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Ausgabe:

1933 Nr. 5

Spalte:

85-89

Autor/Hrsg.:

Haeussermann, Friedrich

Titel/Untertitel:

Wortempfang und Symbol in der alttestamentlichen Prophetie 1933

Rezensent:

Budde, Karl

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Theologische Literaturzeitung 1933 Nr. 5.

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— gegen Vieles, Einwände erheben und finden, daß er
in seiner Polemik gegen andere Forscher nicht immer
glücklich ist. Ebenso ist gewiß, daß er — wie das bei
„neuen Funden" so häufig^ zu sein pflegt — seine These
übertreibt und überall nordisraelitische Herkunft wittert
oder annimmt, wo das kaum beweisbar noch wahrscheinlich
ist. Auch laufen wohl manche Irrtümer mitunter—wozu
ich z. B. die Rechnung von Silo zu Benjamin nehme
(S. 122. 195 vgl. dagegen Rieht. 21,21). Immerhin wird
man ihm darin folgen können, daß man mehr auf Nord^
israelitisches im Ä. T. achtet als bisher. Doch bleibt
die Frage, wenn W. Recht hat mit dem Deuteronomium,
was war denn das Gesetz, das man unter Josias im
Tempel fand? Ist es gar wahrscheinlich, daß man ein
nordisraelitisches Gesetz damals übernahm und nur am
Anfang etwas zurechtstutzte und darauf die Reformen
aufbaute? Weiter: bedeutet das Legen des Gesetzes
(31,24 ff., wofür andere das Lied des Moses K. 32
lesen und verstehn) tatsächlich eine Außerkraftsetzung?
Ist denn die Hineinlegung des Dekalogs in die Lade
(K. 10, lff.) auch als eine Abschaffung des Zehnwortes
gemeint? Und wenn nun das Deuteronomium doch
einen Teil des Pentateuchs bildet und als zur Thora
gehörig „heilige Schrift" der Juden war und ist — kann
man da wirklich von einem vollkommenen Zurücktreten
deuteronomischen Geistes und deuteronomischer Sprache
reden? Ich meine kaum.

Bonn. J- Meinhold.

Haeussermann, Friedrich : Wortcmpfang und Symbol In der
alttestamentlichen Prophetie. Eine Untersuchung z. Psychologie
d. prophetischen Erlebnisses. Gießen : A. Töpelmann 1932. (IV,
128 S.) gr. 8°. = Beihefte zur ZAW 58. RM 6.50.

Das Buch zeugt von ernster Hingebung und beruht
auf einem großen Aufwand gewissenhafter Arbeit. Ob
ich der rechte Mann bin, es ausreichend und zutreffend
zu beurteilen und zu würdigen, ist mir nicht ganz sicher,
weil ich die heutige Psychologie nicht beherrsche. Indessen
hat der Verfasser doch augenscheinlich nicht zu
dieser, sondern zum Verständnis des Alten Testaments
einen neuen Beitrag liefern wollen, und so darf ich doch
hoffen, nützliche Beobachtungen und Bedenken beisteuern
zu können.

„Wortempfang und Symbol in der alttestamentlichen
Prophetie", so heißt das Buch. Es muß sogleich auffallen
, daß der Erste Abschnitt dem Wortempfang
nur 25 Seiten widmet, der Zweite Abschnitt, „Das
Wort Jahwes in der Gestalt des Symbols", dem Symbol
genau den dreifachen Umfang. Es wird darauf zurückzukommen
und zu fragen sein, ob nicht eine besondere
Auffassung und Erklärung des Wortempfangs diese ungleiche
Verteilung des Umfangs veranlaßt hat, und ob
es sich nicht daraus auch erklärt, daß der Dritte Abschnitt
, „Erlebnis und Deutung", nicht einfach eine
Unterabteilung des zweiten bildet.

Mit den „Bezeichnungen für den Wortempfänger"
setzt der erste Abschnitt ein. Ganz unerwähnt und unbe-
sprochen bleibt darunter die allgemeine, doch recht häufige
und mit wenigen Ausnahmen nur von Propheten
gebrauchte Bezeichnung Q'Ü ;sn was umso auffälliger
ist, als S. 4 oben „der Gottesmann" ohne jede
Erklärung als allgemeinste Begriffsbezeichnung für den
Propheten vorausgesetzt wird. Neben ngfi untl Pljh
hätten doch die selteneren Synonyma nci un(j -^vj a[-,er
auch PTirP "S, wo es die Person des Propheten bezeichnet
, unter 1., „Wortempfänger", aufgeführt werden sollen
, und nicht erst S. 18—20 unter 2., „Empfangenes
Wort und Wortempfang". Vor allem aber durften „Seher
" und „Schauer", rtfr* und hfltl, als Wortempfänger
nicht die erste Stelle einnehmen, sondern die gebührte
unbedingt der eigentlichen Bezeichnung, die dem Buche
Gegenstand und Titel liefert, und für die jene nur als
Umschreibungen eintreten: dem Namen ii*aji „Pro-
p h e t". Daß dieser eigentliche, auch bei weitem häufigste
Name für den Offenbarungsempfänger erst auf S. 8ff.
nachfolgt, hat seinen Grund ohne Zweifel vor allem in
seiner vermeintlichen Zwiespältigkeit, insofern dem Verfasser
„Nabl" — so in unsre Schrift umschrieben —
und „Prophet" verschiedene Begriffe sind. Und das, obgleich
er (S. 9 f.) darlegt, wie Nnro der Name für alle
denkbaren Abstufungen in Persönlichkeit und Auftreten
der Propheten ist, bis zu „hervorragenden religiösen
Persönlichkeiten", wie Abraham, Mose, Elia, Jesaja,
Jeremia usw.1 Und dagegen hilft es auch nichts, „das
verschwindend geringe Vorkommen des Titels als prophetische
Selbstbezeichnung" zu betonen; denn was sollte
dem Propheten Anlaß geben, sich mit seinem Titel zu

j nennen, und welche andre Selbstbezeichnung kann der
Verf. dagegen aufführen? Wir haben es hier eben mit
dem leidigen, von Duhm eingeführten Gebrauch zu tun,
die Wesensbezeichnung N1?? in Umschrift als Bezeichnung
für den „Volkspropheten" (so Haeuss. S. 9) in
unsren wissenschaftlichen Sprachgebrauch herüberzuneh-
men 2, dagegen „Prophet" nur den „klassischen Propheten
" (Haeuss. S. 14. 21. 24 usw.) vorzubehalten. Wenn
man sich dafür auf Am. 7, 14 berufen will, als wenn dort

| Arnos den trnj auch seinem Wesen nach von sich ab*
lehnte, so beweist V. 16, daß diese Auslegung falsch ist,

I da der Prophet mit seinem Auftreten nur Jahwes Befehl
«3?ri Folge leistet; 2, llf. beweist dasselbe und

! hätte durchaus nicht unter den Stellen für die „Volks-

| propheten" gebucht werden dürfen (S. 9). Die Unterscheidung
ist vielmehr völlig widersinnig und unmöglich.

I Denn ayo(P.jTiK ist in LXX, aus der der Name stammt, die

I ausschließliche und geradezu ausnahmslose Wiedergabe
des hebräischen und steht daneben nur an ein

paar vereinzelten Stellen für die Stellvertreter nsn und
njt», ist also mit lediglich Einunddasselbe. Aber

nicht nur hier gilt Duhm gegenüber das unbewußte
avTÖc. «pa, und es wird wohl ebenso unmöglich sein,

| diesen rein willkürlichen Fehlgriff auszurotten, wie die
Gunkel'schen „Flüche" über Mann und Weib, das ganze

I Menschengeschlecht, in Gn. 3, 16 ff.3 Und doch handelt

J es sich keineswegs bloß um eine mehr oder minder
gleichgültige Namengebung. Vielmehr ist daraus, daß
der N ame ^r1? dem Prophetentum von seinem aller-
ältesten bis zu seinem letzten Auftreten unabänderlich
treu blieb, mit Sicherheit zu schließen, daß es sich dabei,
trotz aller inneren Entwickelung, die sich durch Jahr-

i hunderte und Zeitalter hin in ihm vollzogen hatte, doch
überall um die gleiche, besondere Art der Ergriffenheit
und Gottangehörigkeit handelte4, die den Zeitgenossen
immer mit wesentlich den gleichen Erscheinungsformen
gegenübertrat und daran von ihnen erkannt wurde. Gerade
was am Prophetentum mit psychologischen Maßstäben
erfaßt und auf eine psychologische Formel gebracht
werden könnte, dürfte sich weit überwiegend in
dem Namen N*aj zusammenschließen und seinen verschiedenen
Schattierungen im wesentlichen gemeinsam

i gewesen sein. So kann ich es, um ein Beispiel anzuführen
, nicht für richtig halten, wenn der Verf. (S. 27 f.)
den Zustand der Ekstase auf die (niedrigere) „Stufe des
Nabitums" beschränkt wissen will. Er selbst widerlegt
das, wenn er S. 77—79 von „dem ekstatischen Zustand
und Vorgang" in Jesaja's Berufungsvision redet.

Aber Haeussermann will insbesondere von Wortempfang
und Symbol handeln, und daß ihm davon das
sichtbare Symbol so weit überwiegt, hat wohl mit dazu
beigetragen, daß er bei dem Wortempfang den Namen „Seher"
und „Schauer" die erste Stelle eingeräumt hat. Das Sym-

1) In der Aufzählung ist S. 10, Z. 2 zu berichtigen, daß auch Jer.
i 28,11 der Titel „Der Prophet", Jer. 38,9 „Jeremia der Prophet" in
; LXX fehlt.

2) „Nabls" und „Nabitum" Haeussermann von S. 11 an durch
1 das ganze Buch, einfach als selbstverständlich, ohne Erklärung oder Begründung
.

3) Vgl. neustens wieder Begrich ZAW 1932, S. 101 f.

4) Eine andere z. B. als die des Nasiräers, vgl. Am. 2, 11. 12.