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Ausgabe:

1934 Nr. 1

Spalte:

8-10

Autor/Hrsg.:

Rauer, Max

Titel/Untertitel:

Form und Überlieferung der Lukas-Homilien des Origenes 1934

Rezensent:

Koetschau, Paul

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Theologische Literaturzeitung 1934 Nr. 1.

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Sinnliche. Auch T. Schmidt hat das aöina Xpiatofi griechisch
'interpretiert. Auch für ihn war Leib = Form,
Fleisch und Pneuma die diese Form erfüllenden Substanzen
.

Käsemann behandelt zunächst den Begriff ooq% bei
Paulus und weist schon an diesem Begriff nach, daß
Pls. geschichtlich, nicht physisch-metaphysisch zu interpretieren
ist. I. Kor. 15, 39 begegnet zwar ein „physiologischer
Fleischgebrauch"; doch lehnt K. es ab,
diese Stelle, wie es oft geschieht, zum Ausgangspunkt
einer odp|-„Lehre" bei Pls. zu nehmen; er glaubt vielmehr
von dem gesamten sonstigen Gebrauch von o&q%
bei Pls. her zu einer Kritik an ihr berechtigt zu sein. —
An manchen Stellen liegt nun bei Pls. ein gnostisch-
metaphysischer Gebrauch von aägl vor. Das folgert der
Vf. bes. aus der Formel ev aagni, aus der zu ersehen ist,
daß ,Fleisch' nach Pls. so etwas wie ein gnostischer
Aeon ist ,in' dem man sich befindet. Andrerseits ist
,Fleisch' für Pls. in Verfolg der alttest. Linie auch einfach
die Erscheinungsweise des menschlichen Wesens
schlechthin. — Wie sind diese beiden Linien zu vereinigen
? K. beantwortet die Frage: durch eine geschichtliche
Betrachtungsweise; wobei Geschichtlichkeit die Gegebenheit
des in der Tat verbundenen Miteinanders
von Ich und Du in der Welt bedeutet. Von da aus erklärt
er aüyS bei Pls. als die „Weltlichkeit" des Menschen
, als welche sie sowohl das personale Sein des
Menschen, wie das Sein des Menschen in seiner konkreten
Leiblichkeit, wie endlich das menschliche Sein
in seinen verwandtschaftlichen, volklichen und allgemein
weltlichen Beziehungsnuanoen umfaßt. An dem
Verhältnis von Fleisch, Sünde und Tod wird die These
näher erläutert. — Dieselbe Betrachtungsweise wendet
K. bei der Behandlung von rrrä^a bei Pls. an. Auch aö^ui
meint wie adq| den ganzen Menschen, nur von einer anderen
Orientierung aus; aä>ia bezeichnet die von Gott
her beanspruchte Menschlichkeit in der Welt, die „Ge-
schöpflichkeit" des Menschen, die, ihres Charakters beraubt
, zum ,Sündenleibe' werden kann, aber zum ,Pneu-
ma-Leibe' werden soll. Von da aus kommt K. zu einer
kurzen Untersuchung des jrver>[ia-Begriffs und erweist
auch an ihm das Recht einer geschichtlichen Betrachtungsweise
. Auch das Pneuma ist ein Aeon, gleichsam
eine Welt; in sie findet sich der Mensch in seiner
Eigentümlichkeit zurück, wenn ihm die Gnade als
Grundtatsache und Sinn seines Lebens in Kraft offenbart
wurde.

Der letzte Abschnitt beschäftigt sich mit der Vorstellung
vom ,Leibe Christi*. Hier tritt das Bestreben
des Verf. gnostischen Einfluß nachzuweisen, stark in
den Vordergrund; doch dient auch hier dieses Bemühen
in erster Linie dem Zweck, die geschichtliche Betrachtung
der paulinischen Begriffswelt zu rechtfertigen. Das
Neue an diesen Darlegungen K.'s ist, daß er die Verwendung
desa(t>n.aX().-Begriffs in den großen paulinischen
Briefen ebenso von der Gnosis her erklärt, wie es
Schlier für Eph. u. Kol. getan hat. Zunächst geht K.
auf die letztgenannten beiden Schriften ein, die er mit
Schlier als „Deuteropaulinen" ansieht. Er betont den
gnostischen Einschlag, bes. auch für Kol., zeigt aber
auch, wie nicht alles in ihnen Mythus ist, sondern
auch hier geschichtliches Verständnis weiter führt. Nach
Kol. u. Eph. hat man Christus nie anders als in seinem
Leibe, der Kirche. Insofern ist die Kirche mit Christus
identisch. Die Kirche ist aber nicht als Organismus
(d. h. griechisch) zu verstehen; ebenso bedarf der Begriff
der Kirche als ,Welt' einer Korrektur. Die Kirche
ist als Schöpfung Gottes vielmehr die Basis des weltweit
, d. h. immer und überall sich neu ergebenden
Ich-Du Verhältnisses, wobei dieses Ich-Du Verhältnis
nur das in der unsichtbaren Kirche unvorfindliche, in der
Tat zu ergreifende Miteinander göttlich gesetzter Charisma
-Träger ist. — Im Gegensetz zu Schlier meint der
Vf. nun auch denselben gnostischen Einschlag in der
XniaTori-Vorstellung der echten Paulinen nachwei-

! sen zu können; nur sei er hier stärker, als in Eph. u.
Kol. verarbeitet. Für I. Kor. 12, 14—21 muß K. natürlich
das Vorhandensein des griechischen Organismusgedankens
zugeben; doch meint er (mit Bultmann),
daß diese Verse nur als Hilfslinie anzusehen wären.

i Entscheidend sind für ihn die Schlußworte von V. 12:
ovxax; xal 6 Xqicttoc; = so verhält es sich auch mit Chri-

j stus, d. h. die Worte sind wörtlich aufzufassen, und
nicht umzudeuten, wie es meist geschieht: so steht es
auch dort, wo Christus ist. Ein weiteres Argument
ist für K. Vers 13 mit seiner sakramentalen Ausführung.
Gegen Lietzmann u. a., die den Vers hier für deplaciert
halten, erklärt K., daß gerade auf ihm der Ton liege:
denn gerade vom Sakrament aus wird der Organismus-
Gedanke zerstört, da im sakramentalen Sein ein kreatür-
liches Eigendasein aufgehoben ist (Vgl. Schweitzer!).
K. weist dann weiter nach, wie auch von der Christolo-
gie her das übliche aüia XoioToü-Verständnis bei Pls.
aufgegeben werden muß. Aber alle diese Nachweise des
gnostischen Einflusses, die sicherlich richtig sind, dienen
schließlich dem Vf. doch nur dazu, auch bei Pls. das
geschichtliche Denken aufzuzeigen, das so weit geht,
daß für ihn ein „im Fleisch-Sein" ein „in Christus-
Sein" nicht ausschließt. Christus steht als die Erfüllung
der Zeiten Adam gegenüber, als die eschatologische
Neuschöpfung, die (als Xqiotoü) weltweit ist, in die
man geradezu äußerlich (d. h. nicht innerlich oder mystisch
) hineingestellt wird, so daß ,in Christus' defacto
,in der Kirche' bedeutet. Die Kirche ist aber nicht für
sich weltweit; sie wird weltweit in der Agape, die alles
Leben aus seiner Gliedschaft in der göttlichen Schöpfung
heraus versteht.

Ich glaube, mit dem Referat die wichtigsten Gedanken
hervorgehoben zu haben. Das Buch selbst enthält
noch viel mehr; seine Bedeutung für die Paulusforschung
ist sehr hoch zu werten. Wenn man auch in
Einzelheiten manchmal anderer Ansicht sein kann (mir
erscheint z. B. die Unechtheit des Kol. nicht erwiesen,
bes. da K. ja, im Gegensatz zu Schlier, in I. Kor. und
Kol. ähnliche Gedanken über das aüyu. Xqwxov findet,
die nur verschieden stark hervortreten; auch die sonstigen
Abweichungen des Kol. von den großen Paulinen
ließen sich m. E. von der Echtheit des Kol. her erklären
^, so ist der Gesamtleistung doch durchaus zuzustimmen
. Die Notwendigkeit einer geschichtlichen Betrachtung
der paulinischen Begriffswelt dürfte zwingend
erwiesen sein.

Göttingen._H. Seesemann.

Rauer, Prof. Dr. Max: Form und Überlieferung der Lukas-
Homilien des Origenes. Leipzig: J. C. Hinrichs 1932. (VII, 63
S.) 8°. = Texte u. Untersuchgn. z. Gesch. d. altchristl. Literatur.
Hrsg. v. E. Klostermann u. C. Schmidt. Bd. 47,3. RM 5.40.

Die vorliegende, Joseph Sickenberger gewidmete Arbeit
Max Rauers stellt eine notwendige Ergänzung seiner
i. J. 1930 veröffentlichten Ausgabe der Lukashomilien
des Origenes dar. Paul Lehmann hatte in seiner
Besprechung dieser Ausgabe (Phil. Wochenschr. 50,
1930, Sp. 1476 f.) bemerkt, daß Rauer 2 Hss. über-

i sehen habe: 1. M (Cambridge, Corpus Christi College
Nr. 334 perg. s. VIII), die älteste erhaltene Hs. der Hieronymus
-Übersetzung der Lukashomilien, und 2. N (Kassel
, Landesbibl. Ms. theol. 2 a 49 perg. s. X/XIII, ursprünglich
in Fulda), eine Abschrift von E. Für die
Textherstellung der Lukashomilien stehen uns also, nach
Ausschaltung der nachweisbaren Abschriften, jetzt folgende
5 selbständige Hss. zur Verfügung: 1. Gruppe
(a): M s. VIII, E s. IX, A s. XII, 2. Gruppe (b):
C s. XII, D s. XII (vgl. meine Besprechung der Ausgabe
Rauers in dieser Zeitschrift 1931 Nr. 7 Sp. 153 ff.).
Der Apparat hätte also die Lesarten dieser 5 Hss. enthalten
müssen. Es fragt sich nun, ob die Textherstellung
durch das Hinzutreten von M irgendwie geändert werden
muß. Zum Glück ist dies im allgemeinen nicht der
Fall. Rauer hat die übersehene Hs. M nachträglich ver-

j glichen und teilt ihre Lesarten hier im I. Abschnitt