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Ausgabe:

1934 Nr. 20

Spalte:

360-361

Autor/Hrsg.:

Leisegang, Hans

Titel/Untertitel:

Goethes Denken 1934

Rezensent:

Kohlschmidt, Werner

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Theologische Literaturzeitung 1934 Nr. 20.

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schlosseneren Auffassung der a. c. gekommen. Die lex
aeterna ist der Rechtsteil, der allerdings nicht durch
irgendeine Ratio verändert werden darf. Ihm hat sich
auch die lex naturalis zu fügen. Von hier aus ist die
Geltung des gefährlichen Satzes überhaupt in Frage gestellt
, daß die aequitas die Frage entscheiden könnte,
ob ein Gesetz überhaupt verpflichten könne (S. 187).
Die aequitas als dynamisches Prinzip des Rechtes ist
überhaupt ein Zeichen dafür, daß das Recht, das dieses
Prinzip braucht, ein formales Recht ist. Je konkreter die
lex humana in Beziehung zu den geistigen Grundlagen
steht, umso weniger braucht sie sich einer aus der lex
naturalis fließenden aequitas zu beugen. Je reiner die lex
aeterna in ihrer Herrschaft auch über das Kirchewrecht anerkannt
wird, umso weniger wird das Kirchenrecht der
aequitas bedürfen. Weltgeltung des kanonischen Rechtes
im Gebiet der Kirche und Häufung von Bestandteilen
der lex humana im kanonischen Recht haben notwendig
die Bedeutung der aequitas erhöht. Aber soll das Recht
seine allgemeine Rechtshoheit behaupten, so kann die
aequitas nur da eingreifen, wo die Gesetze einen dispositiven
Charakter haben, anders kann das Rechtsgebiet
organischen Charakter nicht behalten, es würde in ihm
ein Schein willkürlicher Satzung auftreten.

Göttingen,_Hans Niedermeyer.

Luther, Johannes: Legenden um Luther. Berlin: W. de Oruyter
&Co. 1933. (49 S.) gr. 8°. = Oreifswalder Stud. z. Lutherforschg. u.
neuzeitl. Geistesgeschichte. Hrsg. von d. Greifswalder Gelehrten Ges.
f. Lutherforschg. 9. RM 3—.

Drei Legenden um Luther wird in sorgfältiger Untersuchung
und überzeugender Beweisführung von Joh.
Luther ein nun hoffentlich endgültiger Abschied gegeben.
Die erste Untersuchung befaßt sich mit den berühmten
Schlußworten Luthers in Worms: Hier stehe ich usw.
Obwohl schon C. A. H. Burkhardt 1869 die durch die
Wittenberger Gesamtausgabe der Werke Luthers (Bd.
II; 1546) populär gewordene Fassung auf Grund des
Berichtes Spalatins über die Wormser Verhandlungen
als legendär erwiesen und auf die kurze Formel: „Gott
helfe mir, Amen" zurückgeführt hatte, obwohl die historische
Forschung das Ergebnis Burkhardts bekräftigt
und K. Müller nochmals (1907) in eindringender Untersuchung
der Quellen die pathetischen Schlußworte als
nicht von Luther gesprochen und die schlichte kurze
Fassung als das echte Lutherwort nachgewiesen hatte,
wucherte die Legende weiter. Der pathetischen, von
Knaake und Köstlin verteidigten Fassung wurde in der
populären Überlieferung der Vorzug gegeben. Aber trotz
ihrer Vorliebe für das Pathetische und Sentimentale
müßte sie hier verzichten lernen. Keine historische Beobachtung
rechtfertigt die längere Fassung. Mit der alten
lateinischen Eidesformel: „deus adiuvet rae", die Luther
in seiner nachträglichen Niederschrift mit den deutschen
Worten: „Gott helfe mir" wiedergab, schloß Luther
seine Weigerung zu widerrufen. Damit beschwor, wie
Joh. Luther schreibt, der Reformator vor Kaiser und
Reich seine innerste Überzeugung. Wenn Peutinger das
Schlußwort in der Form: „Gott komm mir zu Hilf" überliefert
und der Berichterstatter der Wormser Drucke:
„Das helf mir Gott", so bringt dies, wie Joh. Luther
mit Recht hervorhebt, keine Unsicherheit in das Ergebnis
. Diese belanglosen Abweichungen sind Übersetzungen
der lateinischen Fassung. Hoffentlich wird es Joh. Luther
beschieden, die Wormser Lutherlegende ganz zu
verscheuchen.

Ein gleicher Erfolg wäre den Feststellungen zu wünschen
, die dem leider weit verbreiteten angeblichen Lutherwort
: „Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang"
usw. gelten. Noch unter der Redaktion Math. Claudius'
hat der Wandsbecker Bote diesen Vers als von Luther
stammend den Lesern vorgesetzt (1775). Daß der Bote
auf eine ältere Überlieferung sich stützt, ist zweifellos.
Um auf sicheren Boden zu gelangen, wendet Joh. Luther
seine Aufmerksamkeit nicht der Zusammenstellung von
Weib, Wein und Gesang zu — von hier aus wird man

j in der Tat zu keinem Ergebnis kommen —, sondern dem
charakteristischen Reime „Gesang — sein Leben lang".

i Johannes Luther kann feststellen, daß dieser Reim in
Jost Ammans Kartenspielbuch von 1588 belegt ist, der
Reimspruch also schon im 16. Jahrhundert vorhanden

j war, mit Luther aber nichts zu tun hat.

Eisenach ist die Stadt der Lutherlegenden. Während

j Erfurt, dank vor allem der unermüdlichen und erfolgreichen
Arbeit Biereyes, den Besuchern statt der Legen-

I den geschichtliche Wirklichkeit zeigt, blüht in Eisenach
und auf der Wartburg noch die Legende. Mit der bekanntesten
, dem angeblichen Tintenfleck im Lutherzim-

I mer der Wartburg, beschließt Joh. Luther seine Untersuchungen
. Nach der ältesten, aber doch schon recht
späten Form (1698) hat nicht Luther nach dem Teufel,
sondern dieser nach ihm das Tintenfaß geworfen. In
dieser Fassung ist sie noch früher für Wittenberg bezeugt
(1591). Ja sie kann bis ungefähr in Luthers
Lebenszeit zurück verfolgt werden. Schon diese Form
läßt sofort erkennen, daß wir vor einer Legende stehen.
Da sie mit verschiedenen Stätten verknüpft wird — auch
die Koburg erfreut sich eines Luther'schen Tintenflecks
— haben wir es mit einer Wandersage zu tun. Ich wünsche
den methodisch und sachlich erfreulichen Untersuchungen
Joh. Luthers aufmerksame Leser und eine
weite Verbreitung.

Kiel. O. Scheel.

Le i s e gan g, Hans: Goethes Denken. Leipzig: F. Meiner 1932.
(XII, 182 S. m. 1 Zeichng. Goethes) gr. 8°. RM 6.75 ; geb. 8.50.
Die Methode, mit der das vorliegende Buch arbeitet,
ist nun schon keine neue mehr. L. hat sie in seinen
„Denkformen" bereits vor Jahren systematisch begründet
. Er hat in seinem Lessingbuch ihre Anwendung an
einer runden und genauen Leistung unternommen. L. geht
auch hier von der Voraussetzung vorbestimmter Prägungen
des denkenden menschlichen Daseins aus und
fragt der Zugehörigkeit Goethes zu einer von ihnen nach.
Er will damit durchaus weiter, als die bisher geübte
„Quellen"forschung es vermochte, vorstoßen, also nicht
mehr nach den Einflüssen fragen, sondern nach der Goethe
ganz eigenen Denkart. Wie schon das Buch über
Lessing gibt sich auch diese Arbeit bewußt als Interpretation
.

Die Gliederung ist nach den Symbolen der „Orphi-
schen Urworte" angelegt, unter deren Zeichen die innere
Geschichte Goethes gestellt wird. Während das Kapitel
„Daimon" Goethes Ausgangspunkte, wie sie sich im
vorweimarischen Jugendwerk verraten, freizulegen sucht,
gibt der Abschnitt „Tyche" Goethes Auseinandersetzung
mit den auf der Höhe des Lebens unvermeidlich und
oft unvermutet an ihn herantretenden äußeren und inneren
Aufgaben. Hier handelt es sich vor allem um die
vom Naturwissenschaftlichen her notwendige Versachlichung
und Systematisierung des im Jugendwerk noch

I wesentlich intuitiv sich ergebenden ,ymystischen" Pantheismus
, die zum Teil in der Kommunikation mit Herder
vollzogen wird. Die große weltanschauliche Auseinandersetzung
, die die Erregung an Kant und Schiller heraufführt
, die Art von Goethes „Realismus" (vor allem
auch seiner Erkenntnistheorie) wird unter dem Thema
„Eros" gezeigt. Als „Anangke" wird in einem Schlußkapitel
Goethes Auseinandersetzung mit Newton begriffen
. Goethes Denk- und Sehweise, wie sie in der Farbenlehre
zutagetritt, zeigt sich hier besonders deutlich als

I Grenze seines Arbeitsverfahrens und seiner Verständnismöglichkeit
.

Das Ergebnis der L.schen Untersuchung ist die Feststellung
von Goethes Zugehörigkeit zur mystisch-pan-
theistischen Denkform.

Die Richtung, in der diese Zuordnung liegt, ist nicht
neu. Die Neigung zur' Immanenz liegt bei Goethes üot-
tesbegriff ja klar genug am Tage. Ob sie freilich eindeutig
und radikal genug ist, um ein wirklich pantheisti-
sches Weltverständnis zu verraten, das wird auch in L.s
Buch nicht hinreichend belegt. Die skeptischen und