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Ausgabe:

1934 Nr. 1

Spalte:

275-277

Autor/Hrsg.:

Lietzmann, Hans

Titel/Untertitel:

Geschichte der Alten Kirche ; 1.Die Anfänge 1934

Rezensent:

Dörries, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 1934 Nr. 15/16.

276

Tod Christi als Sühne. Daneben kennt Paulus auch
eine Übertragung des Opferbegriffs auf sein apostolisches
Handeln oder auf das der Gemeindeglieder (Rm.
12,1 f.; 15, 15 f.). Diese Anwendung des Priesterbegriffs
auf das Apostelamt ist ein eigener Gedanke des Paulus.

Naturgemäß zeigt sich der Hebräerbrief als die am
stärksten von kultischen Gedanken beeinflußte Schrift
des N.T.s. Hier führt die Anwendung des Hohenpriesterbegriffs
auf Jesus zur Aufhebung des Kultus und
(dem Sinne nach) zum allgemeinen Priestertum der
Gläubigen. 5, 7 ff. ist auch das Bitten und Flehen Jesu
unter den Gesichtspunkt des Opfers gestellt. Und 13,
15 f. sind sogar Bekenntnis und Wohltun als Opfer
gefaßt; das ist eine gänzlich neue Folge des allgemeinen
Priesterbegriffs.

Die Apokalypse deutet den Tod des Lammes als
Opfer; ihre Aufhebung des Tempels im neuen Jerusalem
(21,22) ist aber ganz unjüdisch. Das Johannesevangelium
hat zuerst den Gedanken des spiritualisierten
Gottesdienstes prinzipiell gefaßt (4, 23 f.); der Gegensatz
ist aber nicht äußerer und innerer Gottesdienst,
sondern Gottesdienst mit oder ohne Bezogenheit auf
Christus. Im 1. Petrusbrief findet sich schließlich bereits
eine ganz abgegriffene Vermischung der verschiedenen
Kultusbegriffe.

Diese Inhaltsangabe dürfte gezeigt haben, wie reich
und fördernd vorliegende Untersuchung ist. Stärkere
Kritik scheint mir nur gegenüber dem Kapitel über
Jesus notwendig. Hier fehlt nämlich leider jede traditionsgeschichtliche
Betrachtung. Darum wird Mt. 12, 6
unbedenklich für Jesus verwertet, und die Ursprünglichkeit
des Sühnegedankens im Denken Jesu wird ungeprüft
vorausgesetzt. Die Deutung des Wortes von der
Tempelzerstörung nach Joh scheint mir ebenso unmöglich
wie die Behauptung, Jesus habe den Tempelbegriff
auf sich bezogen. Inwieweit die urchristliche Tradition
das Bild Jesu hier verändert hat, hätte zum mindesten
geprüft werden müssen. Im übrigen wird man den
Ergebnissen des Verfassers weitgehend zustimmen können
. Zu bedauern ist, daß der Verf. bewußt auf eine
Weiterzeichnung der Linien wenigstens bis zum 1. Clemensbrief
verzichtet hat, da erst so das Wiedereindringen
des Priesterbegriffs in der Folgezeit verständlich
geworden wäre. Eine Fortsetzung in dieser Richtung
wäre sehr dankenswert.

Die Arbeit erschien ursprünglich im 4. Band des
Angelos. Sie hat in diesem Abdruck neue Seitenzahlen
erhalten; in den Anmerkungen sind aber leider die alten
Seitenzahlen stehen geblieben (S. 61 3 scheint sogar eine
Zahl der Handschrift stehen geblieben zu sein). Das
5. Kapitel (Urchristentum) ist wohl nachträglich zugefügt
worden, es fehlt im Inhaltsverzeichnis und ist
im Text doppelt gezählt. — Die Kommentare aus dem
Lietzmannschen Handbuch sind leider fast alle nur in
1. Auflage zitiert. An hergehöriger Literatur fehlt: E.
Lohmeyer, Vom göttlichen Wohlgeruch (S. Ak. Heid.,
Phil.-hist. Kl. 1919, 9) und W. Brandt, Die Wortgruppe
XeiTovoYEiv im Hebräerbrief und bei Clemens
Romanus (Jahrbuch der Theol. Schule Bethel 1930). —
An Fehlern notiere ich: S. 17 o fehlt die Zitatangabe
Sir. 32,1—7, S. 9t und 36 3 jede" Zitatangabe. S. 17 Zeile
19 lies Sir. 32, 9 (statt 32,7), S. 263 lies fol. IIa (statt
IIb), S. 325 Pesiq 40b (statt 40a), S. 38 Zeile 5 Aboth
3, 2 (statt 5, 2), S. 48 4 fehlt die Angabe, welche Ausgabe
von Tanchuma benutzt ist, S. 61 Zeile 9 lies fragm.
(statt fragen). Die hebräischen Zitate enthalten leider
so viele Druckfehler, daß ihre Aufzählung unterbleiben
muß.

Zürich. Werner Georg Kümmel.

Lietzniann, Hans: Geschichte der Alten Kirche. 1: Die Anfänge
. Berlin: W. de Gruyter 1932. (VII, 323 S.) 8°. geb. RM 7—.
Eine Darstellung der Anfänge des Christentums,
die gebildeten Lesern die reichen Ergebnisse der kirchengeschichtlichen
Forschung zugänglich macht, ist umso
mehr ein Bedürfnis, als es seit Harnack keinem
Theologen mehr gelungen war, die Öffentlichkeit an dieser
Forschung teilnehmen zu lassen. Diese Lücke ist dadurch
noch spürbarer, daß auch Harnacks Auffassung
[ vom Werden der alten Kirche sich in ihrer besonderen
I theologischen Haltung nicht hat in Geltung behaupten
I können, und daß eine Schilderung wie die von Eduard
Meyer bei ihrem ausgeprägt untheologischen Charakter
nicht einen wirklichen Ersatz bedeuten konnte. So mag
das keiner bestimmten theologischen Schule dienstbare,
aber die besten Traditionen Harnacks fortführende Werk
L.'s, gerade weil es in seiner ungleich positiveren Stellung
zur Theologie gehaltvoller ist, den bisher durch
E. Meyer nur stellvertretend eingenommenen Platz in
Besitz nehmen.

Ein Überblick über den Inhalt kann nur auf einiges
aufmerksam machen. Einer anschaulichen Skizze der
politischen Geschichte Palästinas und seiner Einfügung
in das Römische Reich folgt eine lebendige Schilderung
der religiösen Gedankenwelt und der verschiedenen reli-
j giösen Strömungen im palästinischen Judentum. Der
i Reichtum der Erscheinungen wird nur soweit vereinfacht
, als er die Übersichtlichkeit des Bildes gefährden
I würde. Sonst ist gerade einer der auszeichnenden Züge
| des Buches die Freude am Stoff, an dessen Auswahl
; und rechten Gruppierung es eine besondere Kunst übt.
Das Kapitel über die jüdische Diaspora vermittelt
einen starken Eindruck von der Gewalt der Zerstörung, die
j diese einst blühende und einflußreiche Größe von sehen
der eigenen Volksgenossen erlitten hat. Hier ist auch
— in einem die meisten Leser gewiß überraschenden Umfang
— zusammengestellt, was noch an Nachrichten
auf uns gekommen ist. Der griechischen Synagoge verdankt
ja die Urkirche ihre Bibel, deren im Vergleich mit
dem hebräischen Alten Testament größeren Umfang
heute noch dem Katholiken seine Vulgata bekundet.

Der Abschnitt über Jesus teilt mit gewissenhafter
Zurückhaltung mit, was aus dem äußeren Leben Jesu
historisch wißbar ist. Mehr zwischen den Zeilen als
direkt wird in moderne Diskussionen eingegriffen, dabei
etwa das Verhältnis Jesu zum rabbinischen Judentum
an einleuchtendem Beispiel aufgezeigt, im ganzen weithin
Bescheidung geübt.

In der Schilderung der Urgemeinde findet sich mancher
interessante Zug, so wenn die Rivalität zweier Organisationsprinzipien
in dem Gegenüber von Jakobus
i mit den Presbytern und andererseits den Zwölfen dargetan
wird.

Als eine der ersten Formen, die die Urgemeinde sich
j gebildet hat, erscheint die christliche Woche, deren Ausgang
der Sonntag, der Auferstehungstag bedeutet. Das
[ Bild der ersten heidenchristlichen Gemeinden wird, unter
i Zuhilfenahme auch der Apokalypse, wesentlich nach Paulus
gezeichnet, — in stillschweigender Auseinander-
I Setzung mit Thesen rechts und links. Herausgegriffen
i sei etwa, daß ,Bischöfe' und ,Diakonen' als in Antiochia
I freigebildete Bezeichnungen für Ämter der Fürsorge und
äußeren Ordnung erscheinen; so behauptet sich hier
aus den älteren Diskussionen zwar nicht die Verbin-
I dung mit irgendwelchen profanen oder religiösen heidnischen
oder jüdischen Institutionen, aber eine ursprüngliche
Beziehung des Bischofsamtes auf die Gemeindegeschäfte
, auch die Finanzen, und die Charitas. Merkwürdig
ist, wie L. die Ehe- und Opferfleischerörterungen
des 1. Korintherbriefs mit dem Aposteldekret in Zu-
I sammenhang bringt (S. 141). Die Darstellung des Paulus
selbst lenkt, schon mit der Beteiligung des Paulus an
dem Prozeß des Stephanus, in traditionellere Bahnen
zurück. Die Schilderung seiner Theologie bemüht sich,
dem nicht-theologischen Leser einen Zugang zu eröffnen
, aber ohne die Schwierigkeiten zu verhüllen, unter
heilsamer Zurückstellung der Religionsgeschichte.

In dem Zurücktreten der Religionsgeschichte kommt
auch sonst der Wandel der wissenschaftlichen Erkenntnis
besonders sinnenfällig zum Ausdruck. Der Meister