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Ausgabe:

1934 Nr. 14

Spalte:

256-266

Autor/Hrsg.:

Breda, Gregorius von

Titel/Untertitel:

Die Muttersprache 1934

Rezensent:

Merkel, Franz Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 1934 Nr. 14.

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heiligsten Rechte katholischer Untertanen" (ebenda) und
obendrein gab sich „die Regierung noch den Anschein,
als wolle man die an Händen und Füßen geknebelte
Kirche besonders fördern und schützen" (ebenda); der
König „maßte sich viele Übergriffe auf innerkirchliches
Gebiet an, er bekundete seine persönliche Feindseligkeit
gegen den Katholizismus" (ebenda). Mit einer
Regierung, die der angeblich objektive Historiker unserer
Tage derartig qualifiziert, schließt dann die Kurie
den Vertrag vom 16. Juli 1821 „De salute animarum"!
Von den Regierungen Badens, Württembergs und Hessens
sagt Schm., „sie wüteten noch ärger gegen die
kirchliche Freiheit" (S. 247). Unter Gregor XVI. werden
die Verhältnisse noch schlimmer: es „wüteten kirchenfeindliche
Gesetze und Maßnahmen" und „das System
der Minister war auf Unterdrückung gerichtet"
(S. 567) „die konfessionelle Parität wurde brutal verletzt
" (S. 568) „die Mischehenfrage dient als Pro-
testantisierungswerkzeug" (ebenda) „die Bischöfe sollen
zur Sabotage des päpstlichen Breves verleitet werden"
(S. 569); dem Kölner erzbischöflichen Sekretär werden
Verdrehungskünste vorgeworfen, die Sünden der Regierung
und schließlich die rücksichtslosen und perfiden
Entkatholisierungsabsichten der preußischen Macht werden
geschildert, die Getäuschten aufgeklärt und die
Machenschaften der von vertragswidriger Mißachtung
des päpstlichen Breves erfüllten Regierung werden enthüllt
. S. 573 enthüllt Schm. schonungslos preußische
Machenschaften, S. 574 wird die gewaltige Entrüstung
noch gesteigert und S. 575 werden die preußischen Verfügungen
aufgezählt, die auf Zerstörung der kirchlichen
Wirksamkeit und Losreißung vom Mittelpunkt der katholischen
Einheit hinzielten. Diese ganze geradezu satanische
Haltung wird nicht irgend einer heidnischen Völkerschaft
vorgeworfen, sondern der Regierung Preußens,
die seit 1815 trotz der oft erörterten „Reaktion" auf
allen Gebieten öffentlichen und geistigen Lebens unendlich
viel geleistet hat. Aber sie kann sich trösten damit,
daß in Württemberg und Baden „die staatskirchliche
Tyrannei noch ungebührlicher hauste" (S. 579); nur in
Bayern erhält das der Kirche entgegenkommendere Ministerium
Abel einen Lorbeerzweig und mit Bedauern wird
sein Sturz an der „Kniebeugungsorde" registriert. Ja,
wenn protestantische Soldaten zur Kniebeuge vor der
Monstranz gezwungen werden, dann ist das ganz in der
Ordnung. Aber wenn mal ein einzelner katholischer
Soldat an einem evangelischen Garnisongottesdienst teilnimmt
, dann ist das „schamlose und unerhörte Tyrannei".
Über die Mischehenverhältnisse in Württemberg, über
die dortigen Persönlichkeiten, namentlich über Keller
und Jaumann sind wir neuerdings bestens unterrichtet
durch die Monographie von August Hagen : Der
Mischehenstreit in Württemberg 1837—1855 (1931, vgl.
Theol. Lit. Ztg. 1932 Nr. 12 Sp. 279 ff.) Hagen kennt die
oft unerträglichen Verhältnisse gewiß recht genau, er
hütet sich aber gleichwohl, durch allzu scharfe Ausdrücke
berechtigte Zweifel in seine geschichtliche, wissenschaftliche
Objektivität zu setzen. Daß Wilhelm von
Humboldt ein Konkordat Preußens mit dem Vatikan
angestrebt hat (S. 240), ist nicht richtig: Humboldt
hat den Staat, den König und die Minister stets vor
allen konkordatähnlichen Vereinbarungen mit der Kirche
gewarnt. Die soeben erschienene Monographie von Karl
Walter über die Neugründung der Diözese Mainz
(Hessen-Darmstadt und die Katholische Kirche = 1933)
gibt namentlich über die oberrheinische Kirchenprovinz,
über die dortigen Fürsten, Diplomaten und Kirchenmänner
, ihre Einstellung und ihre Absichten, ihren Verkehr
mit der Kurie und ihr Verhalten gegenüber päpstlichen
Diplomaten mancherlei Aufschlüsse und zwar in
einem Tone, der Schm. zum Vorbild dienen dürfte.

Den edlen Breslauer Fürstbischof Grafen Leopold
von Sedlnitzky (f 1871) behängt Schm. nur mit herabsetzenden
Beiwörtern; gewiß, er war ein Renegat; aber
da mit der „Sünde des Meineids gegen die Kirche" zu

| operieren (S. 576), zeugt ebenso von Herzenskälte wie
I das Schlußwort dazu („um als Protestant zu enden").
Ganz besonders schlecht kommt Bunsen weg: ihm wird
Täuschung, Proselytenmacherei und Übertretung landesherrlicher
Gebote des Papstes vorgeworfen (S. 570);
Schm. nennt ihn gleisnerisch und doppelzüngig (S. 573),
einen allgemein verabscheuten und gemiedenen Lügenheld
(S. 574). Gegenüber solcher Schimpfkanonade
I lohnt sich eine Ehrenrettung des freilich umstrittenen
Bunsen nicht. Wenn Schm. Bunsen aber vorwirft, daß
er auch zu Rom selbst vor den Augen des Papstes
I in seinem Palast entgegen dem fremden Kultverbot —
j soll heißen: Verbot fremden Kultes — den protestantischen
Gottesdienst eingeführt und auch ein Nationalspital
zu Proselytenzwecken gegründet hatte (S. 570),
so darf das in dieser Form nicht unwidersprochen bleiben
. Was Bunsen tat, geschah zunächst mit Vorwissen
seines Missionschefs Niebuhr (den Schm. begeistert
lobt), sodann mit Genehmigung seines Souveräns und
unter Beobachtung der gebotenen Formen, die allerdings
schwierig waren. Daß die Kurie den berechtigten
kirchlich-religiösen Ansprüchen der preußischen Gesandtschaft
kein Verständnis entgegenbrachte, und daß
deutsche Künstler in Rom der katholischen Proselytenmacherei
verfielen, ist anscheinend belanglos. Bunsens
Verdienste um die deutsche evangelische Gemeinde in
Rom und namentlich um die Anfänge deutscher evangelischer
Diakonissenarbeit ebenda dürfen nicht so verzerrt
werden (vgl. Ernst Schubert: Geschichte der
deutschen evangelischen Gemeinde in Rom 1819 bis
1928. Leipzig 1930.)
Berlin. otto Lerche.

Wobbermin, Georg: Schleiermachers Hermeneutik in ihrer
Bedeutung für seine religionswissenschaftliche Arbeit.

Berlin: Weidmann 1930. (12 S.) gr. 8°. = Sonderdr. a. Nachrichten
v. d. Oes. d. Wiss. zu Göttinnen. Philol.-hist. Kl., Fachgruppe V,
Nr. 1, 1930. RM 1—.

D>rs.: Methodenfragen der heutigen Schleiermacher-For-
schung. Ebda. 1933. (22 S ) gr. 8U. = Sonderdr. a. Nachrichten
v. d. Ges d. Wiss. zu Göttingen. Philol.-hist. Kl. Fachgruppe V,
Nr. 6, 1933. RM 1-.

In diesem Schleiermacherjahr ist ein Hinweis auf
die beiden hier genannten Abhandlungen unerläßlich.
Darin nimmt Wobbermin in lichtvoller und großzügiger
Weise Stellung zur neueren Schleiermacherkritik, in der
ersten besonders zu Brunners Kampfbuch, in der zweiten
zugleich zu der kritischen Schrift Barthelheimers,
der, zunächst von den dialektischen Theologen abrückend
, sich mit ihnen letzten Endes doch in seinem
eigentlichen Vorwurf gegen Schleiennacher nahe berührt.
Es ist also die herrschende Schleiermacher-Deutung der
letzten 10—15 Jahre, die einer Prüfung unterzogen wird,
nämlich der Versuch, auch im theologischen Werk des
Meisters den Einfluß spekulativ-metaphysischer Interessen
in den Vordergrund zu stellen. Bedeutsam ist nun,
daß Wobb. nicht um die religionswissenschaftlichen und
theologischen Einzelpositionen Schleiermachers streitet,
] sie vielmehr als weithin unhaltbar ansieht, daß er, den
Hebel tiefer ansetzend, die Frage auf wirft, ob in der
Glaubenslehre wie überhaupt in der religionswissen-
schaftlichen Arbeit Schleiermachers genuin religiöse Motive
wirksam sind, ob also Schleiennacher ein selbständiges
Denken aus diesen heraus gewollt hat. In dieser
methodischen Frage haben wir in der Tat den Kern
des Problems zu erblicken.

Es gehört zu den Verdiensten Wobbermins, daß er
wie überhaupt für die systematische Theologie, so auch;
für Schleiermacher seit Jahrzehnten schon auf Klärung
des Methodenproblems dringt. Es war dies einst nichts
Selbstverständliches; man glaubte im Beginn des Jahrhunderts
, in der empirisch-psychologischen Betrachtung
sozusagen für alle Aufgaben den Schlüssel in der Hand
zu haben. Wobbermin seinerseits widmete dieser Frage
I den ersten Band seines Hauptwerkes (worin er sich auch