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Ausgabe:

1933 Nr. 9

Spalte:

163-165

Autor/Hrsg.:

Konen, H.

Titel/Untertitel:

Volkstum und Kulturpolitik, eine Sammlung von Aufsätzen, gewidmet Georg Schreiber zum 50. Geburtstage 1933

Rezensent:

Lerche, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1933 Nr. 9.

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storie im Gegensatz zur naturwissenschaftlichen Begriffsbildung
. Es folgt dem Interesse an der Methode
die Besinnung auf die Sache, zunächst auf die Struktur
der geschichtlichen Welt und die Dynamik des geschichtlichen
Ablaufs. Dahinter aber tritt immer deutlicher
hervor die Frage der Einordnung der eigenen
existenziellen Situation^ die Entdeckung, daß Geschichtlichkeit
überhaupt das Wesen des Daseins ausmacht,
und die Ausweitung der Geschichtsphilosophie zu einer
Ontotogie des Daseins überhaupt, bei der die Geschichtsphilosophie
in jeder Hinsicht im Zentrum der
philosophischen Gedankenwelt eingetaucht und aufgehoben
ist. Freilich, noch ist bei Heidegger alles Frage.

Dem Theologen, der besonders gern von Troeltsch
her den Historismus, seine Probleme und seine Überwindung
zu sehen pflegt, respektive als Theologe der
Krisis in Auseinandersetzung mit Troeltsch alle Geschichtsphilosophie
etwas kurz und kärglich nur einfach
ablehnt, ist es gut, hier vorgeführt zu erhalten, wie die
Dinge sich indessen doch weiterentwickelt haben. Mit
Recht wird die entweder rein negative oder alles lediglich
in das Schema der Ich-Du-Beziehung spannende
Geschichtstheologie der Dialektiker nur kurz als Anhang
zur nun schon älteren neukantischen Richtung behandelt
; hier ist wenig wirklich Neues. Die Ontotogie
des Daseins als Geschichtlichkeit bei Heidegger aber
eröffnet auch für eine positive Geschichtstheologie sehr
neue Fragen und Forderungen, die anders gelöst werden
müssen. Von Bultmanns sehr an Heidegger sich anlehnenden
Untersuchungen sagt Kaufmann da noch
nichts. Auch sieht er die Grundeinwendung des Theologen
gegen Heidegger nicht, daß allgemeine Ontotogie
des Daseins als Geschichtlichkeit und Ontik der existenziellen
Entscheidung für einen faktischen Richtungssinn
gar nicht so einfach getrennt werden können; sie liegen
viel stärker ineinander, als bei Heidegger sichtbar wird.
Ontotogie läßt sich ohne Rückbezug auf vorontologischc
ontische Entscheidungen in Wirklichkeit garnicht treiben;
sie wird je nach den letzteren sehr verschieden ausfallen
, auch sofern sie Ontologie der Geschichte sein
will. Von hier aus entsteht dann die der Theologie
eigene Aufgabe einer von aller Geschichtsphilosonhie
getrennten positiven Geschichtstheologie aufs Neue. Daß
dieselbe unterdessen in freilich etwas stürmenden Formen
von Erwin Reisner in Angriff genommen ist, bleibt
bei Kaufmann auch unerwähnt. Die damit ausgesproch-
nen Desideria eines Theotogen können freilich nur am
Rande eines Heftes über die Geschichtsphilosonhie der
Gegenwart auftauchen. Sie wollen den gut orientierenden
Wert und die bestimmte Urteilskraft des Heftes
nicht herabsetzen.
Greifswald. Wilhelm Koepp.

Volkstum und Kulturpolitik, eine Sammlung von Aufsätzen, gewidmet
Georg Schreiber zum 50. Geburtstage, hrsg. von H. Konen u. J. P.
Steffes Köln: Gilde-Verl. 1932. (XI,620S.) gr. 8°. geb. RM14-.
Wie Goethe einstmals Sendlings Entwicklung von
den Kabyren bis zur Weltseele beobachtet hatte, so
haben wir Schreibers Werdegang von „Kurie und Kloster
im 12. Jhdt." (vgl. Theol. Lit. Ztg. 1912 Nr. 3 Sp.
78—82) bis zur Reihe „Deutschtum und Ausland", von
der Tätigkeit des kleinen Kaplans in Potsdam bis zu
dem für unsere Außen- und Innenpolitik im Reichstage
allmächtigen Mann mit Teilnahme begleitet: es ist alles
in allem ein erstaunlicher Aufstieg, der höchstwahrscheinlich
den Gipfel noch nicht erreicht hat. Wenn in
dem Bilde des Prälaten Schreiber, wie ihn die Öffentlichkeit
und vor allen Dingen die evangelische Öffentlichkeit
sieht, hier und da die allzumarkanten Züge
straffster Betriebsamkeit und einseitig politisch-katholischer
Orientiertheit überstark hervortreten, so ist das
gewiß als Zeichen stärkster Zeitverbundenheit dieses
Lebens zu werten: wir wollen das nur feststellen, nicht
aber dazu Stellung nehmen. —

Schreiber hat nach rein kanonistischen Anfängen —
neben „Kurie und Kloster" wären seine leider nicht

I fortgeführten Studien über das Oblationenwesen (vgl.

I Theol. Lit. Zeitg. 1916 Nr. 10 Sp. 225 f.) zu nennen —
sich sehr bald kultursozialen („Mutter und Kind in der
Kultur der Kirche" vgl. Theol. Lit. Ztg. 1920 Nr. 13/14
Sp. 151 f.; Mitarbeit an Virchows Jahrbüchern für die

I gesamte Medizin) und kulturpolitischen Fragen zugewendet
. Die äußerst lebendige Teilnahme Schreibers an
naturwissenschaftlichen, volkswirtschaftlichen, medizinischen
und technischen Forschungsproblemen und -Nöten
, sein Eingreifen in Organisationsfragen der Wissen-

| Schaft und sein Eintreten für die Weltgeltung deutschen
Geistes haben ihn schnell über den Kreis seiner ursprünglichen
Tätigkeit hinausgeführt. Daß Schreiber in

| seiner öffentlichen Tätigkeit nicht überall Zustimmung

| gefunden hat, ist selbstverständlich; zur Wahrung evangelischer
Belange war er ja auch nicht berufen, und daß
schließlich weite Gebiete deutscher Kultur und Wissenschaft
vor dem Auslande katholisch orientiert erscheinen,

[ ist Schreibers Verdienst — und die Schuld anderer.
Diesem hervorragenden, vielseitigen und rührigen Kul-

j turpolitiker eine literarische Gabe bereits zum 50. Geburtstage
darzubringen, ist verständlich und begrüßenswert
. Mehrere der in diesem stattlichen Bande von
Konen und Steffes vereinigten Aufsätze stehen nun leider
nicht auf der wissenschaftlichen Höhe und peinlichen
Sorgfalt, die wir bei Schreiber gewöhnt sind.
Wir denken da z. B. an den umfangreichen Aufsatz von
Richard Mai: Südosteuropa und die deutsche Kultur,
ein Beitrag zur internationalen Kulturpolitik (S. 443 bis
470), der in allen Punkten recht oberflächlich ist und
von der Schwierigkeit der dortigen Probleme keine rechte
Vorstellung gibt. Mit Theater, Film und Musik, über die
Mai reichliche Nachrichten gibt, ist doch der Wert und
die Bedeutung der deutschen Kultur in Südosteuropa
nicht annähernd erschöpft. Was in den Balkanländern
an deutscher Kulturleistung allein im Rahmen der evangelischen
Diasporapflege geleistet ist, davon gibt Mai
nur ganz unzulängliche, hier und da peinlich unrichtige
Mitteilungen. Von erheblich höherem Werte ist dagegen
z. B. der Beitrag von Karl Gustav Feilerer:
Fragen um das auslanddeutsche Kirchenlied (S. 379
bis 395), der unausgesprochen, da das auslanddeutsclie
Kirchenlied überwiegend eine evangelische Angelegenheit
ist, evangelische Interessen in den Vordergrund stellt.
Nach F. hat die Entwicklung des auslanddeutschen Kirchengesangbuches
im allgemeinen folgende Stadien:
1. Heimatgesangbücher (Vielheit), 2. Vereinheitlichung
und Einigung auf ein Heimatgesangbuch. 3. Eigenge-
sangbuch, meist durch Umbildung und freie Weiterbildung
des einheitlich eingeführten Heimatgesangbuches
entstanden, teils nur als Titeleigengesangbuch, teils aber
mit Entfernung von der Grundlage. 4. Das von der
Heimat eingeführte Einheitsgesangbuch. In dieser Darlegung
offenbart sich auch ein Verständnis für die Entstehung
und Entwicklung deutscher evangelischer Auslanddiaspora
, wie es die Führer konfessionell lutherischer
Diasporapflege oft nicht aufzuweisen haben. Was
F. etwa an Mannigfaltigkeit deutscher evangelischer und
lutherischer Gesangbücher in Amerika S. 386 und S. 388
anführt, ist sehr wertvoll und eine geeignete Grundlage
für erwünschte vollständige Zusammenstellung. Der
Hinweis S. 385, daß für die deutschen evangelischen
Gemeinden in Chile das Landeskonsistorium in Dresden
die zuständige kirchliche Behörde — und damit das Gesangbuch
der ev.-luth. Landeskirche Sachsens das zuständige
ist, trifft nur teilweise zu, nämlich für drei evangelisch
-lutherische Gemeinden; die anderen ev. Gemeinden
sind z. Teil dem Deutschen Evangelischen Kirchenbunde
oder dem Evangelischen Oberkirchenrat in Berlin
angeschlossen und bilden zusammen mit den lutherischen
Gemeinden die deutsche evangelische Chilesynode.
Bei dem Übersetzungsbeispiel, für das F. Meyfarts „Jerusalem
, du hochgebaute Stadt" auswählt, — deutsches
Auslandgesangbuch sollte man richtig zitieren: Deutsches
evangelisches Gesangbuch, vom Deutschen Evangelischen
Kirchenausschuß den deutschen evangelischen Gemein-