihre Aktualität betrogen. Gleichwohl
werden die beiden letzten Bände, weit mehr als der
erste doch stark verunglückte Band gegen Barth, eine
Bedeutung behalten. In ihnen strebt die alte liberale
Theologie, entsetzt sich wegwendend von ihrer Selbstauflösung
bei den Dialektikern, und zugleich zu neuen
Fragestellungen erregt, zu neuen Ufern. Wie weit die
Fahrt freilich gehen wird, bleibt die ganz ungelöste
Frage.

Greifswald. W. Koepp.

Luthardt, D. Chr. Ernst: Kompendium der Dogmatik. Völli«
umgearb. u. ergänzt von Prof. D. Dr. Robert Jelke. 13. Aufl Leipzig"-
Dörffling & Franke 1933. (VII, 467 S.) 8°. RM 10-; geb. 11.20.'

Auch der neue Bearbeiter wahrt, wie vor ihm Lic.
Winter, durchaus den Charakter des Kompendiums, der