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Ausgabe:

1934 Nr. 21

Spalte:

371-372

Autor/Hrsg.:

Uxkull-Gyllenband, Woldemar

Titel/Untertitel:

Das Bildungs- und Wissenschaftsideal im Altertum 1934

Rezensent:

Breithaupt, G.

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371

Theologische Literaturzeitung 1934 Nr. 21.

372

bereiter des Christentums, Alexander d. Gr., beginnend
und mit Proklos den Schlußpunkt setzend, dem Neupia-
toniker, in dem das griechische Denken sich am weitesten
von seinem ursprünglichen Ausgangspunkt, der nüchternen
Kritik (väcps xal uiuvao-o ämatEiv) entfernte und dem
Glauben, der ruoTic, sich zuwandte, so daß an diesem
äußersten Endpunkt der Mystiker sprechen konnte: Laßt
mich, den Müden, endlich dem Hafen der Frömmigkeit
nahen! Von dei cburma zur jurm? und rfiaeßsia; das ist
der Weg, den das griechische Denken zurücklegte bis
zu dem Zeitpunkt, wo, angeblich im gleichen Jahre, die
platonische Akademie in Athen geschlossen und die
künftige große Pflanzstätte der ganz anders gearteten
mittelalterlichen Wissenschaft, Monte Cassino, gegründet
wurde. Der Schlußakt dieser erschütternden Tragödie
wird in dem vorliegenden Bande vorgeführt und die Kräfte
treten lebendig vor unsere Augen, die hier wirkten.

Der äußere Schauplatz, jetzt durch Alexander bedeutend
erweitert, ist die hellenistische und römische Welt,
in der alle Völker zu einer Einheit verschmelzen sollten,
in der ebenso die Gedanken und die Kulte wie die Menschen
sich mischten. Eine innere Wandlung, teilweise
auch Erschöpfung des griechischen Geistes tritt ein,
kenntlich an der Veränderung, die die hellenische
Götterwelt erlebt, in die jetzt der vergottete Herrscher
neu hineintritt und in der Asklepios und Dionysos an
Macht gewinnen, kenntlich aber auch an der Neuorientierung
des Denkens, das vom Diesseits weg hinüber zum
Jenseits sich wendet, wohin nach dem Vorgang der
orphischen Sekten bereits Piaton nachdrücklich und deutlich
den Weg gewiesen hatte. Und so wird die griechische
Welt immer mehr bereit, orientalisches Gedankengut
, orientalische Kulte und die klerikalen Wissenschaften
des Ostens, insbesondere die Astrologie, aufzunehmen.

Diese Bewegungen schildert Nestle im ersten, allgemeinen
Teil in folgenden Kapiteln: Die Kultur des
Hellenismus und das römische Reich; Herrscherkult und
Gottmenschentum; die hellenische Götterwelt; das Vordringen
orientalischer Religionen; Wandlungen im Wesen
der griechischen Religiosität; der astrologische Glaube
(hier müßte man wohl B ol 1 - Bezo 1 d - G u n de 1,
Sternglaube und Sterndeutung, 4. Aufl. 1931, nennen);
die Dämonisierung der Religion; der solare Monotheismus
; Philosophie als Ersatz der Religion (hierzu und
zum folgenden Teil kann jetzt auch noch auf Stelzen-
berger, Die Beziehungen der frühchristlichen Sittenlehre
zur Ethik der Stoa, 1933, verwiesen werden). Im
zweiten Teil werden sodann die typischen Vertreter der
hellenistischen Religiosität besprochen, Theophrast, Epi-
kur, Polybios, Poseidonios, Apollonios von Tyana, Dion
Chrysostomos, Plutarch, Epiktet, Kaiser Markus, Ari-
stides, Plotin, Julian, Proklos u. a. m. Dabei werden
nicht nur in großen Zügen die Hauptlinien gegeben, sondern
allenthalben wird, unter Hinweis auf die Quellen,
auch auf Einzelheiten eingegangen, insbesondere auch
das Judentum und das Christentum in den Bereich der
Betrachtung gezogen. Einem so interessanten Mann wie
Apollonios von Tyana wird z. B. über ein Dutzend Seiten
gewidmet, die 4. Ekloge Vergils wird genau besprochen
.

So darf man dem Verfasser, der das Werk an der
Schwelle seines 70. Lebensjahres vollendete, den herzlichsten
Dank und Glückwunsch aussprechen.
Würzburg. Friedrich Pf ist er.

GrafUxkull-Qyllenband,W.: Das Bildungs- und Wissenschaftsideal
im Altertum. Mit einer Einleitung: Probleme der
Universität von Paul Simon. Stuttgart: W. Kohlhammer 1933.
(II, 28 S.) gr. 8°. = Öffentl. Vorträge d. Universität Tübingen Wintersemester
1932/33. Die Universität, ihre Geschichte, Aufgabe und
Bedeutung i. d. Gegenwart. Württ. Ges. z. Förderung d. Wiss. 1.

RM 1.35.

Graf Uxkull-Gyllenband eröffnet eine Reihe von Tübinger
Hochschulvorträgen, die das Problem der Universität
zum Gegenstande haben, mit einer Skizze des

j Bildungs- und Wissenschaftsideals im Altertum. Er zeigt
j mit kurzen, kräftigen Strichen die ursprüngliche Verbundenheit
der Bildung, Paideia, mit dem Staatsgedanken,
, der ihr Ziel bildet, das Schwinden des Gemeinschaftsgedankens
und die damit zusammenhängende Wandlung
der Bildung im Zeitalter des sophistischen Indi-
I vidualismus, das Bemühen des Sokrates und Piaton, die
| ehedem selbstverständliche Einheit des Lebens durch
I Wissenschaft, Philosophia, die den Idealstaat sucht, wiederherzustellen
, die Spaltung der Wissenschaft in menschheitbeglückende
Philosophie und empirische Einzelwissenschaften
im Hellenismus, die Entstehung der römischen
Humanität. Der Wert der Arbeit liegt in der Lehre,
die die Bildungswelt des Altertums gibt, nämlich „daß
I die Vorbedingung zur Einheit menschlicher Lebensform
| im Staate ruht, und staatliche Bildungsansitalten sind die
j deutschen Universitäten in einem der Antike gänzlich
unbekannten Ausmaß, so daß sich erübrigt, auf die Bedeutung
des Staates für ihre Gestaltung zu verweisen".
Wer sich mit dem Werden der Paideia eingehender be-
I schäftigen will, als es ein Vortrag tun kann, muß zu
Jaegers Paideia greifen, deren erster Band kürzlich erschienen
ist. Vorausgeschickt ist dem Vortrage eine Abhandlung
P. Simons über Probleme der Universität wie
Forschung und Lehre, Universität und Staat, weltanschauliche
Einheit oder Spaltung.
Northeim. G. Breithaupt.

I Nock.A. D.: Conversion. The Old and the New in Religion from
Alexander the Great to Augustine of Hippo. Oxford: Clarendon Press
| 1933. (XII, 309 S.) 8°. 15— sh.

Eine überaus wertvolle Untersuchung über den Begriff
der Bekehrung auf historischer Grundlage, die sich
besonders auch dadurch vor vielen englischen Werken
auszeichnet, daß die deutsche Forschung — nicht nur
die in englischer Übertragung vorliegende — eingehend
herangezogen wird. Unter „conversion" versteht der
Verfasser „the reorientation of the soul of an individual,
I his deliberate turning from indifference or from an
earlier form of piety to another, a turning which implies
a consciousness that a great change is involved, that
the old was wrong and the new is right". Dabei unterscheidet
er zweierlei Arten derselben, als Rückwendung
zur Überlieferung und der durch sie bestimmten Gemeinschaft
oder „to an unfamiliar form of piety either from
j a familiär form or from indiffenrence". Psychologisch
[ ist diesen beiden Formen gemeinsam, daß der enthusia-
j stisch Bekehrte das Gefühl hat, niemals zuvor von einem
solch kindlichen Glauben ergriffen worden zu sein. Hier
I bezieht sich der Verfasser auch auf die bedeutsamen
I Analysen von W. James in dessen ,Varieties of Religious
Experience'(1902). Nach dieser allgemein grundlegenden
■ Begriffsbestimmung wird die Idee der Bekehrung inner-
| halb des Griechentums der vor- und nachalexandrini-
I sehen Epoche zu ermitteln gesucht, wobei der Verfasser
i für die Orphik den Bekehrungsgedanken annimmt, da
wohl eine heilige Literatur aber keine Kirche sich gebildet
habe. Die nachalexandrinisch-bellenistische Zeit ist
durch das Eindringen der orientalischen Religionen charakterisiert
und wird auch die Frage eines eventuellen
Einflusses des Buddhismus (Asoka) auf die westliche
Religiosität kurz gestreift (S. 46 f.). Ehe sich der Verfasser
der Schilderung der Wanderung östlicher Kulte
sowie ihrer Anziehungskraft auf die Gläubigen zuwendet
, beschreibt er die gegensätzlichen Strömungen auf
I dem Boden des Griechen- und Judentums und das Ein-
| dringen dieser Kulte (Cybele, Mithras) in Rom. Auf dem
; Wege individueller Propaganda, durch Aufzüge, Wunder-
i taten u. a. warben diese Gläubigen für ihre religiöse Sonderart
, indem sie alle Kreise der Bevölkerung erfaßten, ja
! auch auf das werdende Christentum Einfluß gewannen,
j ,The success of these cults in the Roman Empire' und
ihre weite Verbreitung bis an die Grenzen des Reichs legt
in großen Zügen ein weiteres Kapitel dar, dem als anti-
kes Beispiel einer solchen Bekehrung die von Apuleius