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Ausgabe:

1933 Nr. 10

Spalte:

175-176

Autor/Hrsg.:

Filson, Floyd V.

Titel/Untertitel:

St. Paul‘s Conception of Recompense 1933

Rezensent:

Schneider, Johannes

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175

Theologische Literaturzeitung 1933 Nr. 10.

176

srten es so, wie es besser nicht möglich ist, indem sie
den Menschen das Evangelium abgewöhnen wollen"
(S. 151). Aber es fehlt gar zu viel: der Sinn für die
Frage nach der geschichtlichen Wahrheit; die echte Kritik
. So wird z.B. das Problem behandelt: Hat Christus
gelebt? Aber ich kann nicht finden, daß M. das
Problem wirklich sieht. Er bringt Stimmungen, führt
Texte an; die entscheidenden religionsgeschichtlichen
Fragen, die hier vorliegen, sind kaum berührt.

Dankbar habe ich die von M. eingestreuten eigenen
Dichtungen auf mich wirken lassen. Ich muß dabei freilich
oft den Gedanken fernhalten, daß sie versuchen, den
Jesus der Geschichte zu deuten. Dann aber, wenn mir
aas glückt, finde ich in den Dichtungen nicht nur Schönheit
, sondern gewaltiges Ringen um letzte Fragen.

Ein abschließendes Urteil wird man sich erst erlauben
, wenn der zweite Band vorliegt.
Großpösna bei Leipzig. Johannes Lei pol dt.

Filson, Floyd V.: St. PauPs Conception of Recotnpense.

Leipzig: J. C. Hinrichs 1931. (IV, 152 S.) 8°. = Untersuchgn. z.
Neuen Testament, hrsg. v. H. Windisch, Heft 21. RM 9—; geb. 11.50.

Der Vf. fragt, in welchem Verhältnis bei Paulus die
Gnade Gottes zu der menschlichen Verantwortlichkeit
steht. In seiner vorchristlichen Zeit habe sich das Denken
des Paulus über die Vergeltung auf das Gericht konzentriert
; Gott wird als der vollkommen Gerechte vorgestellt
. Die Bekehrung wirkte auch auf die Gestaltung
des Vergeltungsgedankens bei Paulus ein. Die Gnade
Gottes rückt in den Mittelpunkt. Damit verliert der Vergeltungsgedanke
seine zentrale Stellung. Paulus hält
aber an dem Vergeltungsprinzip fest; und zwar bleibt
die Vergeltung in dreifacher Beziehung bestehen: 1. die
göttliche Vergeltung trifft alle die, die nicht gläubig
sind und darum nicht gerettet werden, 2. Jesus ist an
Stelle der Menschen von der göttlichen Vergeltung betroffen
worden, 3. die Christen empfangen am Ende
der Tage Vergeltung für ihre Taten; denn der Tod
Christi deckt nicht die nach der Taufe begangenen
Sünden.

Die Frage, ob Paulus über die Anwendung des
Vergeltungsprinzips auf diejenigen, die das Evangelium
niemals gehört haben, theoretisiert hat, verneint der
Vf. Paulus habe keine systematische Anschauung über
das Schicksal der Nichtchristen gehabt. Der Vf. erklärt,
Paulus habe wohl manchmal Andeutungen in der Richtung
gemacht, daß Christus mit der ganzen Menschheit
in Verbindung stehe, aber diese Andeutungen bildeten
keine Grundlage für eine Theorie, „wie Gott mit den
Menschen handelt, die das Evangelium nicht gehört
haben".

In einem besonderen Kapitel behandelt der Vf. die
Vergeltung an den Ungläubigen. Nach genauer Untersuchung
der Ausdrücke, die sich auf das Gericht beziehen
, kommt er zu dem Ergebnis, daß Paulus wohl
die Tatsache und Gewißheit der Vergeltung für die Ungläubigen
betont, daß er aber nicht angibt, worin die
Bestrafung im einzelnen besteht. Die Vergeltung wirkt
sich in der Gegenwart noch nicht voll aus. Das endgültige
göttliche Urteil über die Sünde der Menschen
bringt erst das Endgericht. Im Zusammenhang damit
steht die Erkenntnis, daß es keine Errettung aller Menschen
gibt.

Die Frage, wie es mit der Bestrafung und Belohnung
der Gläubigen steht, beantwortet der Vf. so: Paulus
kennt eine Bestrafung des Gläubigen in der Gegenwart
zum Zwecke der Rettung vor dem Endgericht (1. Kor.
5, Iff.). Paulus hat aber auch mit der Möglichkeit gerechnet
, daß ein Christ das ewige Leben verlieren könne,
wenn sein sittliches Leben nicht in Ordnung sei. In
diesem Fall werde er verworfen. Die Vergeltung tritt
dann also für ihn voll in Kraft. Für sich selbst und die
meisten Gläubigen jedoch hofft Paulus auf die End-
errettung. Das ewige Leben ist die Belohnung für den
treuen Christenwandel. Darüber hinaus jedoch empfängt

i der Christ seinen Platz im „Reiche Gottes" nach seinen
i Werken.

Der Vf. stellt fest, daß in der Erkenntnis und Er-
I fahrung des Paulus Gedanken nebeneinander stehen,
zwischen denen wir eine Spannung empfinden, und' die
wir verstandesmäßig nicht auszugleichen vermögen: Gottes
Gnade und Vorausbestimmung einerseits und menschliche
Freiheit und Verantwortlichkeit andererseits. Das
erklärt sich aus der Tatsache, daß Gott für Paulus gleichzeitig
der Gott der Gnade und der Gott des Gerichts ist,
der schenkende und der fordernde Gott.

In einem Anhang behandelt F. den Vergeltungsge-
j danken in den Pastoralbriefen; in einem zweiten vergleicht
er Paulus und Luther in ihrer Stellung zum Vergeltungsgedanken
. — Der Vf. stellt immer wieder den
Satz in den Vordergrund, daß das endgültige Urteil
Gottes über den Christen ganz entscheidend von dem
Lebenswerk des Christen mitbestimmt wird. In dem Begriff
des „Lebenswerkes" liege letztlich die Rechtfertigung
dafür, daß Paulus auch für die Christen an der
Idee der göttlichen Vergeltung festhält.

Der Vf. hebt mit Recht hervor, daß die göttliche
Vergeltung sich nicht nur auf die ungläubigen Heiden,
sondern auch auf die Christen bezieht. Das Vergeltungsprinzip
ist auch nicht bloß als ein Rest jüdischer Denkweise
bei Paulus zu begreifen; es gehört vielmehr notwendig
in sein christliches Denken hinein. Man wird —
und das dürfte noch stärker zu betonen sein — vor allem
den Begriff des „Lebenswerkes" geltend machen müssen.
Die Frage, vor die Paulus sich dabei gestellt sieht, ist
die: Wie steht es mit dem Leben der Christen, nachdem
sie im Glauben das Rechtfertigungsurteil Gottes empfangen
haben? Paulus antwortet: Das Lebenswerk der
Christen unterliegt der Beurteilung Gottes im Endgericht
. Damit ist der Gedanke ein für allemal abgewehrt,
als könne der Christ leben, wie er wolle; das rechtfertigende
Urteil Gottes über ihn behalte ja in jedem Fall
seine Gültigkeit; denn die Entscheidung Gottes ist bereits
gefallen.

Von hier aus wird man den Versuch machen dürfen,
manche Gedanken des Verf. weiterzudenken. Man hat
zuweilen den Eindruck, als breche der Verf. ein von
ihm klar erkanntes und scharf formuliertes Problem zu
schnell ab. Die sehr wichtige Frage, wie sich der absolut
souveräne Gnadenwille Gottes, der seinen Ausdruck
in der Rechtfertigung aus Glauben findet, zu
Gottes heiliger, vergeltender Gerechtigkeit verhält, wird
von dem Verf. letztlich mit dem Hinweis darauf beantwortet
, daß diese beiden Gedankenlinien in Spannung
zu einander stehen. Vielleicht ist das in der Tat die
letztmögliche Antwort, die wir geben können. Aber es
muß m. E. gefragt werden, ob nicht doch von Paulus
her noch mehr dazu zu sagen ist. Jedenfalls könnte
mehr von dem Ringen des Paulus um diese schwer-
I wiegenden Fragen gesagt werden. Denn offenbar hat
Paulus darum gerungen; auch um die Frage, ob ein
Christ, der den Rechtfertigungsspruch Gottes empfangen
hat und getauft ist, schließlich doch verloren gehen
kann. Der Verf. scheint das nach einigen Äußerungen
anzunehmen. Aber kann Gott sein früheres Urteil durch
ein späteres aufheben? Ich kann nicht finden, daß
Paulus diese Frage absolut bejaht hat.

Es ist dem Verf. für seine sorgfältige Studie über
ein Grundproblem paulinischer Theologie zu danken.
Der Wert seines Buches liegt nicht zuletzt darin, daß
es eine Fülle von Anregungen gibt und dazu zwingt,
die vom Verf. aufgeworfenen Fragen erneut durchzu-
: denken.

Berlin. Johannes Schneider.

| Ehrhard, Albert: Die Kirche der Märtyrer. Ihre Aufgaben u.
ihre Leistungen. München: J. Kösel & Pustet 1932. (XII, 412 S.)
gr. 8°. Sieb. RM 10—.

Seinem Buche „Urchristentum und Katholizismus"
(Luzern 1926, vgl. Theol. Litztg. 1926, Sp. 606 ff.)
i läßt der hervorragende katholische Kirchenhistoriker