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Ausgabe:

1934 Nr. 14

Spalte:

245-246

Autor/Hrsg.:

Rad, Gerhard von

Titel/Untertitel:

Das Geschichtsbild des chronistischen Werkes 1934

Rezensent:

Kuhl, Curt

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Seite 1

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245

Theologische Literaturzeitung 1934 Nr. 14.

246

Rad, Lic. theol. Gerhard v.: Das Geschichtsbild des chronistischen
Werkes. Stuttgart: W. Kohlhammer 1930. (V, 136S.)gr. 8 .
= Beitr. z. Wiss. v. A. und N.T. Begr. v. R. Kittel, hrsg. v. A. Alt
u. G. Kittel. 4. Folge, H. 3. (D. ganz. Sammig. H. 54.) RM 7.50.
Ein Teilgebiet israelitischer Geschichtsauffassung
wird in dieser trefflichen Studie behandelt. Die Frage
nach dem Geschichtsbild der Chronika (Chron) ist besonders
schwierig, da es sich hier nicht um Geschichtsschreibung
im eigentlichen Sinne handelt, sodaß man
die Antwort einfach aus der Darstellung des Gesehichts-
verlaufs ablesen könnte. Vielmehr haben wir es hier mit
theologisch-dogmatischen Abzweckungen zu tun, die sich
ergeben aus den Korrekturen der den Samuelis- und
Königsbüchern entnommenen Partien und aus der Beobachtung
, daß Chron weithin den Ablauf der geschichtlichen
Ereignisse nach zeitgenössischen Verhaltnissen und
eigenen Tendenzen neugeformt hat. Der Stoff ist in
Chron ungeschichtlich vorgetragen, indem mannigfache
Gedanken und Tendenzen ohne Rücksicht auf ihre tatsächliche
Beziehung zu einander und Entwicklung in
ein konstruktives Geschichtsbild hineingepreßt sind. Besonders
deutlich zeigt sich das an der Art, wie die Berichte
von Josias Reform zu einer Einheit zusammengeschmolzen
werden mit einem in sich geschlossenen und
glatten Ablauf: Bekehrung — Reform — Auffindung des
Buches — Passah.

Die Untersuchung gliedert sich in mehrere Abschnitte.

I. Gott (S. 3—18): Die Gottesbezeichnungen, von denen
drei auf deuteronomistische Schule hinweifen, und Gottes
Wesen in der Chron; hierbei ist besonders darauf hinzuweisen
, daß einer der grundlegenden Gedanken der
Geschichtsbetrachtung (Jahwe kämpft für Israel) auf
den Deuteronomisten zurückgeht. II. Das Volk (S. 18
bis 37), wobei die Reichsspaltung beherrschend im Vordergrund
steht. Das Nord-Reich als eigenständiges Reich
wird schlechthin als illegitim abgelehnt. Beachtlich bleibt,
daß einige Stämme, weil sie zur Zeit der Chron nicht mehr
existierten, in der Darstellung völlig vernachlässigt sind.
III. Die gesetzliche Überlieferung (S. 38—63) steht, wie
es der üblichen Auffassung entspricht, zwar einesteils
ganz auf Seiten des Priesterkodex, aber zum andern
zeigt das Fehlen von Opferbegriffen, die bei P Von
größter Bedeutung sind, und die P entgegen stehende
Tradition über das Passahfest wie auch die formalen
Bezeichnungen für Gesetz usw. deuteronomistischen Einfluß
; wie auch die Auffassung über den Götzendienst
auf Dtn. 18 und die richterliche Tätigkeit der Leviten
auf Dtn. 16, ebenso auch Josaphats Rechtsreform

II. Chron. 19, 4 ff. auf deuteronomistische Gedanken zu- I
rückgehen. Zum gleichen Schluß führt in IV. Die ge- j
schichtliche Überlieferung bis Saul (S. 64—80) die Ladetradition
. Abschnitt V. Levi (S. 80—119) zeigt des Chronisten
zentrales Anliegen, nämlich die Stellung der Leviten
im Organismus des nachexilischen Israel, von wo
dichte Fäden hinübergehen zu VI. David (S. 119—132),
dem neben Mose von Chron das Schwergewicht für
Israels Geschichte beigelegt wird.

Das Resultat der Untersuchung gipfelt darin, daß
Chron der Sinn für jegliche Perspektive verloren gegangen
ist und daß er mit seinem Werke „etwas wie
eine^ Programmschrift für das nachexilische Israel" geschaffen
habe. Nicht wie man gewöhnlich annimmt, gestaltet
er seine Geschichte aus dem Geist und Gesetz
von P, sondern ebenso stark ist er von Dtn. beeinflußt,
wobei aber der Abstand und die innere Entfernung vom
gesamten Pentateuch festgestellt werden muß.

Untersuchungen wie die vorliegende sind sehr schwierig
; denn sie stehen gemeinhin in der Gefahr, mehr
aus dem Textbestand herauslesen zu wollen, als er
tatsächlich besagt. Um so mehr ist es uns eine Genugtuung
, die Vorsicht anzuerkennen, mit der der Verfasser
bei seinen Schlüsseln zu Werke geht. Und wenn
er von dem Chronisten spricht, so geschieht das nicht
als Ablehnung von Rothsteins Auffassung von zwei
Verfassern, sondern aus der richtigen Erwägung heraus,

daß für die vorliegende Untersuchung die Verfasserfrage
ziemlich unwesentlich ist, da beide Verfasser der Chron
sich in ihrer Auffassung kaum unterscheiden. Außerdem
hat v. Rad, wo es nötig war, ausdrücklich darauf
Bezug genommen. Im großen Ganzen wird man v. Rad
nur zustimmen können.
Berlin-Frohnau. Curt Kühl.

Jackson, F. J. Foakes, D. D., and Kirsopp Lake, D. D., D. Litt.:
The Beginnings of Christianity. Part. I. The Acts of the
Apostles. Vol. IV: English Translation and Commentnry. Vol. V:
Additional Notes to the Commentary. Vol. IV and V edited by
Kirsopp Lake, D. D., D. Litt, and Henry J. Cadbury, Ph. D.
London: Macmillan & Co. 1933. (XIII, 421 S. u. 1 Kte. u. XIV
548 S. u 1 Kte.) 8°. je 25 sh!

Das große amerikanische Werk über das Urchristentum
liegt nun wenigstens in seinem ersten Teil, der die
Apostelgeschichte behandelt, vollendet vor. Den drei
schon vorhandenen Bänden gesellen sich nun statt des
in Aussicht genommenen einen Kommentar-Bandes
zwei stattliche Volumina, von denen der erste den eigentlichen
Kommentar (mit einer möglichst wörtlichen englischen
Übersetzung), der andere die Exkurse enthält.
Lake zeichnet verantwortlich für das Ganze dieses Kommentars
; Cadbury hat sehr wesentliche Mitarbeit geleistet
; im Kommentar bekennen die Autoren eine Trennung
der beiderseitigen Anteile nicht vornehmen zu
können. Die Exkurse sind zum großen Teil von Lake,
zu einem kleineren Teil von Cadbury gearbeitet; für
einige Fragen sind noch andere Mitarbeiter zugezogen
worden.

Die Stärke des ganzen Werkes liegt nicht in der
betonten Vertretung neuer Theorien über die mannigfachen
Probleme der Apostelgeschichte. Sie liegt ganz
ausgesprochenermaßen in der Darstellung der Problematik
, die einzelne Stellen (Bd. IV) und bestimmte Themen
(Bd. V) bieten. Sie wird nicht oder doch nur selten
in der Auseinandersetzung mit der Arbeit anderer, ausdrücklich
zitierter Forscher vorgenommen; vor dem Leser
werden vielmehr die Möglichkeiten ausgebreitet, die sich
dem Interpreten bieten. Diese werden dann in sehr besonnener
, jedem Standpunkt sein Recht lassender Weise
diskutiert. Entscheidungen werden Vorsichtig begründet
, Fragliches wird, namentlich im eigentlichen Kommentar
, gelegentlich unentschieden gelassen. Eine so
besonnene und doch nicht urteilslose Haltung paßt gut
zu dem Charakter des ganzen Werks. Schon die ersten
Bände waren auf die Diskussion der literarischen und
historischen Fragen von verschiedenen Seiten abgestellt;
und die Tatsache vollends, daß der Textband von einem
anderen Autor stammt (Ropes) als der Kommentar, verbietet
jede subjektivistische Einseitigkeit.

Übrigens stehen die Herausgeber in der Textfrage im allgemeinen
auf dem Standpunkt von Ropes (vgl. meine Anzeige in dieser Zeitung
1927, 560 ff.), bevorzugen also den „neutralen" Text von B; in einer
Anzahl von Fällen aber geben sie D den Vorzug und in wesentlich
mehr Fällen würdigen sie die Meinung des D-Textes einer ausführlichen
Besprechung im Kommentar. Dabei wird auch der Möglichkeit gebührende
Berücksichtigung geschenkt, daß D bereits eine nach dem
ägyptischen (oder: „neutralen") Text interpolierte Form darbietet; so
scheint es z. B. Acta 18, 4 f. der Fall zu sein. Eine Bevorzugung des
westlichen Textes, sogar an einer Stelle, wo D ausfällt, findet sich 9, 22,
wo der Kommentar (aber nicht Ropes in Band III) die westliche, von
h, gig, p vertretene Lesart für ursprünglich hält, die den Inhalt der
Predigt des Paulus mit den Worten bezeichnet : inducens quia hic est Christus
in quem bene sensit deus. Diese Lesart weiche durchaus von den üblichen
Hinzufügungen des westlichen Textes ab und sei wahrscheinlich
aus theologischen Gründen ausgelassen (?). In jedem Fall aber muß
anerkannt werden, daß der Kommentar sich um die eigentliche Meinung
des westlichen Textes wirklich bemüht; nur auf diese Weise ist eine
exegetische Beurteilung der textkritischen Frage möglich. Ich würde
den Zusammenhang von Textkritik und Interpretation gelegentlich noch
mehr betonen. So scheint mir z. B. die Zufügung von et dimiserunt
tos ab se (h, ähnlich harcl und C 81) Act. 14, 18 für die literarische
Beurteilung wichtig zu sein: man sieht, daß der Abschluß des „neutralen
" Textes — „kaum brachten sie das Volk davon ab ihnen zu
opfern" — als ungenügend empfunden wurde. In der Tat ist es schwer
denkbar, daß die sonst so gut erzählte Geschichte ursprünglich mit