Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1933 Nr. 8

Spalte:

146-147

Autor/Hrsg.:

Schwer, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Der deutsche Katholizismus im Zeitalter des Kapitalismus 1933

Rezensent:

Lerche, Otto

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

145

Theologische Literaturzeitung 1933 Nr. 8.

146

vin nicht eine nur Gott bekannte „unsichtbare Kirche",
sondern die Kirche, in der das Wort lauter gepredigt
und die Sakramente recht verwaltet werden. Daß Calvin
also die Staatslehre nur in einem letzten Kapitel an
seine Institutio anhängt, über die Kirche dagegen zwölf
Kapitel schreibt, daß er kirchlicher Theologe geblieben
und nicht christlicher Staatsmann oder Anwalt einer allgemeinen
christlichen Kultur geworden ist, das ist bei
ihm tief in der Sache begründet, der er gedient hat. Weil
zweitens Stehen im Gehorsam nach Calvin etwas
anderes ist als „religiöse Verwirklichung", kennt er
keine Menschen, welche die Welt nach den Forderungen
Gottes zu gestalten hätten. Wohl aber kennt er von
Christus eingesetztes Predigtamt und Sakramente, die
im Gehorsam zu verwalten sind, weil Christus durch
diese Mittel seine Gemeinde selbst schaffen will. Gerade
die Kirchenzucht, welche die dazu berufenen Männer
ausüben, dient nicht etwa der Verwirklichung der heiligen
Gemeinde, sondern sie soll die einzelnen Glieder deutlich
daran erinnern, daß in der Gemeinde Christus selbst
auf dem Plane ist (vgl. Op. sei. I 371, 38 ff. 372, 27 ff.).
— Was nach Calvin Kirche ist und was Kirchenzucht,
das bedarf noch einer gründlichen Klärung. Gerade die
Arbeit Fr.'s fordert dazu wieder auf. Bei einer genauen
Untersuchung dieser wichtigen Kapitel der Theologie
Calvins wird man aber nicht übersehen dürfen, wie
bestimmend für sein Denken das regnum Christi ist.
Das gezeigt zu haben, ist das Verdienst F.'s.

Wuppertal-Elberfeld. Wilhelm Niesei.

Schiel, Dr. Hubert: Bischof Sailer und Ludwig I. von Bayern.

Mit ihrem Briefwechsel. Regensburg: O. J. Manz 1932. (197 S. m.

1 Bildn.) 8". kart. RM 2.50.

Lang, Berthold, S. J.: Bischof Sailer und seine Zeitgenossen.

Regensburg: O.J.Manz 1932. (252S. m.7 Abb.) 8". kart. RM 3.50.
Das Jahr 1932 gehört nicht nur dem Gedenken
Gustav Adolfs und Goethes, es war gewiß auch mit
vollem Recht Sailer, dem Regensburger Bischof, gewidmet
(vgl. das Buch von Schlags, Theol. Lit. Ztg. 1932
Nr. 23 Sp. 542). Schiel, der eine ausführliche Biographie
Sailers plant und dazu bereits mancherlei Vorarbeiten
geliefert hat, gibt als weitere Abschlagszahlung auf
diese zunächst einmal den Briefwechsel zwischen König
Ludwig I. von Bayern und J. M. v. Sailer. Er behandelt
in der Einleitung das Verhältnis zwischen Lehrer und
Schüler, das zwischen Sailer und Ludwig bestanden hat,
sodann schildert er eingehend die schwierigen und oft
vergeblichen Bemühungen Ludwigs, Sailer zum Bischof
zu machen; es folgt die Zeit Sailers in Regensburg und
die Mitarbeit des Bischofs an der Restauration der katholischen
Kirche in Bayern, bei der der frühere Lehrer
seinem früheren Schüler und nunmehrigen Könige besonders
treue Dienste leisten konnte. Der Briefwechsel,
zu dem die Jahre 1805, 1810 und 1816 nur je ein Stück
beitragen, wird erst nach Ernennung Sailers zum Weihbischof
1822 lebhafter, um dann 1827—1831 sehr rege
zu sein. König und Bischof haben alle nur denkbaren
Angelegenheiten in Staat und Kirche mit einander erörtert
, und es ist in diesem ganzen Verhältnis nur zu
bedauern, daß Sailer damals kurz vor seinem Ende
stand; sonst wäre wohl gerade aus dieser Verbindung
eine deutsche Besinnung der katholischen Kirche diesseits
der Berge möglich gewesen. —

Auch in Längs Darstellung nehmen die mannigfachen
Beziehungen Sailers zu seinem König einen verhältnismäßig
breiten Raum ein, und viele der hier vorgetragenen
Mitteilungen sind Ergänzungen und Wiederholungen
nicht nur dessen, was Lang im 6. Kapitel
seines eigenen Buches „Sailer und einige hervorragende
Laien" ausführt, sondern auch dessen, was wir bei Schiel
schon gelesen haben. Die Wirkung Sailers auf die „Genossen
fremder Religionen" war doch wohl viel stärker,
als es hier angedeutet wird. Allein das Buch Schieis
„Sailer und Lavater" (1928) führt da viel weiter. Die
Kapitel III. betr. Wittmann und IV betr. Diepenbrock

geben vielerlei neue Einblicke, ohne jedoch das Gesamtbild
wesentlich zu verändern.

Leipzig. Otto Lerche.

Schwer, Wilhelm, und Franz Müller: Der deutsche Katholizismus
im Zeitalter des Kapitalismus. Augsburg: Lit. Inst. Haas
8tOrabherr 193^. (224 S.) 8U. = Kirche u. Gesellschaft. Soziologische
Veröffentlichungen des kathol. Akademikerverbandes, hrsg. v. F.
Kirnberger u. F. X. Landmesser, 6. Bd. RM 3.50; geb. 4.50.

Bei den politischen Wahlen 1932 zeigte sich das
fortschreitende Anwachsen kommunistischer Stimmen besonders
in den Gebieten mit starker Industrialisierung
und überwiegender katholischer Bevölkerung am deutlichsten
. Bemerkenswert ist dabei, daß die katholische
Kirche nicht entsprechend dem Anwachsen kommunistischer
Stimmen an Gliedern verloren hat — ein Beweis
dafür, daß man als römisch-katholischer Kirchenchrist
recht wohl kommunistisch wählen kann. Wenn man nun
nach den Ursachen gerade des Anwachsens kommunistischer
Stimmen in den katholischen Industriegebieten
fragt, so könnte man mit Schwer die höchst einfache
Antwort finden, daß die protestantischen Industrieherren
— die katholische Bevölkerung befindet sich auch nach
Meinung Schwers in meist untergeordneten Stellungen,
vgl. dazu Neher: Die wirtschaftliche und soziale Lage
der Katholiken im westlichen Deutschland. Theologische
Literaturzeitung 1932 Nr. 9 S. 205 — jener Gebiete
sich besonders unsozial verhalten haben und
jetzt den Sold jahrzehntelanger Sünden ausgezahlt erhalten
. Es unterliegt aber wohl keinem Zweifel, daß
auch die katholischen Industrieherren, Großgrundbesitzer
und Finanzgrößen es in weitem Umfange an sozialem
Entgegenkommen haben fehlen lassen, und gerade in
den Kreisen der unsozialen Trustmagnaten ist auch die
katholische Konfession nicht selten vertreten. Schließlich
aber handelt es sich doch auch da unzweifelhaft um
kirchenpolitische Hintergründe, wenn das Verhältnis zwischen
protestantischen Arbeitgebern und katholischen Arbeitnehmern
nie ein warmes wurde. Es ist freilich nicht
zu diskutieren, daß die protestantische Staatslehre —
soweit man von einer solchen überhaupt reden kann —
dem Merkantilismus weithin die Wege geebnet hat, aber
die Dinge werden doch auf eine zu einfache Formel gebracht
, wenn man dem Protestantismus das Feststehen
mit beiden Füßen auf der Erde neidlos bescheinigt und
bescheiden für den Katholizismus das bessere Teil in
Anspruch nimmt. Das wäre gegen Schwers im Allgemeinen
anregende Ausführungen zu sagen.

In dem größeren Abschnitt von Müller (S. 77—214)
wird die Beurteilung des Kapitalismus in der katholischen
Publizistik des 19. Jahrh. geschildert. Müller geht
aus von der romantischen Erörterung des dritten und des
vierten Standes, um dann ausgiebig bei der Stellungnahme
der Historisch-politischen Blätter seit 1838 zur
Arbeiterfrage zu verweilen. Neben den aufsehenerregenden
Aufsätzen ihres Herausgebers E. J. Jörg und den
sozialpolitischen Schriften des Bischofs Ketteier fanden
gerade in katholischen Kreisen die Anfänge Lasalles und
Bebels Beachtung; Marx wird ebenfalls mit nur allzu
oberflächlicher Kritik aufgenommen. Weiter behandelt
M. die „Christlich-sozialen Blätter" mit der ihr nahestehenden
Bewegung, das Auftreten Hertlings und
Hitzes, die Wahl Stötzels und die Tätigkeit der christlichen
, also der katholischen Gewerkschaften. Wenn
vom Zentrum und namentlich von den Historisch-politischen
Blättern jahrzehntelang der Staatssozialismus abgelehnt
worden ist und andererseits jetzt der Staatssozialismus
bis zum Äußersten gerade von Zentrumsseite gefördert
und gewollt wird, so kommt man unschwierig
zu der Annahme, daß von dieser Seite damals nur deswegen
gegen den Staatssozialismus Bedenken geltend
gemacht wurden, weil es sich um eine protestantische
Staatsführung handelte. Moralphilosophische Schönrednerei
, die M. an Hertling bemängelt, tut heute auch
nicht gut. Müller sieht richtig, daß ein Arbeiter-„stand"