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Ausgabe:

1934 Nr. 19

Spalte:

343-346

Autor/Hrsg.:

Bauer, Walter

Titel/Untertitel:

Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum 1934

Rezensent:

Koch, Hugo

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Theologische Literaturzeitung 1934 Nr. 19.

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selbst der hier redet, dann fällt natürlich die Anschauung
dahin, daß der „Knecht Jahwes" der Prophet Deu-
terojesaja selbst sei und ein frommer und anhänglicher
Schüler (also Tritojesaja) das Bild seines im Märtyrertode
umgekommenen Herrn und Meisters in Jes. 53
gemalt habe. Der Knecht Jahwes ist vielmehr, der
davididische König der Zukunft (S. 125). Nach S. 117
liegt es so: „die Möglichkeiten in der Verfasserfrage ...,
sind also: Ein Redner und Schriftsteller in den früheren
Jahren 536 bis ungefähr 530, entweder 1) Deuterojesaja
selbst nach der Heimkehr, in seinen letzten Lebensjahren,
oder 2) ein geistig verwandter Schüler in derselben
Situation. Wenn sich gegen Deuterojesaja keine Einwände
vorfinden, dann m u ß er der Verfasser sein, sonst
der Schüler." Aber dies argumentum e silentio ist unzulässig
— dazu lassen sich m. E. eine Reihe Bedenken,
die gegen Deuterojesaja als Verf. sprechen, nicht so
leicht bei Seite schieben. — Gewiß manche Teile klingen
sehr an Deuterojesaja an (so 60—62), und sind auch
sehr verwandt miteinander und mit 57,14—IQ, sodaß
man hier an einen Verfasser denken kann — der nicht
gerade Deuterojesaja gewesen zu sein braucht —; daneben
gibt es vieles, was kaum an Deuterojesaja erinnert
— weder in Form noch Oedanken; manches mag
auch zeitlich weit vor ihm liegen, so etwa das Volksklagelied
63,7—64,11, so die Scheltrede gegen die Dirne
Jerusalem in Jes. 57,7—13 (s. Eißfeldt, Einleitung ins
A.T. 1934, S. 387, vgl. Budde, bei Kautzsch*, S. 697.
710). Anderes wieder muß doch wohl weit später angesetzt
werden, so die Erwähnung der Gottheiten Gad =
Glück und Meni — Zufall, die wohl auf die hellenistische
Zeit zu weisen scheinen. — Über Möglichkeiten und
Wahrscheinlichkeiten kommt man bei dem Stande des
Materials doch nicht recht hinaus. Jedenfalls ist es
sehr dankenswert, däß der Verfasser noch einmal mit
großem Fleiß, großer Scharfsicht für die Annahme deu-
terojesajanischer Abfassung eintritt. Es gilt das zu prüfen
. — Einige Schönheitsfehler hätte ich anzumerken.
S. 7 kann man zu 48,16 b wohl >Y7^ = er hat gesalbt,
aber nicht 133B?a in diesem Sinn ergänzen. 43,14 wird
man besser mit Köhler und Duhm tr^o ,rrna lesen als
ritoa Trnn = ihr Gefängnisriegel. Die Conjectur pj
= und Speichel zu 61,7 begegnet unnötigerweise 2x
(S. 8 und 78), bietet auch nichts Neues. „Die sprachliche
Tracht von Zurechtweisungen ist aber meist schlecht"
S. 112 mutet uns ebenso fremd an wie das häufig entgegentretende
. — weiters. = —.

Der 2. Teil — von Köhler — S. 189—253 — gibt
uns die willkommene Fortsetzung seines „Deuterojesaja"
(Jes. 40—55) stilkritisch untersucht 1923. Der Text
selbst — metrisch behandelt — die Übersetzung und
kurze Bemerkungen zu den einzelnen Abschnitten laden
zur Nachprüfung ein. Wichtig sind die Bemerkungen
zur Textgestaltung und zur Metrik. Gerade die Betonung
des Unterschiedes von gesprochener und gesungener
Poesie und die Bedeutung dieser Erkenntnis für die
Metrik scheint sehr bemerkenswert. Dazu noch eine
Reihe feiner Bemerkungen und Beobachtungen, für
die man Grund hat, dankbar zu sein.

Bonn. J. Meinhold.

Bauer, Prof. Walter: Rechtgläubigkeit und Ketzerei im
ältesten Christentum. Tübingen: J. C. B. Mohr 1934. (VII,
247 S.) gr. 8°. = Beitr. z Hist. Theologie, 10. •
RM 14—; geb. 15.80; in Subskr. 12.60; geb. 14.40.

Die kirchliche Geschichtsbetrachtung über Rechtgläubigkeit
und Ketzerei geht dahin, daß Jesus seinen Aposteln
die reine Lehre geoffenbart habe, diese sie in die
Welt hinausgetragen und in den Ländern, die ihnen zufielen
, verkündet hätten, daß dann Irrlehrer aus unlauteren
Beweggründen aufgestanden seien und sie verfälscht
hätten, ohne sie doch völlig überwinden zu
können. Soviel Abstriche die Wissenschaft an diesen
Vorstellungen vorgenommen hat, so wirken sie doch
insofern weiter, als zumeist angenommen wird, daß schon

für die Anfangszeit überall die Kirchenlehre — natürlich
auf irgend einer Stufe der Entwicklung — das Ursprüngliche
, die Ketzerei dagegen irgendwie eine Abwandlung
des Echten sei. Hier setzt nur Bauer mit sei-
: ner Kritik ein und untersucht die Quellen darauf, ob sie
; nicht die Möglichkeit oder gar die Wahrscheinlichkeit
offen ließen, daß da und dort der Unglaube, das Heiden-
j tum, unmittelbar mit einer von der Kirche als Falsch-
i glauben bezeichneten Form des Christentums vertauscht
i worden sei. Als Ausgangspunkte wählt er Edessa und
i Aegypten, um von den hier gewonnenen Einsichten aus
zeitlich und örtlich zu den Anfängen, zu den von den
j ketzerbekämpfenden Schriften des N.T.s vorausgesetz-
| ten Zuständen, zurückzugehen.

Bei Edessa (S. 6—48) kommt B. durch eingehende,
| scharfsinnige Quellenkritik zum Ergebnis, daß weder
, König Abgar V. Ukama (9—46 n. Chr.), dessen angeb-
1 liehen Briefwechsel mit Jesus Eusebius mitteilt, noch
Abgar IX. (179—214 n. Chr.), von dem es seit A. v.
Gutsehmid zumeist angenommen wird, Christ geworden
sei und damit dem Christentum zum Durchbruch verholten
habe. Vielmehr legt die Sprache der Quellen
nahe, daß dort ursprünglich Marcioniten die „Christen"
schlechtweg waren, dann Bardesanes, der wahrscheinlich
das Diatessaron dort einführte, mit ihnen in Wettbe-
| werb trat, und am Ende des 2. Jahrhunderts die „Pa-
i lütianer" d. h. die Anhänger des „Bischofs" Palüt,
] die Gruppe bildeten, die sich nachmals zur rechtgläubigen
Kirche im Sinne Ephraems ausgestaltete, aber
noch tief im 4. Jahrhundert gegen die Ketzerei in ihren
verschiedenen Formen, darunter auch dem Manichäismus,
einfach nicht durchsetzte. Wahrscheinlich war es der
von der Edessenischen Chronik als erster Bischof aufgeführte
Küne im Anfang des 4. Jahrhunderts, der die
Rechtgläubigkeit in Edessa kirchlich ausgebaut und in
ihrer Bedeutung gehoben hat. Ihn hat B. auch nicht
ohne Grund im Verdacht, die Abgarlegende geschaffen
und die „syrischen Akten" dem für seine Kirchengeschichte
sammelnden Eusebius in die Hände gespielt
zu haben. Ebenso ist wohl der im Pauluskanon von
Edessa stehende 3. Korintherbrief, oder richtiger ein
Briefwechsel zwischen Paulus und den Korinthern mit
verbindendem Zwischenstück, auf seine Rechnung zu
setzen.

Was Aegypten (S. 49—64) betrifft, so weisen auch
hier die ältesten Nachrichten deutlich auf ein Christentum
, das bis tief ins 2. Jahrhundert hinein abseits von
allem Kirchentum gewachsen ist und dessen persönliche
Träger Gnostiker, dessen heilige Schriften für die Heidenchristen
das Aegypter- und für die Judenchristen das
Hebräerevangelium gewesen sind. Erst mit Demetrius,
dem Bischof von Alexandrien 189—231, meldet sich
I etwas wie ein „kirchliches" Christentum. Aber noch er
wagte es nicht, gegen Clemens so loszuschlagen, wie
später gegen den, kirchlich angesehen, viel harmloseren
Origenes. Mit Recht stellt B. als Marksteine einer immer
weiter von der Gnosis abführenden Linie auf: den Clemens
der Hypotyposen, den Clemens der Stromata, Origenes
, Demetrius (S. 61). Nur wäre auch bei Origenes
von seiner Frühzeit sein späterer, durch die Kommentare
gekennzeichneter, allerdings größtenteils fern von Alexandrien
verbrachter Lebensabschnitt zu unterscheiden,
der ihn in kirchlichere Bahnen lenkte (vgl. hierüber
neuestens R. Cadiou in den Rech, de Science Relig.
1933, S. 411—429). Auf alle Fälle war das alexandri-
nische Christentum bis tief ins 2. Jahrhundert hinein
ausgesprochen „unorthodox", und eine Scheidung zwischen
Rechtgläubigkeit und Ketzerturn noch nicht durchgeführt
.

Bei Ignatius von Antiochien und Polykarp von
Smyrna (S. 65—80) klaffen Wunsch und Wirklichkeit
l auseinander, sowohl hinsichtlich des monarchischen Episkopats
wie des Verhältnisses von Kirche und Ketzerei.
Kommt doch Ignatius selbst bei allem Kampf gegen die
Gnosis von gnostischem Denken nicht los, und die