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Ausgabe:

1933 Nr. 9

Spalte:

159-160

Autor/Hrsg.:

Moser, Simon

Titel/Untertitel:

Grundbegriffe der Naturphilosophie bei Wilhelm von Ockham 1933

Rezensent:

Heger, Adolf

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159

Theologische Literaturzeitung 1933 Nr. 9.

160

fassung steckt ein völliges Mißverständnis des Pls., der
den Begriff der „Religion" überhaupt nicht kennt und das
AT nicht unter dem Gesichtspunkt einer „at. Religion"
betrachtet. Dieses Mißverständnis macht auch die Ausführungen
über das Thema: „wie versteht Pls. das AT?"
unklar. Richtig zeigt der Verf. freilich, wie Pls. das AT
von der Überzeugung aus deutet, daß jetzt die Endzeit
da ist, für die es redet; aber wenn er das Urchristentum
nicht als Buch- sondern als Wortreligion, die immer
Geistreligion sei, betrachtet wissen will, so verschleiert
er gerade das eigentümliche Problem, warum und in
wiefern das AT als Buch für Pls. Autorität ist. Auch
die Ausführungen, die das Argumentationsverfahren des
Pls. mit dem der Diatribe vergleichen und nach der Be-
cleutung der Herrenworte für Pls. fragen, sind nicht geeignet
, den Autoritätsgedanken des Pls. zu klären. Vollends
möchte sich der Leser die Ausführungen über die
„systematisch-grundsätzlichen Fragen", nämlich über das
Verhältnis von YOflfP1'l- Y0"Mna> Jtveüp« und ebayyihav, gerne
erspart sehen. Sie sind getragen von dem idealistischen
Verständnis des Gegensatzes von Buchstabe
und Geist, das jedenfalls nicht das des Pls. ist.

„Welche Bedeutung hat die Schriftauslegung des
Pls. für die Geschichte der urchristlichen Religion?"
fragt das 4. Kap., dessen erster Abschnitt es zu dem
nicht gerade vielsagenden Ergebnis bringt: man darf
„vermuten, daß derselbe (der paulinische Schriftbeweis)
durchaus gewirkt hat, sowohl vor Juden als auch vor
Heiden". Ehe der Verf. dann im Einzelnen die Wirkung
des paulinischen Schriftbeweises in der nachpaulinischen
Literatur darstellt, geht er — warum hier und nicht schon
in Kap. 3? — auf das Verhältnis von Jesus und Pls.
in der Stellung zum AT ein, wobei er die Gesetzesauffassung
des Pls. als eine nicht ganz einheitliche bezeichnet
, da bei ihm eine „konservativ-bejahende" neben einer
„negativ-radikalen Gedankenreihe" stehe.

Der Schluß will die Formel vom „Geben und Nehmen
", die die Stellung des Pls. zum AT bezeichne, als
für die Gegenwart vorbildlich hinstellen; ihre konkrete
Anwendung müsse dadurch normiert sein, daß im Mittelpunkt
aller Auslegung Christus stehe. Auf solche nichtssagenden
Ratschläge hätte man gerne verzichtet, wie
man überhaupt bedauert, daß sich der Verf. nicht darauf
beschränkt hat, eines der Themen aus den beiden ersten
Kapiteln zu einer soliden und erschöpfenden Untersuchung
auszubauen.
Marburg. R. Bultmann.

Moser, Dr. Simon: Grundbegriffe der Naturphilosophie bei
Wilhelm von Ockham. Kritischer Vergleich der Summulae in
libros physicorum mit der Philosophie des Aristoteles. Innsbruck:
F.Rauch 1932. (VIII, 176 S.) 8°. = Philosophie u. Grenzwissenschaften
. Schriftenreihe, hrsg. v. Innsbrucker Institut f. scholast. Philos.
IV. Bd., 2./3. H. RM 6—.

Die Logik und die sogenannte „Erkenntnistheorie"
des Wilhelm von Ockham sind schon vielfach untersucht
und dargestellt worden. Da ist es von Bedeutung, daß
jetzt auch seine bisher wenig beachtete Naturphilosophie
eine gründliche Bearbeitung gefunden hat. Da die naturphilosophischen
Abhandlungen des Spätmittelalters mehr
oder weniger Kommentare zu den Schriften des Aristoteles
sind und so auch Ockhams Physikkommentare in
ständiger Abhängigkeit und Auseinandersetzung mit der
Naturlehre des Aristoteles geschrieben wurden, so hat sich
der Verf. die Aufgabe gestellt, sorgfältig das Verhältnis
der summulae in libros physicorum Ockhams zu der
Philosophie des Aristoteles zu untersuchen.

Die Arbeit geht von einem originären Verständnis
der aristotelischen Philosophie aus, um sich so die wesentlichsten
Gesichtspunkte und kritischen Maßstäbe für
die Beurteilung des Verhältnisses Ockhams zu Aristoteles
zu erwerben. Entsprechend der Einteilung Ockhams, nach
der im ersten Teil der Summulae die Prinzipien des Werdens
, priatio, materia, forma, im zweiten Teil die Ursachen
der Naturdinge, im dritten die Bewegung und im vierten
Teil Zeit und Ort behandelt werden, vergleicht der

Verf. die Grundbegriffe Ockhams Beraubung, Stoff, Form,
! die vier Ursachen und Bewegung und Zeit kritisch mit
den entsprechenden aristotelischen Begriffen. Dabei zeigen
sich zum Teil wesentliche Unterschiede zu den
i Lehren des Aristoteles. Z. B. bringt Aristoteles die Be-
I griffe species, essentia, das quod quid erat esse stets in
| Verbindung mit dem Formbegriff, während sie nach
I Ockham in die anima fallen und nichts mit der Form
als dem wirklich vorhandenen Bestandteil des Gewordenen
zu tun haben (S. 59). Außer auf Unterschiede zu
I Aristoteles achtet der Verf. vor allem auf Gedankengänge
Ockhams, die in eine ganz neue Richtung weisen und
zum Teil den Anschauungen der neuzeitlichen Naturphilosophie
, insbesondere des Descartes und Newton,
nahekommen. Ockhams These, daß das Seiende zerfalle
in das Gebiet des Seienden extra animam und in
das Gebiet des in anima Seienden (die Welt der Logik),
bereitet die Entwicklung des kartesianischen Begriffes
des menschlichen Geistes als einer in sich geschlossenen
res cogitans vor, die den res extensae gegenübersteht
(S. 41). Ebenso ist Descartes' Gleichsetzung von materia
und extensio in gewisser Weise durch Ockhams
Versuch vorbereitet, den ersten Stoff als ein schlechthin
quantitativ Bestimmtes aufzufassen (S. 56).

Durch die klare Herausstellung des Verhältnisses
der Abhängigkeit und der Unterschiedenheit Ockhams zu
Aristoteles und durch den Aufweis neuer vorwärts weisender
Gedankengänge bei Ockham leistet die Arbeit
einen wertvollen Dienst.

Riistringen-V/ilhelmshaven. Ad. Heger.

Lampe rt. Dr. Ulrich: Kirche und Staat in der Schweiz. Darstellung
ihrer rechtlichen Verhältnisse. Bd. I. Basel: Gebr. J. & F.
Hess 1929. (XVI, 390 S.) gr. 8°. Fr. 16.65; geb. 17.70.

Das Problem Kirche und Staat, das sich in Deutschland
ganz ähnlich stellt, wie in der Schweiz, wird1 hier
in großzügiger und weitangelegter Weise zur Darstellung
gebracht. L. arbeitet nicht nur klar und scharf die
grundsätzlichen Fragen heraus, es gelingt ihm auch,
den überreichen Stoff, den ihm die Verhältnisse zwischen
Kirche und Staat in der schweizerischen Eidgenossenschaft
und zugleich in den 25 Gliedstaaten, den
Kantonen, bieten, in seine systematische Gliederung einzufügen
. Das Buch ist vom katholischen Standpunkte aus
geschrieben. Der protestantische Leser wird jedoch nur
dankbar sein für die Belehrung, die ihm daraus zu Teil
wird. Durch das gebotene Tatsachenmaterial ist das
Werk ein nützliches Handbuch für jeden, der sich mit
diesen Fragen zu beschäftigen hat.

L. geht von der Voraussetzung aus, daß es über
den beiden koordinierten und selbständigen Rechtssub-
j jekten, Kirche und Staat, ein höheres Rechtsprinzip
i geben müsse, wonach sich das Verhältnis beider zu einander
regeln würde. Dazu gehört jedenfalls der Grundsatz
gegenseitiger Achtung des jedem Teile eigenen
selbständigen Bereiches. „ Die einheitliche göttliche
Weltordnung, welche die Menschen zum staatlichen Le-
! ben bestimmte und sie ebenso zu der von Christus gestifteten
Kirche berufen hat, kann unmöglich die Verhältnisbestimmung
beider Lebensordnungen nur der
Laune oder den Machtansprüchen der politischen Regenten
überlassen haben" (S. 4). Von der hier angedeuteten
Autorität aus muß also das Verhältnis von
Kirche und Staat eine harmonische Regelung finden
i können. Der Plan des Werkes ist demnach folgender:
Der 1. Abschnitt gibt grundlegende Orientierungen über
Kirche und Staat, sowie eine Übersicht der Rechtsquellen
. Der 2. Abschnitt behandelt die religiösen Freiheitsrechte
, welche in der schweizerischen Bundesverfassung
j niedergelegt sind. Der 3. beschäftigt sich mit der staats-
| rechtlichen Stellung der Religionsverbände in der
| Schweiz. Der 4. will die verschiedenen Systeme, nach
welchen das Verhältnis des Staates zur Kirche ausgestaltet
wurde, schildern. Im 5. Abschnitt soll dann
untersucht werden, wie der staatliche und1 kirchliche Bereich
abgegrenzt wird und abgegrenzt werden soll. Der