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Ausgabe:

1934 Nr. 17

Spalte:

317-319

Autor/Hrsg.:

Stapel, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Die Kirche Christi und der Staat Hitlers 1934

Rezensent:

Usener, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1934 Nr. 17.

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sondern eben gerade das Gemeinsame heraustreten lassen
, ohne den subjektiven Eingriff, der in der Einreihung
und Anordnung unter Überschriften liegt. Da
ist es schon individualistischer, wenn Würtenberg am
Schluß von allen Dichtern kleine Biographien, meistens
Selbstbiographien bringt, die z. T. sehr persönlich sind
und z. T. gar nicht in den Rahmen des Buches passen.
Aber ich Tasse Würtenbergs Verfahren und Anordnung
gerne als berechtigt gelten.

Würtenberg erklärt, er wolle „nicht überhaupt Dichtungen
vereinigen, die irgendwie ,religiös' genannt werden
können", sondern sein Buch möchte „an seinem
Teil ein Spiegel sein des seelischen Aufbruches, der
durch unsere Zeit geht". Praktisch dürfte zwischen bei-
dem kaum ein Unterschied sein. W. vereinigt eben Dichtungen
unserer Zeit, in denen er etwas Religiöses findet
oder einen Aufbruch dorthin fühlt. Der Rahmen ist
sehr weit gespannt. Damit gehe ich einig. Jetzt müssen
wir mehr als je Ohren für alles Gottsuchen haben,
wenn es sich auch noch so leise und nur von fernher
äußert. Manchmal allerdings finde ich wirklich nur Wirrnis
und keine Spur von Ewigkeit.

Z. B. R. Janeckc, S. 9: „Eh nicht Standen Wurzeln stießen / deiner
Leiter in den Grund, / eh nicht Sprossen querwärts sprießen / aus der
dürren Stangen Rund — I kannst du nicht mehr aufwärts steigen, / ist
dir Turm und Stern verwehrt, I mußt du dich dem Schweigen neigen, /
bis der Tod die Not beschwört." Oder Heinz f-'eder, S- 10: „Meine
Arbeit ■— ein Sichstehlen, / eingewühlt in Einsamkeit. / Meine Schmerzen
«in Verhehlen, / ein Vergeuden meiner Zeit. / Meine Lust—ein flackernd
Lohen, / denn ich bin noch immer jung! / Meine Sehnsucht—das Bedrohen
/allesSeins: Erschütterung." Oder HansRhyn : .....Wir, wir Müden, Gehetzten
, Zerschlagenen, Kranken, / wir müssen an Krücken über die
Erde wanken. / O wie möchten wir schaffen, / bauen, für die Zukunft
granitene Blöcke behauen ! / Aber wie wunde Tiere liegen wir da, / und
die Nacht, die einsame Nacht ist nah. / „... O ihr Gesunden, Starken!"

Diese Beispiele zeigen zugleich, daß der künstlerische
Maßstab nicht immer streng genug war. Die in der
Anthologie vertretenen Unbekannten sind keine Entdeckungen
neuer Dichter, sondern künstlerisch meist sehr
fragwürdig. Trotzdem ist das Buch als Ganzes zu
begrüßen als ein reiches, buntes und im großen und ganzen
wertvolles Zeugnis von dem religiösen Suchen und
Ringen der Gegenwart.
Heidelberg. Wilhelm Knevels.

Stapel, Wilhelm: Die Kirche Christi und der Staat Hitlers.

3. Aufl. Hamburg: Hanseatische Verlagsanst. 1933. (90 S.) 8°.

RM. 1.50.

Die Schrift beruht auf Vorträgen, die im vorigen
Mai und Juni in verschiedenen Universitätsstädten gehalten
sind, sie liegt schon in 3. Auflage vor; die im
vorigen Juli verkündete Verfassung der deutschen evangelischen
Kirche war dem Verf. erst bei den letzten
beiden Kapiteln bekannt. Es geht dem Verf. nicht um
eine Streitschrift für den Tageskampf, sondern um die
Klärung wesentlicher Begriffe, so sehr die Schrift, wie
schon der Titel sagt, ganz aus den gegenwärtigen Erörterungen
herausgeboren und zu verstehen ist. Daß
St. zu diesen Fragen Wesentliches zu sagen hat, ist von
vornherein klar, und auch wo man ihm nicht folgen
kann, steht man unter dem Eindruck einer Persönlichkeit
, die auf Grund gründlichen theologischen und geschichtlichen
Wissens bei allem Enthusiasmus für die
von ihm vertretene Ueberzeugung und aller Einseitigkeit
in seiner Stellungnahme doch sich müht, gerecht zu "bleiben
, wenn ihm das auch nicht immer gelingt. Es ist
ihm allein um die Sache zu tun. Seit einem Jahr sind
ja nun die Verhältnisse völlig andere geworden. Wie sich
St. zu dieser Entwicklung stellt, hat hier außer Ansatz
zu bleiben; es handelt sich hier nur um das vorliegende
Buch.

Der Verf. bietet zunächst eine knappe, interessante
Zeichnung und Gegenüberstellung des Bismarckreiches
und des Hitlerstaates, in dem die starke Begeisterung
für den letzteren zum Ausdruck kommt und eine Erörterung
der Stellung beider zum Problem Staat und Kirche.
In dem Widerstreit zwischen dem Streben des starken
totalen Staats nach einer Nationalkirche und der kirchlichen
Wirklichkeit, der ein Widerstreit zwischen Nationalkirche
und Bekenntniskirche ist, sieht er das erste
wirkliche, nicht nur logische Grundproblem von Staat
und Kirche in unserer Zeit. Wenn in dieser Darstellung
gesagt wird daß die Bestrebungen zur Errichtung einer
einheitlichen evangelischen Kirche, die in der Vorkriegszeit
gelegentlich auftauchten, liberal gedacht waren und
von liberalen Kreisen ausgingen, so ist das, in dieser Allgemeinheit
ausgesprochen, unrichtig, man denke nur an
die Bestrebungen des Evangelischen Bundes in dieser
Richtung. Dann bringen die nächsten Kapitel, der natio-
nalsoz. Staat und die Bekenntniskirche, der n. Staat
und die Una saneta und das Autoritätsproblem der
luther. Kirche viel wertvolle Gedanken, so sehr einzelne
Formulierungen zum Widerspruch reizen, so gleich die
Abgrenzung von Bekenntnis und Verkündigung. So gewiß
es richtig ist, daß Kirche nicht ohne Bekenntnis sein
kann, so scheint trotz der geistvollen und gründlichen
Darlegungen, das, wenn auch eingeschränkte, Wort: Das
Bekenntnis ist das Grundgesetz der Kirche, nicht
glücklich. Als direkt irreführend aber empfindet der Berichterstatter
, daß die drei Kirchen als katholisch, lutherisch
und reformiert bezeichnet werden; daß der Trennungsstrich
zwischen katholisch einerseits und reformiert
und lutherisch andrerseits steht, tritt nicht klar genug
hervor. Wenn dabei gesagt wird, daß man teils aus
Weichherzigkeit, teils aus einem tiefen warnenden Schauder
davor zurückschreckt, die andere Kirche, wie man
das konsequenterweise tun müßte, als Teufelswerk zu
bezeichnen, so geschähe das nicht aus Rücksicht auf die
Bekenntnisse, sondern auf die Bekenner, so muß doch
ernstlich gefragt werden, ob das in unsern Zeiten wirklich
auf einen lutherischen oder reformierten Theologen
zutrifft, ob er nicht trotz der Unterschiede das Gemeinsame
anerkennt, selbst im katholischen Bekenntnis, das
neben anderen doch auch — Evangelium enthält, so gewiß
die Ironie berechtigt ist gegenüber Gerhard Hauptmann
, der „berühmt und mild am Strande von Hidden-
see wandelnd erklärte: Der Name der großen Religion
, die alle Menschen vereinigt, ist die Duldsamkeit."
Eigentümlich, wie dann doch am Schluß die Findung
eines Bekenntnisses für die die beiden Bekenntnisse in
sich tragende evangelische Kirche gefordert wird, hier
herrscht eine Unklarheit, die sich überhaupt bei der Erörterung
der Bekenntnisfrage bemerkbar macht. Sehr
unberechtigt ist der Spott über den Historismus, der die
Bekenntnisse aus der geschichtlichen Situation verstehen
will, sagen es doch die Bekenntnisse selbst, daß sie sich
die Prüfung an der Schrift immer wieder gefallen lassen
müssen, so Form. Gonc. Vorrede Müller 518: „Die
andern Symbole aber und angezogenen Schriften (nämlich
außer der Bibel) sind nicht Richter wie die heilige
Schrift, sondern allein Zeugnis und Erklärung des Glaubens
, wie jederzeit die heilige Schrift in streitigen Artikeln
in der Kirchen Gottes von den damals lebenden
verstanden und ausgelegt und derselben widerwärtige
Lehre verworfen und verdammt werden."

Bei der im übrigen sehr warmherzigen Schilderung
von Reformation und Deutschtum scheint die Behauptung
schief, daß die Anschauung von Gott als dem
Richter eine städtische Anschauung sei, hingegen die
von Luther vertretene von Gott als d em Helfer eine
bäuerliche, als ob der bäuerliche Luther nicht immer
wieder Gott auch als Richter erlebt hätte. Wenig überzeugend
ist auch die Meinung des Verf. über den Nomos,
daß jedes Volk sein Volksgesetz habe anstatt der zehn
Gebote. Gewiß ist etwas Richtiges daran, daß die zehn
Gebote durch Luthers Erklärung eine besondere deutsche
Note bekommen haben, aber es ist doch zu beachten
, was von den Erfahrungen der Mission her der
Berliner Missionsdirektor Knak in seiner bedeutsamen
Schrift, Kirchenstreit und Kirchenfriede, sagt, daß Lu-