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Ausgabe:

1934 Nr. 21

Spalte:

377-378

Autor/Hrsg.:

Kattenbusch, Ferdinand

Titel/Untertitel:

Schleiermachers Größe und Schranke 1934

Rezensent:

Wehrung, Georg

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377

Theologische Literaturzeitung 1934 Nr. 21.

378

setzertätigkeit Schleiermachers an englischen Predigten
und Reisebeschreibungen, wozu er sich in seiner Gutmütigkeit
mehr als recht ist in seinen ersten Berliner
Predigerjahren hergegeben hat. — Aus dem von Meisner
herausgegebenen Briefwechsel war schon zu ersehen,
daß die Berührungen Schleiermachers mit seiner Landsberger
Kusine für seine Kenntnis des weiblichen Herrens
wichtig geworden sind, mit Recht wird dieses Erlebnis
in unserem Büchlein unterstrichen. Ebenso dürfen
wir teilnehmen am Schicksal der frühvollendeten
jungen Gräfin Friederike Dohna, zu der Schleiermacher
eine stille Neigung im Herzen getragen hat. — Die Urteile
Meisners über beide Erlebnisse leuchten mir weniger
ein. — Um es mit diesen Angaben genug sein zu lassen:
das anspruchslose Büchlein hilft uns jedenfalls Einzelnes
aus der Umgebung und den Vorgängen in Schleiermachers
Lehrjahren noch deutlicher sehen als früher.
Tübingen. Georg Wehrung.

Kattenbusch, Prof. D. Dr. Ferdinand: Schleiermachers Größe
und Schranke. Gotha: L.Klotz 1934. (26 S. u. 1 Bildn.) 8°. =
Sonderdr. a. Theol. Studien u. Kritiken. RM 1—.

Ein zusammenfassendes Wort des Hallenser Altmeisters
über Schleiermacher nach den mannigfachen würdigenden
-und wägenden Äußerungen in seinen früheren
Schriften. Der Eindruck von der Universalität Schleiermachers
in theologischer und philosophischer Hinsicht,
von seiner Erschlossenheit für die menschlichen Lebensformen
, für die vielseitige Wirklichkeit überhaupt kommt
stark zur Geltung. Mit Melanchthon möchte die Studie
Schleiermacher zusammenstellen, einem Leibniz vergleicht
sie ihn. Genauer geht sie auf die theologische Linie
seines Denkens ein. Die Bedeutung der Reden tritt hervor
, ihre These vom Eigenrecht und von der (emotional
verstandenen) Eigenart der Religion, ihre Orientierung
nicht sowohl an den Bildungen des Naturlebens als an
denen der Geschichte, des menschlichen Geisterreiches.
Sodann werden die Anliegen der Glaubenslehre beleuchtet
: wer seiner selbst als Mensch inne werde, kenne
das schlechthinige Abhängigkeitsgefühl, und ihm brauche
man nur zu sagen, Gott sei das Woher dieses Gefühls;
Christus wieder erscheine als der Typus unverworrener
stetiger Gottinnigkeit, d. h. des Gottinsichhabens. Schleiermacher
wolle mit seinem Jesusbild einer wirklichen historischen
Person entsprechen, aber als Historiker zeige
er mehr für Lehren als für Personen Aufnahmefähigkeit.
— Die Schranke Schleiermachers findet Kattenbusch wie
in der romantischen Geisteskonstitution, so in der introspektiven
Methode, dem Ausgang vom frommen Subjekt
. Richtig wird das musikalische Moment in der religiösen
Gestimmtheit Schleiermachers hervorgehoben; so
sei er als Denker zu sehr auf das Gefühl als seelischgeistige
Höchstkraft eingestellt. Ebenso kommen die
Schwierigkeiten des Satzes vom schlechthinigen Abhängigkeitsgefühl
eindringlich und scharfsinnig in einer Reihe
Fragen zu Wort. Man dürfe Schleiermacher die Ansicht
zuschreiben, daß der Mensch in jenem Gefühl Welt
und Gott unterscheide (nur nicht scheide), sich und den
Kosmos, genauer gesagt, sich als Glied des Kosmos
in ihm von einem Höheren schlechthin abhängig fühle:
„indes, w i e geschieht im unmittelbaren Selbstbewußtsein
das gemeinte Differenzieren?" usw. — Kattenbusch
sieht in Schleiermacher nicht sowohl den Idealisten
als den Romantiker. Wenn aber z. B., wie wir hören,
in der Ethik Und sonst überhaupt die Formen vor dem'
Inhalt den Vorrang haben, dann scheint das Abstraktions-
denken eines gewissen Idealismus einen stärkeren Anteil
zu haben, als es hier zugegeben ist; der Sachverhalt
scheint also komplizierter zu sein, als wir zunächst
meinen möchten. Andrerseits sei zum Verfahren der
Introspektion angemerkt, daß der Intention nach Schleiermacher
wohl auf das Frömmigkeitsobjekt hingerichtet
ist, doch daß er sich in der Tat mit seinem Ausgangspunkt
die Durchführung erschwert. Auch Kattenbusch
scheint die Reden von 1799 entschuldigen zu wollen,

daß dort die Anschauung eine größere (ja die maßgebende
!) Rolle spielt, und doch war damit allein das
methodische Hingewandtsein zum Objektiven gesichert.
Dieser Weg ist von der Glaubenslehre nicht mehr so
gradlinig innegehalten worden (was mir einst H. J. Holtz-
mann bestätigte). — Wenn der treue Eckart unserer
Theologie angelegentlich betont, daß wir uns nicht mehr
auf Schleiermacher festlegen dürfen, so möge er ohne
Sorge sein. Darum geht es heute längst nicht mehr.

i Troeltsch wollte nochmals bestimmte Grundtendenzen
Schleiermachers unmittelbar weiterführen, doch die Zeit
ist über ihn hinweggegangen. Wir können nur noch die

( tieferen Intentionen Schleiermachers aufgraben und sie
unbeschwert von ihren philosophisch-theologischen Ausführungen
zu Wort kommen lassen. Darüber hinaus handelt
es sich allein um historische Gerechtigkeit gegenüber
dem Manne, dem die evangelische Theologie die
grundlegende Wendung und Neubildung mitten hindurch
zwischen Aufklärung und absoluter Spekulation zu verdanken
hat.

Tübingen. Georg Wehrune.

I Heckel, Theodor: Adolf von Harleß. Theologie u. Kirchenpolitik
eines lutherischen Bischofs in Bayern. München: Chr. Kaiser 1033.
(VIII, 542 S. m. 1 Bildn.) 8°. RM 10—; geb. 12—.

Im Mittelpunkte dieser durchaus con amore geschriebenen
umfangreichen Biographie steht der Kniebeugungsstreit
in Bayern, aufgrund der Kriegsministerialordre
König Ludwigs I. vom 14. August 1838 entfesselt:

„Seine Majestät der König haben allergnädigst zu beschlielien geruht
daß bei militärischen Gottesdiensten während der Wandlung und beim
Segen wieder niedergekniet werden soll. Das Gleiche hat zu geschehen
bei der Frohnleichnamsprozession und auf der Wache, wenn das
Hochwürdigste vorbeigetragen und an die Mannschaften der Segen gegeben
wird. Das Kommando lautet: Aufs Knie."

Über die aus dieser königlichen Entschließung, die
nach des Königs Meinung einen alten Brauch wieder einführte
, die — ebenfalls nach des Königs Meinung —
durchaus auf militärischem Gebiete blieb und sich in keiner
Hinsicht in kirchliche Bezirke vorwagte, sich entwickelnden
Streitigkeiten hatte bereits 1898 E. Dorn
(Zur Geschichte der Kniebeugungsfrage und der Prozeß
des Pfarrers Volkert in Ingolstadt, Beiträge zur Bayerischen
Kirchengeschkhte V, Vi) ausführlich gehandelt.
Heckel stellt diese, den gesamten Protestantismus in
Bayern und auch darüber hinaus beunruhigenden Ereignisse
um die Kniebeugungsordre, in deren Verlaufe
die Regierung immer mehr zurückwich und schließlich
eine glatte Niederlage erlitt, die weder von dem Ressortminister
v. Abel noch von dem Monarchen selbst leicht
getragen wurde, im Rahmen einer Biographie des späteren
bayerischen Oberkonsistorialpräsidenten Adolph v.
Harleß (1852 bis 1879) eingehend dar. Gerade der
Gang des Kniebeugungsstreites mit den aufschlußreichen
Streitschriften angesehener Verfasser auf beiden Seiten
ist besonders geeignet, Probleme wie christliche Staatsführung
, christlicher Staatsmann, Volk und Glaube usw.,
zu denen Harleß — damals Landtagsabgeordneter und
| Professor in Erlangen — überall etwas zu sagen hat,
i eingehend zu durchleuchten. H. tut das im Wesentlichen
. unter Besprechung und reichlicher Anführung heute noch
beachtenswerter Schriften von Harleß. Die Nutzanwen-
j dung auf die Probleme der Gegenwart, die oft außerordentlich
naheliegend und aufschlußreich gewesen wäre,
bleibt H. uns in wohl erwogener weiser Mäßigung
schuldig. Die gesamte biographische Darstellung — Jugend
und Schule in Nürnberg, Studium und Dozententätigkeit
in Erlangen (1828—1845), Abgeordnetentätigkeit
für die bayerische zweite Kammer in München
(1842/43), Konsistorialrat in Bayreuth (1845), Professur
und Pfarramt in Leipzig (1845—1850), Oberhofprediger
und Konsistorial-Vizepräsident in Dresden (1850/52)°—
stellt H. unter Verzicht auf Mitteilung zahlreicher persönlicher
Einzelheiten — wie solche z. B. sich vielfach
auch über Harleß, oft unerquicklicher Art, in Martin