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Ausgabe:

1934 Nr. 19

Spalte:

347-348

Autor/Hrsg.:

Maschke, Erich

Titel/Untertitel:

Der Peterspfennig in Polen und dem deutschen Osten 1934

Rezensent:

Jonat, Friedrich Karl

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347

Theologische Literaturzeitung 1934 Nr. 19.

348

Maschke, Erich: Der Peterspfennig in Polen und dem
deutschen Osten. Leipzig: J. C. Hinrichs 1933. (IV, 364 S.)
8°. = Königsberger Histor. Forschgn. hrsg. von F. Baethgen u. H.
Rothfels, Bd. 5. RM 21—.

Das Werk, ursprünglich eine Habilitationsschrift, berührt
entgegen der Erwartung des Lesers weniger das
Gebiet des Kanonischen Rechts, als vielmehr die Geschichte
Polens im XL—XIV. Jahrhundert. Die Gestaltung
und Entwicklung des gegenseitigen Verhältnisses
zwischen dem Polenherzog Miseko (dessen dynastische
Verbundenheit mit den skandin. Fürstenhäusern von
Rügen und Dänemark nicht beachtet ist) einerseits und
den deutschen Königen als Trägern der Kaiserkrone des
heiligen Römischen Reiches andererseits ist in den Mittelpunkt
gestellt. Die päpstliche Kurie wird als der
tertius gaudens im Streit der Könige von Großpolen mit
den Ostdeutschen angesehen, der auf die juristische, finanzielle
und politische Erweiterung ihrer unter Papst
Johann XV. erworbenen Rechte bedacht ist und in geschickter
Weise die augenblickliche Schwäche Deutschlands
(z. B. 1014 und 1318) ausnutzt, um auf Kosten
der Kaiserkrone durch die Förderung des poln. Staatsseparatismus
immer neue Vorteile herauszuschlagen.
„Diese Stellung der Kurie blieb traditionell" (S. 22).
Polen hielt sich im gewaltigen Streit der Kaiser mit den
Päpsten zu den letzten und empfing seinen Lohn dafür
in der Gestalt der wiederholt zuerkannten Königskrone,
in derselben Weise, wie die Häuptlinge anderer Slaven-
stämme (Böhmen, Galizien, Litauen).

Verf. zieht geschickte Vergleiche zwischen der Abwärtsbewegung
der Rechte Roms in England in Sachen
der Entrichtung des Peterspfennigs (vom Lehnsverhältnis
zum reinen Devotionspflichtverhältnis) und der Entwicklung
des Peterspfennigsproblems in Polen der Pia-
sten. Gewiß läßt Verf. einen wichtigen historischen
Faktor bei der Behandlung dieses Problems außer Sicht,
den Antagonismus zwischen den bedeutendsten Zweigen
der Piastendynastie, der von Gnesen, Krakau und der
(erst 1528 nicht ohne Mithilfe der Kurie ausgerotteten)
kujavisch-masovischen Linie (der Fürsten von Czersk).
Dafür zeigt Verf. eine gute Kenntnis der kirchenpolitischen
Zustände in Schlesien. Die von M. eingehend
besprochene Frage des politischen Wesens der päpstl.
Rechte über das großpolnisch-gnesener Herzogtum, das
von Rom und dem Kaiser zum Königreich erhoben wurde
, findet in Masovien ihre Parallelen in der Ziemia
Sielunska (am Narew- und Bugfluße gelegenes geistl.
Fürstentum), im geistl. Fürstentum Severien (in der
Nähe Krakaus), in Ermeland und in mehreren anderen
geistl. Fürstentümern auf poln. Boden. Eine rechtlichgeschichtliche
Parallele zwischen der „Schenkung" Mise-
kos und anderen „Schenkungen" verschiedener anderer
poln. Dynasten wäre eine dankbare Aufgabe für kommende
Forscher, die sich mit den Diözesanarchiven
Nordpolens bekannt machen wollten. Die vom Verf.
auf S. 33 unbeantwortete Frage, welches die Motive
dafür waren, daß nicht mehr der Fürst, sondern das
Volk den Peterspfennig zu zahlen hatten, nachdem die
neuen Steuern („Herdabgaben") anstelle der alten „Seelensteuer
" getreten, würde dann klar gelöst sein. Die Annahme
, daß nach Gregors VII. erfolgten kirchl. Finanzreform
der Peterspfennig direkt gezahlt wurde und das
Polenvolk somit in eine persönliche Abhängigkeit von
Rom verfiel (S. 117), würde dann weniger kategorisch
ausgesprochen werden.

Als den wertvollsten Teil der Arbeit M.'s betrachte ich
den zweiten, in dem der Kampf zwischen der Kurie und
dem Kreuzritterorden wegen des Peterspfennigs geschildert
wird. Der Prozeß von 1318—1323 ist meisterhaft
charakterisiert. Das Spiel der Ostmächte wurde vom
Verf. glänzend erfaßt (S. 93—182).

Im allgemeinen darf gesagt werden, daß das Werk,
das Dinge aus der Zeit vor einem halben Jahrtausend
behandelt, sehr lesenswert für den modernen Politiker
ist. Genau wie damals tritt das neuerrichtete Polen am

' Gängelband des Vatikans gegen das jüngst geeinte
Deutschtum auf die europäische Arena vor. Und genau
wie im Zeitalter der letzten Piasten, so sehen wir heute
eine Verflechtung der eigennützigen Pläne des hl. Stuhles
auf politisch-finanziellem Gebiet mit dem Ränkespiel

! neuerstandener Nationalstaaten Mitteleuropas, der Litauer
, Polen und Tschechen. Bedenkt man, daß damals
der Osten Europas, genau wie heute, durch eine der ge-

■j samten Christenheit feindliche, vorwiegend asiatische

I Welle (Tatarenjoch seit 1212 in Rußland, Türkenjoch
auf dem Balkan) bis an die Grenzen jener Völker die
Christenwelt zu überschwemmen drohte, so ergibt sich
eine große geopolitische und kulturhistorische Analogie
zwischen dem Zeitalter des Kampfs um den Peterspfennig
und unserm Zeitalter, dem Zeitalter der von Rom
mit Warschau, Prag und Wilna neuabgeschl. Konkordate.
Serock._______F. K. J o n a t.

Le u p o 1 d, Ulrich: Die liturgischen Gesänge der evangelischen
Kirche im Zeitalter der Aufklärung und der Romantik.

Kassel: Bärenreiter-Verlag 1933. (169 S. u. 1 Tabelle) 8°. kart. RM 3.50.

Eine ungemein fleißige und sorgfältige Arbeit. Sie
bildet eine Doktordissertation in der Berliner philosophischen
Fakultät. Man muß dem Evangelischen Oberkirchenrat
und der Deutschen Gesellschaft zur Förderung
der evang.-theol. Wissenschaft danken, daß sie Mittel
bereitstellten, um den Druck zu ermöglichen. Denn diese
Arbeit erschließt wirklich Neuland. Was sollten Aufklärung
und Romantik an Liturgie und Kirchenmusik
für ein Interesse haben? Man löste ja doch alle kirchliche
Überlieferung auf. Aber grade weil man auflöste
— und etwas Neues, Eigenes wollte, konnte man an
der Liturgie und Kirchenmusik nicht vorübergehen. Man
lehnte das geschichtlich Gewordene ab und mußte aus
dem, was man wollte, neue Regeln für die Liturgie und
die Kirchenmusik aufstellen. Denn man hat seine eigene
Meinung vom Wesen und Sinn des Gottesdienstes. „Forderte
man in der Aufklärung eine möglichst vom Gefühl
bestimmte, aber' doch formal einfache Kirchenmusik
, so lag dabei in erster Linie die Absicht zugrunde
auf diese Höhe möglichst unmittelbar und möglichst
viele „Zuhörer" zu packen und zur Aufmerksamkeit auf
die verkündigten Worte hinzuhalten. Sie beurteilte —■
grob gesagt — die Kirchenmusik nach dem Erfolg bei
den Zuhörern und kam so zu jenem Ideal einer möglichst
eingängigen, melodiösen, liedförmigen Kirchenmusik.
Demgegenüber glaubt die Romantik die echte Kirchenmusik
weniger daran erkennen zu können, daß sie auf
das Gefühl wirkt als daran, daß sie aus dem religiösen
Gefühl stammt" (S. 65). Daher fordert die Aufklärung
in der Liturgie und Kirchenmusik Dialog, Wechselgesang
und will durch einfache, rührende Melodien die Gemüter
„veredeln", die Romantik fördert den Sologesang, will
die Liturgie als Bekenntnis des Einzelnen und will sie
gefühlsmäßig erheben zu einer „sinnlich-geistigen" Einheit
mit Gott. Man soll in der Liturgie den Eindruck haben
vom „höheren Chor", der sein Halle!ujah singt. Mit
einer erstaunlichen Belesenheit in die Quellen wird dies
alles innerhalb und außerhalb der Landeskirche belegt
und aufgezeigt. Die Schrift gliedert sich in 3 Teile. Der
erste handelt von der Auflösung der überlieferten musikalischen
Form des Gottesdienstes, vom Verfall der
Ordnungen in Kirche und Schule und vom Wandel der
Anschauung vom Gottesdienst, der zweite vom Neuaufbau
der musikalischen Form des Gottesdienstes im
Zeitalter der Aufklärung und der Romantik, der letzte von
der Wiederherstellung der historischen musikalischen
Form des Gottesdienstes und führt sehr fein und gediegen
in die Aufbauarbeit Friedrich Wilhelms III. und
seiner Kirchenagendenkommission ein. Eine Fülle von
Stoff und Material ist durchgearbeitet und dargestellt,
Notenbeilagen und vergleichende schematische Neben-
einanderstellungen erläutern das Gebotene. Die Hym.io-
| logie wird für diese Schrift dankbar sein. Sie führt
I historisch sauber und exakt in ein „dunkles" Gebiet ein.
| Ich vermisse nur sehr ein abschließendes, zusammen-