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Ausgabe:

1934 Nr. 1

Spalte:

198

Autor/Hrsg.:

Schütz, Roland

Titel/Untertitel:

Die Offenbarung des Johannes und Kaiser Domitian 1934

Rezensent:

Seesemann, Heinrich

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Seite 1

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197 Theologische Literaturzeitung 1934 Nr. 11.

pflichtenden Zielen — ist einer der Grundzüge der neuen
Epoche beschlossen" (S. 41).

Hier werden Gedanken aufgenommen, in denen für
den tiefer Blickenden der eigentliche Sinn der Beschäftigung
mit der augusteischen Zeit liegt. Es geht um
das wichtige Problem des Primates der Dichtung, das
in der augusteischen Zeit eine vorbildhafte Losung gefunden
hat. Der Dichter gewann eine neue Würde,
wie sie sich klar ausprägt in der Bezeichnung Musarum
sacerdos und in der Wiederaufnahme des Wortes vates.
Wir haben anzuerkennen, daß es hier eine Kultur gibt,
in der dem Dichter die Führung zufällt, und insbesondere
„eine Religion, für die der Dichter reprasenta-
. tiv war und deren Wesentliches in der dichterischen
Gestaltung seinen Ausdruck fand" (S. 80), auch wenn
unsere wissenschaftliche Systematik für eine solche Erscheinung
bisher keinen Raum bot. Jenes Zerrbild
des politischen Führers, der um seiner machtpolitischen
Ziele willen auch der alten Religion eine neue Organisation
verleiht, ist nun wohl endgültig verschwunden;
an seiner Stelle erhebt sich das Bild eines Augustus,
der in echter religio nach den Winken der Götter den in
seiner Zeit vorhandenen und ans Licht drängenden Bestrebungen
die praktische Gestaltung und damit Erfüllung
verleiht. Gerade auf religiösem Gebiete aber
werden diese Bestrebungen durch den Mund der Dichter
laut (wie man sieh überhaupt vor der Vorstellung
einer „anonymen Geistigkeit" zu hüten hat); an
zwei Beispielen zeigt Altheim, wie die Hinweise der
Dichter dem Handeln des Kaisers vorausgehen: die
Restitution der verfallenen Tempel im Jahre 28 erscheint
geradezu als Erfüllung der von Horaz in der
letzten Römerode ausgesprochenen Hoffnungen, und die
Heldenschau im sechsten Buch der Aeneis nimmt im
dichterischen Worte vorweg, was Augustus später in
Stein auf seinem Forum hat gestalten lassen. Daß
durch den Mund der Dichter die Gottheit spricht, diese
uralte Anschauung wird in augusteischer Zeit in einem
neuen Sinne lebendig, und so werden wir denn etwa die
Gedichte des Horaz, in denen er von seinem Verhältnis
zu den Musen oder seinem Ergriffensein durch
Bacchus spricht, als Urkunden echter Religiosität aufzufassen
haben.

Neben den religiösen Gestaltungen in Dichtung und
Kult noch nach einer „Volksreligion" zu fragen, verbietet
sich von selbst; abwegig ist auch die Annahme, die
„Gebildeten" hätten sich die Gestalten des „Volksglaubens
" durch philosophische Deutung annehmbar zu
machen gesucht; denn eben jene glückliche Konstellation
der schöpferischen Kräfte, die Volk und geistige
und politische Führung in Harmonie setzt, verleiht der
augusteischen Zeit das Gepräge des Einmaligen und
Unwiederbringlichen.

Jene Harmonie mußte sich naturgemäß in der Folgezeit
lösen: kein Dichter konnte mehr den Rang des vates
in Anspruch nehmen wie Vergil und Horaz, und die
Verehrung, die dem großen Menschen Augustus gezollt
wurde, galt nun der Institution des Prinzipats.
Der Kaiserkult nimmt immer breiteren Raum ein. Die
in der augusteischen Zeit geschaffenen Kultformen werden
mit Bewußtsein gewahrt von dem kleinen Kreise
des senatorischen Adels, der nun immer mehr zum
Träger der römischen Tradition wird und einen eigenen
repräsentativen Stil des Staatskultes schafft. Als dann
am Ende des zweiten Jahrhunderts die Schranken zwischen
sacra Romana und sacra peregrina fallen und der
bisher aus dem Staatskult ferngehaltene Orientalismus
eindringt, werden zwar die eigentlich römischen Elemente
von dem Fremden überwuchert. Gleichwohl zeigt
sich in der Art, wie nun die Religion der Staatsidee
und dem Romgedanken untergeordnet wird, römisches
Wesen. So verlieren zwar die Gottheiten ihre Sonderart
, aber römische Religion als geistige Form, deren
Wirksamkeit bis in unsere Tage dauert, ist damit bewahrt
geblieben.

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Überhaupt begreift Altheim römische Religion nicht
als einen Tatsachenkomplex, sondern als geistige Form,
die im Verlaufe der Jahrhunderte währenden Auseinandersetzung
mit fremdem Wesen sich ihrer selbst bewußt
wird. Die mit dieser fruchtbaren Idee verbundene
Umkehrung mancher bisher üblicher Vorstellun-
; gen zeigt sich besonders deutlich in der Art, wie Altheim
die letzte Epoche der römischen Religion bewertet
. Wenn diese, besonders nach den Forschungen
Cumonts und Reitzensteins, bisher unter den Schlagwörtern
„Orientalismus" und „Synkretismus" begriffen
wurde, so macht Altheim es sich zur Aufgabe, das
Römische auch dieser Zeit zu erfassen, also nicht eine
Religionsgeschichte der römischen Kaiserzeit zu geben,
sondern eine römische Religionsgeschichte in dieser Zeit.'
Damit wird in förderlichster Weise einer Grenzverwischung
Einhalt geboten, die bereits recht bedrohlich
geworden war.
Marburg£a. d. Lahn. Georg R o h d e.

Schütz, Roland: Die Offenbarung des Johannes und Kaiser
Domitian. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 1933. (67 S. u. 2
Taf.) gr. 8°. = Forschngn. z. Religion u. Literatur d. A. und N.T.
Neue Folge, 32. H. Der ganz. Reihe 50. H. RM 4.50.

Schütz legt einen neuen Versuch vor, das Rätsel
des historischen Hintergrundes der Apc, besonders das
der Kap. 13 und 17, zu lösen. In den letzten Jahrzehnten
, wie in den letzten Jahren, ist unendlich viel zu
dieser Frage geschrieben worden: man denke an Gun-
kels Schöpfung und Chaos und die sich an dieses Werk
anschließende Literatur; und man denke in neuerer Zeit
etwa an Lohmeyers Kommentar und die darauf folgende
Auseinandersetzung. Im allgemeinen ist man sich heute
— und das wohl mit Recht — darin einig, daß eine
völlige Ausschaltung der zeitgeschichtlichen Erklärung
falsch ist. Aber über die positiven Deutungen ist man
sich ebenso uneinig wie früher. Daran wird wohl auch
Schütz' neuer Vorschlag kaum etwas ändern. Es muß
ohne weiteres zugegeben werden, daß er seine Thesen
sehr gründlich unterbaut und überhaupt sehr sorgfältig
gearbeitet hat. Aber das hilft nicht über eine Reihe
von Zweifeln hinweg, die — so meine ich — immer bestehen
bleiben müssen. Wenn auch einiges für Schütz'
Deutung sprechen könnte, so steht ihr doch immer
noch sehr viel entgegen. Es kommt dem Verf. in
seiner Arbeit auf den Nachweis an, daß der Seher Johannes
in seinem Buch vielerlei Anspielungen auf Domitian
bringt und vor allem darauf, daß unter dem anderen
Tier (13, 11—18) Domitian zu verstehen sei.
Auch die Zahl 666 (616) meine ihn. Das wird besonders
genau dargelegt. Aber überzeugen können die angeführten
Gründe nicht. Sch. muß immer wieder mit
Möglichkeiten rechnen; nicht nur damit, daß mit 616
(666) auf das Jahr der Ermordung des Kaisers angespielt
wird (das 16. Regierungsjahr Domitians, das
vom 14.—18. September 96 dauerte; 600 = D(omi-
tianus) C(aesar); die Deutung geht von der römischen
Münzprägung und dem Münzterminus xdooeyiia Apc. 13,
18 aus), sondern sogar mit einem „Hinüberlesen (der
Zahl) aus dem Griechischen ins Lateinische" (!). Dadurch
fällt eine Beweiskraft für Schütz' Behauptungen
ohne weiteres hin. Ich fürchte, daß seine Vorschläge
keinen weiteren Erfolg zu verzeichnen haben werden,
als von einigen ,geglaubt', von anderen .vielleicht als
Möglichkeit' angesehen zu werden.

Göttingen. H. Seesemann.

Aalders, G. J. D.: Tertullianus' Citaten uit de Evangelien

en de oud-latijnsche Bijbel Vertalingen. Amsterdam: H. J. paris

1932. (201 S.) gr. 8°.
A. prüft die Evangelienzitate Tertullians, um die
schon so oft aufgeworfene Frage zu beantworten, ob
Tertullian die Evangelien in einer schon vorhandenen
lateinischen Übersetzung benütze oder sie erst selbst
aus dem Griechischen übertragen habe. Da die Ver-