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Ausgabe:

1934 Nr. 17

Spalte:

312-313

Autor/Hrsg.:

Thiel, Rudolf

Titel/Untertitel:

Luther 1934

Rezensent:

Haun, Fritz

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311

Theologische Literaturzeitung 1934 Nr. 17.

312

Verf. stellt sich die interessante Aufgabe, den äußeren
und inneren Zusammenhang zwischen der publizistischen
Auseinandersetzung Friedrichs II. und Philipps
des Schönen nachzuspüren bei dem Kampf, den beide
für das Eigenrecht des Staates, gegen die Weltherrschaftsansprüche
des Papsttums führten. Zugleich ist
die Arbeit als ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte des
modernen Staatsbewußtseins gedacht. W. hat eine weitschichtige
Literatur durchgearbeitet und arcbivalische Studien
in Paris gemacht. Ihr eignet viel Scharfsinn und
die Gabe, gut zu formulieren. Nur ist meines Erachtens
das Buch nicht straff genug disponiert. Auch wird
Bekanntes des öfteren nochmals zu breit abgehandelt,
dafür manch wichtiges neue Problem in den Anmerkungen
erörtert oder bloß kurz angedeutet.

Was die erste formale Frage betrifft, ob Philipp und
seine Ratgeber die staufischen Manifeste benutzt haben,
so kommt W. zu einem wenig positiven Resultat. Immerhin
läßt sich der Nachweis erbringen, daß Petrus de
Vinea's Briefbuch in Frankreich wohl bekannt war. Außerdem
spricht einiges für die Übertragung des friedri-
zianischen Stiles an den französischen Hof durch die
vor Bonifaz VIII. über die Alpen geflüchteten Colonnas.
Doch scheint mir die Gegenüberstellung von Schriftstücken
aus der Zeit Friedrichs und der Philipps kein
ganz überzeugendes Beispiel wörtlicher Entlehnung zu
ergeben, zumal wenn man erwägt, daß dieser Stil, wie
Verf. selbst zeigt, um 1300 im Abendland weit verbreitet
war.

Der zweite Teil des Werkes untersucht die Publizistik
beider Herrscher auf ihren sachlichen Gehalt.
Nach W. ist von Friedrich bis Philipp das Gefühl für
den Staat gewaltig gewachsen. Während der Kaiser
bei seiner Propaganda gegen die Kurie von den Ideen
des mittelalterlichen Universalverbandes geleitet wurde,
sich als Verweser des christlichen üottesreiches fühlte,
verfolgte die französische Regierung schon viel modernere
, realere Ziele. Wieweit Verf. recht hat, das Kaisertum
Friedrichs gelegentlich als utopisches Gebilde anzusprechen
, mag dahin gestellt bleiben. Die von Philipp
verfolgten Absichten im Verhältnis zu denen seiner Ratgeber
hat die Forschung noch nicht genügend geklärt,
um über sie mit völliger Sicherheit urteilen zu können.
Dazu spricht Verf. stets vom französischen Nationalgefühl
und führt erst ganz am Ende des Buches, unter Bezugnahme
auf Fr. Kern, den Begriff auf das richtige
Maß zurück. Schließlich noch ein Einwand gegen W.'s
ganze Darstellung. Wer die Entwicklung des Staatsbewußtseins
im 13. Jh. aufzeigen will, darf sich nicht auf
das Imperium und Frankreich beschränken, muß vielmehr
außerdem England genau ins Auge fassen. Verf.
hat Grosseteste garnicht, Simon von Monfort nur ganz
beiläufig erwähnt, auch die neuere und neueste englische
Literatur nicht zu Rate gezogen.
Göttinnen. A. Hessel.

Eckhardt, Karl August: Rechtsbücherstudien. H. 1.-3. Berlin
: Weidmann 1927—1933. gr. 8°. = Abhandlgn. d. Oes. d. Wiss.
zu Göttingen. Philol.-hist. Kl., Neue Folge Bd. XX, 2, XXIII, 2 u.
3. Folge Nr. 6.

1. Vorarbeiten zu einer Paralle'atisgabe des Deutschcnspiegels u. Ur-
schwabcnspiegels. 1927 (IX, 151 S.) RM 10-.

2. Die Fntstehungszeit des Sachsenspiegels u. d. sächsischen Weltchronik.
Beiträge z. Verfassungsgesch. d. 13. Jahrh. 1931 (VIII, 128 S.) RM 9—.

3. Die Textentwicklung des Sachsenspiegels von 1220 — 1270 1933
(VII, 110 S.) RM 8—.

Wir haben in dieser Zeitschrift die mustergültige neue Ausgabe des
Sachsenspiegels von Karl August Eckhardt — vgl. Theol. Lit. Zeitung
1933 Nr. 26 Sp. 478 — gebührend angezeigt. Es sei gestattet, auch
der mannigfachen, sorgfältigen Vorarbeiten zu gedenken, die nötig waren,
bis der Herausgeber den Text des Sachsenspiegels, wie wir ihn für
weiteste und allgemeinste Zwecke gebrauchen, vorlegen konnte. Alle
diese umfangreichen Arbeiten faßt Eckhardt zusammen in seinen „Rechtsbücherstudien
", durchweg Arbeiten, die - als Vorarbeiten der Monumenta
Germaniae Historica zu werten — früher das „Neue Archiv der Gesellschaft
für ältere deutsche Geschichtskunde" in die Öffentlichkeit gebracht
hätte. Nun aber gebührt der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften

in ganz besonderem Maße der Dank aller jener Kreise, die für die
; deutsche Rechtsüberlieferung als für eine der vornehmsten nationalen
| Angelegenheiten lebendig interessiert sind, dafür, daß hiermit einer der
| großen Vergangenheit deutschen Rechtslebens würdigen Ausgabe aller
deutschen Rechtsbücher des Mittelalters die wissenschaftliche Grundlage
, geebnet ist. Das erste der vorliegenden Hefte enthält eine Übersicht
der Schwabenspiegelhaiidschrift des Freiburger Stadtarchivs und eine Erörterung
über ihr Verhältnis zum Deutschenspiegel. Es folgt eine Abhandlung
über Zweck und Methode der Deutschenspiegel-Ausgabe,
die Darlegung der Beziehungen zum Sachsenspiegel und die Feststellung
des Wortlautes. Eingehend wird sodann über Quellen und Entstehungszeit
des Deutschenspiegels gehandelt, — als die beiden Grenztermine
1 ergeben sich Februar 1274 und Mai 1275. Schließlich erörtert E.
j die Edition des Urschwabenspiegels, von dem nur ein Bruchstück einer
| Freiburger Handschrift zur Verfügung steht. — Das zweite Heft behan-
; delt Probleme des Sachsenspiegels und der Sächsischen Weltchronik;
| der Sachenspiegel wird auf 1221/24, die Chronik als ein Werk des
Spieglers auf 1230/31 terminiert. - Das dritte Heft ist ganz den Pro-
| blemen des Sachsenspiegels gewidmet, der Textentwicklung, dem Stamm*
| bäum der Handschriften und der Entwicklungsgeschichte des Textes —
1 ausgehend von der lateinischen Urfassung aus.

Berlin. Otto Lerche.

Thiel, Rudolf: Luther. Von 1483-1522. Berlin: P. Neff 1933.
(372 S. m. 16 Abb.) 8°. RM 5.50; geb. 6.80.

Dieses neue Lutherbuch habe ich mit innerer Be-
] wegung gelesen. Auch wer Luther kennt, gut kennt,
kommt nicht los von diesem Buch. So packt es und
zwingt es in seinen Bann. Es ist keine kritische Bearbeitung
des Leben Luthers. Überhaupt kein wissenschaftliches
Buch. „Den jungen Deutschen, die noch an
die Kraft des Geistes glauben" ist es gewidmet. Es will
ihnen Luther nahebringen. Wie er wirklich ist. Wie ihn
die Forschung der Theologie und der Historie neu entdeckt
hat. Th. hat gründliche Vorarbeit geleistet und
sich mit der Lutherliteratur völlig vertraut gemacht. Er
beruft sich auf keinen Lutherforscher und zitiert keine
Autorität. Nur ein einziges Mal wird der Name Hirsch
genannt. Aber im Grunde bei einer nebensächlichen Sache
. Der Lutherkenner spürt aber Seite um Seite, wie
Th. in der Lutherliteratur lebt. Er hat von ihr das
Große gelernt: wer Luther darstellen und lebendig machen
will, muß den religiösen Luther zeichnen. Muß
alle Kraft der Darstellung auf sein inneres Werden, auf
seine „Seelengeschichte", auf seine Theologie, auf seinen
1 Glauben legen. Der Hauptteil des Buches unter der
! Überschrift der „Mönch" (S. 133—252), ist dieser Darstellung
gewidmet. Hier läßt Th. Luther selber zumeist
I zu Wort kommen. Bekannte und viel unbekannte Stellen
! aus Schriften, Briefen und Predigten L. werden ange-
| führt. Es ist für das Lesen des Buches von Vorteil,
j daß keine Anmerkung stört. Doch wüßte man gern,
wo dieses und jenes Zitat steht. Wann und wo es
Luther gesagt oder geschrieben hat. Es fehlt dem Buch
ein Anhang, in dem die zitierten Stellen näher angegeben
sind. Das ist vom Standpunkt des Wissenschaftlers aus
zu bedauern. Vielleicht aber für den Leserkreis, den
Th. sich wünscht, ein Vorteil. Denn es liegt Th. alles
daran, seinen jungen Deutschen, die das Buch lesen,
! klar zu machen: wer den Helden Luther verstehen
will, kann ihn nur aus seiner Theologie und seinem
Kampf um Gnade und Gewißheit verstehen. Es ist un-
I gemein verdienstvoll, daß jetzt grade, wo alles Luther
1 schreit und die Jugend vom „Helden und Kämpfer
Luther" redet, Einer, der nicht Theologe ist, der Jugend
und den Deutschen sagt: Held — jawohl aber nur Held
aus Glauben. Kämpfer gewiß — aber zu vorderst Kämp-
j fer um seine Seele. Wie Th. das darstellt und heraus-
I arbeitet ist meisterhaft. Man lese als Probe einmal die
Kapitel: „Erwählungsangst", oder „Gottes Gerechtigkeit
" oder „Tiefere Theologie" — und ist erstaunt, wie
packend und klar und miterlebend und -erleidend Th.
das religiöse Urerlebnis L. zu gestalten und den Menschen
von heute nahe zu bringen weiß. Im Vorwort
sagt Th.: „wer das Leben eines großen Menschen
schreibt, hat nicht zu meistern sondern zu dienen:
seinem Helden, seinen Lesern". So fehlt bei Th. jedes