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Ausgabe:

1934 Nr. 21

Spalte:

375-376

Autor/Hrsg.:

Brandt, Theodor

Titel/Untertitel:

Die Kirche im Wandel der Zeit 1934

Rezensent:

Linton, Olof

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Theologische Literaturzeitung 1934 Nr. 21.

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lieh abgelehnt wird dagegen der Hebräerbrief, wenig
kann der Verf. über die Apocalypse sagen; er hängt dazu
auch in diesem Buch zu stark an der Vorstellung der
Diesseitigkeit des Reiches Gottes, das Jesus hier auf
Erden aufrichten wollte. In den Johannäischen Schriften
wird der Satz, daß Gott Liebe ist, am positivsten gewertet
.

Es ist bedauerlich, daß diese wertenden Maßstäbe an
die urchristliche Botschaft herangetragen sind. Aufgabe
des Historikers sollte es sein, eigene Gedanken und
eigene Wünsche möglichst ganz zurückzustellen, und
nur das darzulegen, was er aus den Quellen erarbeitet.
Das Hineintragen subjektiver Anschauungen in so ausgedehnten
Maßstäben, wie es hier geschieht, verdirbt
die Reinheit des Bildes, das gezeichnet werden soll; insbesondere
aber ist das der Fall, wenn man an das allem
Kulturoptimismus fremde Neue Testament kulturoptimistische
Gesichtspunkte heranträgt, wie es M. tut.
Göttingen. H. Seesemann.

Michaelis, Prof. D. Wilhelm: Die Datierung des Philipperbriefes
. Gütersloh: C. Bertelsmann 1933. (63 S.) 8°. = Neutest.
Forschungen. Hrsg. von O.Schmitz. 1. Reihe: Paulusstudien, 8. H.

RM 1.80.

Es ist bekannt, daß M. sich wie kaum ein anderer,
mit größter Energie für Ephesus als Abfassungsort
des Phil, einsetzt, wohin er eine Gefangenschaft des
Pls. zur Zeit seiner dritten Missionsreise verlegt. M. hat
sich schon öfters in diesem Sinne geäußert, in Monographien
und Zeitschriftenaufsätzen. In der vorliegenden
Schrift faßt er nun noch einmal alle Argumente zusammen
, die gegen eine Abfassung in Rom und Cäsarea,
und für eine Abfassung in Ephesus sprechen. Neue
Argumente werden nicht beigebracht, schon bekannte in
Auseinandersetzung mit der Schrift von J. Schmid „Zeit
und Ort der Paulinischen Gefangenschaftsbriefe" (1930)
erneut dargelegt. Auf eine genauere Wiedergabe derselben
darf daher verzichtet werden. Mir erscheinen sie
weniger überzeugend, als wie M. sie schildert. — Im
übrigen scheint die Frage der Datierung des Phil, nicht
so entscheidend, wie es hier angenommen wird: neue
Anregungen für das Verständnis der Paulusbriefe überhaupt
(Michaelis S. 63) können ihr nicht entnommen
werden, bes. wenn man, wie der Verfasser, von der Annahme
einer Einheitlichkeit der Gedankenwelt des Paulus
ausgeht.

Göttingen. H. Seesemann.

Brandt, Lic. Theodor: Die Kirche im Wandel der Zeit. Bd. i:

Die Geschichte der alten Kirche. Leipzig: MBK-Verlag 1933. (139
S.) 8°. kart. RM 3 —; geb. 4-.

Wie neuerdings Joh. Walter hat es auch Lic. Brandt
unternommen, allein die ganze Kirchengeschichte darzustellen
. Seine Arbeit ist auf vier Bändchen berechnet
und davon liegt jetzt das erste vor.

Wie der Verf. seine Aufgabe gestellt hat, ist die
Alleinverfasserschaft fast geboten. Er will nämlich die
Kirchengeschichte nicht nur darstellen sondern auch deuten
und zwar einheitlich deuten. In einem einleitenden
Paragraphen — „Vom Sinn der Geschichte" — legt er
sein Programm vor. Negativ drückt er dies so aus: „Es
gibt keine objektive Geschichtsschreibung" (S. 8), positiv
heißt es: Christus ist „der Mittelpunkt aller Geschichte
" (S. 10) und zwar ist er „keine vergangene
Mitte". Von der Gegenwartsbeziehung her und von
Christus her soll die Kirchengeschichte betrachtet werden
. „Die Kirchengeschichte steht zwischen dem ersten
und zweiten Kommen Jesu", die Kirche lebt „im Aufbruch
zu einer neuen Welt" (S. 11). Im jetzigen Äon ist
die Kirche ihrem Wesen nach eine Kirche des Kreuzes.
„Immer dann, wenn die Kirche zu triumphieren beginnt,
hat sie schon ihr Wesen verleugnet" (S. 12). Die Kirchengeschichte
handelt davon, wie das Ärgernis des
Christentums verschleiert, behauptet oder entdeckt wird.

Wie hat der Verf. diese Gesichtspunkte durchgeführt
? Zunächst muß man sagen, daß seine Arbeit von
den üblichen Darstellungen der Kirchengeschichte nicht
so stark abweicht, wie mancher nach den ersten Seiten
wohl glauben könnte. Es werden in der üblichen Ordnung
die üblichen Themata behandelt. Das bedeutet
aber nicht daß der Verf. seine Gesichtspunkte vergessen
habe. Vielmehr kommt es zum größten Teil daher, daß
ähnliche Gesichtspunkte — vor allem die Idee vom
„Ärgernis" — tatsächlich die Kirchengeschichtsschreibung
und mehr noch die Dogmengeschichte schon längst mit
bestimmt haben. Es sei nur einiges erwähnt: Die Apologeten
haben das Christentum ins Philosophische umgedeutet
und daher das Ärgernis verschleiert. Die Gno-
j sis wollte das Christentum in eine Weltanschauung ein-
j ordnen und hat durch Doketismus und Zurückschiebung
J des Eschatologischen das Ärgernis — Gott in der Ge-
| schichte — beseitigt. Die Hüter des Ärgernisses erschei-
j nen als die Hüter des Christentums. Daraus entsteht
! aber keine kirchliche Panegyrik — wenn man vom Ur-
| Christentum absieht. Auch die kirchlichen Theologen
verunreinigen das Christentum durch fremde Kategorien,
philosophisch - rationale, physisch - magische, politische,
i Keiner sagt zum Evangelium nur ja und keiner sagt zum
Außerchristlichen nur nein. Davon ist Augustin der gewaltigste
Zeuge.

Auf rund 105 S. wird die ganze alte Kirchengeschichte
bis auf die christologischen Kämpfe des 5. Jahrhunderts
behandelt. An Details kann dabei nicht viel erwartet
werden. Doch ist es dem Verfasser gelungen erstaun-
! lieh viel kompendiarisches Wissen von der alten Kirche
in seine Darstellung einzufügen. Verhältnismäßig stark
wird die Dogmengeschichte berücksichtigt. Quellenkritik
und anderes mehr, was der Stolz der „objektiven" Forschung
war, ist allerdings vernachlässigt, dafür aber
ist die Darstellung aktuell und lebendig, aufs „Wesentliche
" gerichtet. Als Einführung in die Kirchengeschichte
kann das Buch, wie es der Verf. hofft, gut dienen. Einige
[ Beilagen: Anmerkungen und Literatur, Zeittafel, Fremdwörterverzeichnis
tragen dazu bei.
Uppsala. Olof Linton.

; Meisner, Heinrich: Schleiermachers Lehrjahre. Hrsg. von
Hermann Mulert. Berlin: W. de Gruyter & Co. 1934. (VII,
85 S.) 8°. RM 4.20.

Dem 1929 fast achtzigjährig verstorbenen Direktor
| an der Berliner Staatsbibliothek verdanken wir die Her-
| ausgäbe mehrerer Bände Briefe Schleiermachers in ge-
i genüber der alten Ausgabe unverkürzter Form; hier bietet
uns H. Mulert ein Werkchen Meisners, das, als Er-
i gänzung zur großen Diltheyschen Biographie gedacht,
den von der Literaturarchiv-Gesellschaft verwahrten handschriftlichen
Nachlaß Schleiermachers sorgfältiger und
umfassender, als bisher geschehen, für unsere Kenntnis
; der Lehrjahre auszunützen bemüht ist. Natürlich bleibt
die Linie der Darstellung Diltheys unverrückt, doch dür-
j fen wir uns in der Tat einiger wertvoller Ergänzungen
I und Berichtigungen erfreuen. Wir erfahren z. B. Genaueres
über die damaligen Lehrer in Barby oder über die
theologischen Dozenten in Halle, unter denen nun S.
Mursinna in seinem Verhältnis zum jungen Schleier-
1 macher in ein helleres Licht tritt. Wertvoll, auch in kul-
; turgeschichtlicher Hinsicht, sind die Mitteilungen aus
' den jeweiligen Prüfungsakten, woraus wir zum ersten
i Mal Sicheres über die Themen oder die einzelnen Noten
vernehmen. Man sieht sich doch sofort ins ausgehende
18. Jahrhundert versetzt durch das Klausurthema: welche
Streitigkeiten sind in älteren und in neueren Zeiten in
Anschauung der natürlichen Kräfte des Menschen zum
j Guten gewesen? Mit Humor liest man, daß der Examinand
neben sonst lauter glänzenden Noten in der Dog-
matik in der ersten Prüfung das Prädikat „ziemlich",
i später das* Prädikat „hinlängliche Kenntnis" erhielt. Wieder
werden wir mit den unveröffentlichten Predigtentwür-
! fen aus der Landsberger Hilfspredigerzeit näher bekannt
! gemacht, oder wir erfahren Eingehenderes über die Über-