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Ausgabe:

1933 Nr. 7

Spalte:

121-122

Autor/Hrsg.:

Thulin, Oskar

Titel/Untertitel:

Johannes der Täufer im geistlichen Schauspiel des Mittelalters und der Reformationszeit 1933

Rezensent:

Kamlah, Wilhelm

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121

Theologische Literaturzeitung 1933 Nr. 7.

122

Thulin, Oskar: Johannes der Täufer im geistlichen Schau-
•piel des Mittelalters und der Reformationszeit. Leipzig: Dieterich
1930. (VIII, 150 S. u. 12 Bildtaf.) gr. 8°. = Studien über christl.
Denkmäler hrsg. v. J. Ficker, N. F. d. archäolog. Stud. z. christl.
Altertum u. Mittelalter, 19. H. RM 10.50.

Diese Untersuchung soll nicht so sehr der Geschichte ;
des mittelalterlichen Spieles im besonderen
dienen, als vielmehr die „Geschichte der Johannesgestalt
" auf einem begrenzten Gebiete monographisch
darstellen. Der Verf. zieht die bildende Kunst j
zur Erläuterung heran und kann so z. B. zeigen, wie
„der weisende Finger" zu der traditionellen Charakterisierung
des Johannes gehört, im Spiel so gut wie im
Bilde. Zunächst wird das P ro p he ten s p ie 1 auf Johannes
untersucht (Prophetenspiele des Weihnachtszyklus
, Passions- und Fronleichnamsspiele, Dramatisierungen
des Credo), dann die Höllenfahrts-Szene
in Oster- und Kollektivspielen, an der die Doppelstellung
des Johannes deutlich wird: Der letzte der harrenden
Propheten des alten Bundes und zugleich der Wegbereiter
, den schon das Licht des kommenden Christus
umleuchtet. In den Weltgerichtsspielen (die
nicht ausschließlich dem „Ende des Kirchenjahres" zugewiesen
werden dürften, da sie ebenso gut in die Adventszeit
gehören können — die Einschränkung des Gerichtsgedankens
auf das Ende des Kirchenjahres erfolgt
ja erst in der protestantischen Tradition) ist Johannes
, wenn er überhaupt einmal auftritt, der Fürbitter
neben Maria, hat hier also eine Funktion nicht aus der
biblischen Erzählung, sondern aus der Heiligendogmatik.
Weiterhin untersucht der Verf. aufs neue die großen
Passions- und Kollektivspiele vor allem des 15. Jahrh.,
um dieses Mal die Szenen des Lebens und der
Passion des Johannes herauszuheben, die Begegnung
der Mütter Elisabeth und Maria, die Taufe am Jordan,
die Rache der Herodias. In diesem Kapitel interessiert
besonders das Alsfelder Passionsspiel (Anfang des 16.
Jahrh.): „Hier finden sich die ehemals verstreuten Szenen
, das Prophetenspiel und die Höllenfahrt, mit dem
Johannesleben und -Sterben zusammen und ersetzen in
dieser einzelnen Persönlichkeit, ihrer Sendung und ihrem
Schicksal die gesamten Einzelszenen vom Engelssturz
über die alttestamentlichen Prototypen bis zur Geburt
Johannes' und Christi als dem Beginn des Neuen Testaments
" (S. 97/98). Das letzte Kapitel berichtet von
„besonderen Jo h a n ne s s pie 1 e n". Bei den
aristokratischen Knabenbrüderschaften in Florenz z. B.
ist jahrhundertelang das Spiel „San Giovanni nel de-
serto" beliebt, eine dramatische Gestaltung der legendären
Kindheitsgeschichte des Täufers. Im 16. Jahrh.
greifen Humanisten den Gegenstand auf: in Frankreich
entsteht neben anderen Johannesspielen der „Baptistes"
des Schotten Buchanan, im „Archipropheta" des Oxforder
Professors Nicolaus Grimoaldus (1547) wird
Johannes der Verkünder der reformatorischen Theologie.
Ähnliche Schuldramen finden sich auch in Deutschland,
sie tragen zuweilen den Titel „Tragoedia" und bekunden
schon darin das neue humanistische Begreifen des alten
Stoffes (Hans Sachs, Jakob Schöpper usw.). Für vielleicht
das beste der Johannesspiele — es ist „zugleich
das umfassendste undf einzige mehrtägige" (S. 129) —
hält der Verf. die „Tragoedia Joannis" des Katholiken
und Probstes zu Solothurn Johannes Aal (1549). Hier
ist mit feinem Können das Johannesleben in aller Vollständigkeit
dramatisiert, bis zum Bericht des Herolds
über Johannesreliquien. — Ein abschließender Überblick
zeigt: Johannes ist zunächst auch als Täufer der
Prophet im typologischen Zusammenhang des Hinweisens
vom alten auf den neuen Bund, an sich selbst
ohne Bedeutung. Für das Mönchtum ist er exemplarischer
Heiliger als Asket der Wüste, was mehr in
der Malerei als im Spiel zur Geltung kommen kann
und im Protestantismus gänzlich ausfällt. Im 15./16.
Jahrh. wird er Bußprediger gegenüber den Ständen
und schließlich auch gegenüber der Papstkirche. Das

späte Mittelalter bringt auch die Dramatisierung der
Passion des Johannes, in der er als Märtyrer seinen
der Passion Christi mehr und mehr angeglichenen Leidensweg
geht. Hier ist ein Schicksal, das Teilnahme
erregt, durch das der Prophet der früheren Spiele nun
als Person hervortritt, in den Johannesspielen als
„Hauptperson", im humanistischen Drama sogar als
Held einer Tragödie. Damit wächst seine Bedeutung als
Fürbitter unter den anderen Heiligen, als erster
kniet er neben Maria vor dem richtenden Christus.
Schließlich kann er als Person mit eigenem Leiden auch
im Hinweis auf Christus etwas anderes werden als
eine unpersönliche figura: der Führer, der „den Einzelmenschen
bei der Hand ergreift" (S. 142) und zu
Christus bringt. Diese Wandlung beginnt im 15. Jahrh.,
im Protestantismus vollendet sie sich. So ist das spät-
j mittelalterliche Spiel mit seinem Theaterprunk nicht
allein Profanisierung des früheren liturgischen Spiels,
vielmehr findet die neue Frömmigkeit des 15. Jahrh. und
der Reformation gerade hier gewisse Möglichkeiten sich
auszusprechen.

Vielleicht wäre es der Abhandlung zugute gekommen,
wenn der Verf. solche Beobachtungen nicht so sehr für
einen Schlußüberblick aufgespart, sondern in die Stoffsammlung
ganz hineingenommen und noch eindringlicher
am konkreten Material vorgeführt hätte, wenn er ferner
zuweilen für das, was er sagen will, eine angemessenere
Formulierung gefunden hätte (z. B. ist es doch eine gewagte
Sache, das spätmittelalterliche Spiel immer wieder
mit Begriffen wie „Historismus" und „psychologisches
Sehen" zu charakterisieren, wenngleich damit etwas Wesentliches
gemeint ist), im Ganzen aber ist dieser Versuch
einer schauspielgeschichtlichen Monographie wohlgelungen
und erreicht das, was er erreichen will: er
wirft neues Licht auf die — wohl nicht sehr glücklich
so genannte — „Geschichte der Frömmigkeit des Mittelalters
". Nachahmenswert ist im besonderen die überzeugende
positive Interpretation der späten Mysterienspiele
.

Göttingen. Wilhelm Kamiah.

Luther, D. Martin: Die sieben BuBpsalmen. 2. Bearbeitung
1525. In hochdeutscher Übertragung v. Pastor Lic. L. Przybylski.
Leipzig: Dörffling & Franke 1932. (70 S.) 8°. RM 2.50.

Mit der Übertragung des Luthertextes von 1525 in
das heutige Hochdeutsch will der Bearbeiter zum Lesen
der Schriften Luthers anregen. Er ist sich dabei der zu
überwindenden Schwierigkeiten bewußt. Er sucht diese
Schwierigkeiten zu beheben, indem er „in der sprachlichen
Form Einheit und Geschlossenheit" des Ganzen
festhalten möchte, wofür D. Holl und D. Hirsch ihm
Wegweisung gegeben hätten (S. 7 f.). Es kommt ihm
darauf an, die Erkenntnis Luthers zu vergegenwärtigen,
wie der sündige Mensch vor Gott durch Christus' als
der aus der Gnade Gerechtfertigte lebt. Das ist ihm
in seiner Übertragung weithin zu zeigen gelungen. Auch
über Sinn und Wesen der Kirche bringt Luthers zweite
Auslegung der Bußpsalmen wichtige Aufschlüsse und
sollte darum für die theologische Auseinandersetzung
der Gegenwart herangezogen werden. Für eine wissenschaftliche
Beschäftigung mit Luther kommt diese Übersetzung
allerdings wie jede Übertragung nur in Bezug
auf notwendige Vorarbeiten in Frage. Bei dem verhältnismäßig
hohen Preise von 2,50 RM. wird die gewünschte
Verbreitung schwierig sein. Bei einer Neuauflage wäre
darum eine billigere Ausführung nur zu begrüßen. Es
wären dann auch, wie in der Calver Ausgabe Bd. I,

I S. 173 ff. (Von der gläubigen Buße) Inhaltsangaben
und Zusammenfassungen zur Einführung und Vertiefung

j erwünscht. Zu S. 5 wäre nachzuweisen, ob Luther auch

: 1525 noch wieder auf der Wartburg weilte; davon ist

! mir nichts bekannt.

Ellensen i. Hannover. M. Nöldeke.