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Ausgabe:

1933 Nr. 6

Spalte:

110-111

Autor/Hrsg.:

Niebergall, Friedrich

Titel/Untertitel:

Jesus im Unterricht. Ein Handbuch für die Behandlung der neutestamentlichen Geschichte. 5., durchges. Aufl 1933

Rezensent:

Usener, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1933 Nr. 6.

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laufen" in die Möglichkeit des Todes. Dieses soll das Wesentliche vom
Unwesentlichen scheiden. Damit ist dann freilich der Einzelne auf seine
Einzigkeit zurückgeworfen, und das objektive Verstehen kann dann
nicht mehr mit Dilthey „bedeutsam" sein. So entläßt der Verf. uns
schließlich ohne Antwort. In einer konkreten Auseinandersetzung mit
Diltheys Begriff des objektiven Geistes hätte sie gesucht werden müssen.
Daß man dabei nicht in das Schema einer „naturwissenschaftlichen"
neutralen Objektivität zurückzufallen braucht, lehrt die kurz nach Land-
grebes Aufsatz im Philosophischen Anzeiger (III 3 u. 4, 1929; IV 3 u. 4,
1930) erschienene große und bedeutsame Abhandlung von Georg
Misch über „Lebensphilosophie und Phänomenologie", welche an
Diltheys Philosophie gerade die Befreiung vom einseitigen System zugunsten
der Form, die lebend sich entwickelt, und der verantwortlichen
Freiheit selbständigen Gestaltens heraushebt.

Sehr glücklich schließen sich an diese geschichtsphilosophischen
Abhandlungen Edmund Husserls „Vorlesungen zur Phänomenologie
des inneren Zeitbewußtseins" an. Sie führen von den Geschichtsfragen
auf die Ur-Konstituentien des Zeitbewußtseins zurück. Martin Heidegger
hat hier das letzte Stück einer Göttinger Vorlesung aus dem
W. S. 1904/5 mit „Nachträgen zur Vorlesung" und „neuen ergänzenden
Studien bis zum Jahre 1910" zusammengestellt. Gegenstand der Untersuchung
ist nicht die objektive, sondern die erscheinende, immanente
Zeit des Bewußtseinsverlaufs. Gefragt wird nach dem phänomenologischen
Datum, durch dessen empirische Apperzeption die Beziehung
auf objektive Zeit sich konstituiert.

So subtil als erleuchtend sind die Analysen des Bewußtseinsflusses.
Gefragt wird, wie es von den „Urempfindungen" des Bewußtseinsflusses
zum Aufbau des objektiven Zeitbewußtseins kommt. Wenn H. die Betonung
des präobjektiven Charakters des Bewußtseinsflusses mit Bergson
teilt, so unternimmt er gegen Bergson, von ihm aus gerade die objektive
Zeitgestalt, die „Weltzeit", aufzubauen. Die Theologie, die sich
gegenwärtig in besonderer Weise der Analyse der Zeitlichkeit zugewandt
hat, wird an diesen Untersuchungen nicht nur „formal" Subtilität und
Akribie wissenschaftlichen Verfahrens lernen können, sondern auch
„material" sich auf den Zusammenhang hinweisen lassen, der von dem
präobjektiven Zeitstrom notwendig zur Konstitution der objektiven
Zeit führt, und daher ihre heut beliebte Entgegenstellung „existentieller"
und „objektiver" Betrachtungsweise wieder zum Problem machen müssen.

Sehr treffend bemerkt der Herausgeber dieser Vorlesungen, daß sie
ein wichtiger Beitrag zum Problem der „I n t en t i on al i tät" sind.
Die hier gebotenen Analysen der Intentionalität werden zur Klärung
ihres Begriffs Wesentliches beitragen. Ebenso wird der Begriff der
„Evidenz" aufschlußreich geklärt. Husserl behauptet gerade nicht,
daß Wiedererinnerung und Reproduktion ihren Gegenstand unmodifiziert
lassen. Sondern evidente Erkenntnis gründet nach ihm vielmehr in der
unmittelbaren „Retention", die aller Reflexion vorangehend
das eben Gewesene im Jetzt festhält und so die Identifikation von jetzt
Seiendem und eben Gewesenen möglich macht. So sind diese Vorlesungen
ein ungemein wichtiger Beitrag zur Klärung der phänomenologischen
Methode.

Marburg. Th. Siegfried.

Jahrbuch für Liturgiewissenschaft, in Verbindg. m. Prof. Dr.

A. Baumstark u. Prof. Dr. A. L. Mayer hrsg. v. D. Dr. Odo

Casel Osb. 10. Bd. 1930. Münster i. W.: Aschendorff 1931.

(III, 427 S.) gr. 8°. = Veröff. d. Vereins z. Pflege d. Liturgiewiss.

E. V. (Sitz: Maria Laach).
Der Jahrgang überrascht aufs Neue durch Reichhaltigkeit
, Eindringen in alle Einzelheiten und Sorgfalt.
Anlage und Art blieben die gleichen. Unter den „Aufsätzen
" finden sich Abdrucke von zwei Blättern eines
Sakramentars in irischer Schrift des 8. Jahrh.s aus Regensburg
und von Fragmenten eines um 1000 in bene-
ventanischer Schrift geschriebenen Vollmissales aus der
Sammelhandschrift Cod. Vat. lat. 10645. Beide Bruchstücke
werden nach allen Richtungen hin geprüft und
ausgewertet. Von allgemeinerem Interesse ist eine Untersuchung
von P. Browe über die Kommunion an die j
drei letzten Kartagen, in der mehr geboten wird als die j
Überschrift besagt, nämlich mancherlei über diese Tage
selbst und die an ihnen geübten liturgischen Gebräuche;
auch vom Namen der Tage wird gehandelt. Ganz anderer
Art ist der lesenswerte Aufsatz von Anton L. !
Mayer: Liturgie, Romantik und Restauration. M. faßt [
das Thema sehr weit; er unterbaut seine Ausführungen |
durch Abschnitte über romantische Kunst, religiöse Dichtung
der Romantik, romantische Frömmigkeit. „Das
ganze Wesen romantischer Religiosität widerstrebt dem j
Geiste der Liturgie" (S. 103). Auch die Restauration
würdigt M. nach allen Richtungen; in sehr feinen Ausführungen
schildert er die individualistische Haltung der !

Frömmigkeit dieser Art und ihr wesentlich negatives
Verhältnis zur Liturgie; doch stellt er fest, daß diese
Zeit auch die Keime barg, aus denen sich später die
neue Hinwendung zur Liturgie entwickelte. Aus den
„Miszellen" sei nur ein Bericht über „kultische Probleme
" auf dem 1. Religionspsychologischen Kongreß
in Erfurt 1930 erwähnt. — Der Literaturbericht ist wie
immer äußerst reichhaltig, sorgfältig und objektiv gehalten
. Die Grenzen sind inhaltlich sehr weit gesteckt;
auch Schriften über die Weltanschauung des Katholizismus
und die Stellung der Lehre von der Kirche im dogmatischen
System werden besprochen. Am interessantesten
sind die Besprechungen über allgemeine liturgische
Fragen; hier kommt die grundsätzliche Haltung des
Jahrbuchs ausführlich zum Ausdruck. Zu dem Aufsatz
des Jesuiten J. A. Jungmann „Was ist Liturgie?" (in
Ztsch. f. kath. Theol. 1931) nimmt Odo Casel auf
31/« engbedruckten Seiten kritisch Stellung ; J. gehe nicht
vom innersten Wesen der Liturgie aus, und das deshalb
nicht, weil er die Kirche nicht in ihrem letzten Wesens-
gründ erfasse. C. bekennt sich seinerseits zu der Definition
: „L. ist das Kult-Mysterium Christi und der
Kirche." Das eigentliche Subjekt der Liturgie sei der
mystische Christus, d. h. Christus als caput ecclesiae
zusammen mit dem corpus Christi mystieum. Fast will
es mir scheinen, als sei diesmal die protestantische Literatur
noch mehr berücksichtigt als sonst. Über Asting,
Die Heiligkeit im Urchristentum, wird auf fast 4 Seiten
berichtet. Auch von der protestantischen Seite her werden
Schriften herangezogen, die wir kaum als noch in
den engeren Interessenbereich der Liturgik fallend ansehen
, z. B. Althaus, Communio sanetorum.
Breslau._M. Schi an.

Nlebergall, Prof. D. Friedrich: Jesus im Unterricht. Ein Handbuch
f. d. Behandlung d. neutestatnentl. Geschichte. 5. durchges. Aufl.
Göttingen: Vandenhoeck& Ruprecht 1932. (VI, 153 S.) 8°. = Prak-
tisch-theol. Handbibliothek. Eine Sammig. v. Leitfäden f. d. kirchl.
Praxis hrsg. v. Fr. Niebergall, 11. Bd. RM 3—.

Der Name dieses in der Literatur der praktischen
Theologie so außerordentlich fruchtbaren Verfassers, dem
nun der Tod die fleißige Feder aus der Hand genommen
hat, bedeutet für die moderne Katechetik im gewissen
Sinne ein Programm. Daß sein Buch in 5. verbesserter
Auflage erscheinen konnte, ist ein Zeichen, wie es seinen
Weg gemacht hat und vielen, zunächst der theologischen
Richtung des Verfassers nahestehenden Religionslehrern
und Pfarrern, aber auch vielen andern hat dienen
können. In dem Vorwort zur ersten Auflage, die wieder
abgedruckt ist, sagt der Verf.: „Das ist das hohe Vorrecht
der Schule, daß sie im Unterricht über Jesus das
heranwachsende Geschlecht langsam in die Grundlage
des religiösen Lebens einzuführen hat, um auch ihm den
festen Standort für das Leben zu übermitteln. — Dieser
Aufgabe will das vorliegende Buch dienen." Es will
die Mitte einhalten zwischen „den Schriften des N.T., neu
herausgegeben von W. Bousset und W. Heitmüller"
und den ganz auf die Praxis eingestellten Präparationswerken
. Nach allgemeinen Übersichten z. B. über Kindheitsgeschichte
und Wunder findet bei jeder Geschichte
eine dreifache Behandlung statt 1. einleitende, geschichtlich
-kritische Erkenntnisse, 2. das religiöse Gedankengut,
3. Winke für die einzelnen Schulstufen. Die Einführung
findet warme Worte für die Bedeutung des Bildes Jesu
für den Unterricht und das Leben. Aber ist nicht das
Verdikt über den Religionsunterricht „der meisten Lehrer,
die gar nicht ahnen, wie unwahr ihr ganzer Unterricht
in der Religion ist", allzu scharf? Des Verf. temperamentvolle
Art führt auch bei der Behandlung einzelner
Geschichten zu starken Übertreibungen, so wenn er nach
einer im übrigen sehr schönen Behandlung der Weihnachtsgeschichte
sagt: „Dann hat man mehr geleistet
als wenn man eine Lehre daraus zieht oder die armen
Kinder so lange verprügelt, bis die Geschichte auswendig
hergesagt wird"; oder „der mürrische Polizeiton der
üblichen Katechismen". Einen großen, gewiß manchmal