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Ausgabe:

1933 Nr. 3

Spalte:

43-44

Autor/Hrsg.:

Baumgärtel, Friedrich

Titel/Untertitel:

Die Eigenart der alttestamentlichen Frömmigkeit 1933

Rezensent:

Wendel, Adolf

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Theologische Literaturzeitung 1933 Nr. 3.

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heutigen Tag Realitäten des religiösen Bereiches bilden.
Und zweitens sei auf den Abschnitt über das Alter der
römischen Sage hingewiesen. Hier wird die für die Erkenntnis
des Römertums heute so dringliche Frage nach
dem Werte der römischen Tradition mit einer Reihe
klärender Bemerkungen bedacht, die in den Worten
gipfeln (S. 70): „Nicht die Frage, ob griechische Züge
in einer römischen Sagenerzählung enthalten sind oder
nicht, muß in den Mittelpunkt treten, sondern die nach
dem Vorhandensein einer römischen Form". Freilich,
die Untersuchung über Faunus und Daunus, die als Beispiel
für die Fruchtbarkeit dieses Grundsatzes dienen
soll, ist bei all ihrem Reichtum an überraschenden Kombinationen
nicht unbedingt überzeugend. Hier zeigt sich
die ganze Schwierigkeit des Unternehmens Altheims, und
es ist gut, sich bei der höchst anregenden Lektüre immer
die Worte des Verfassers gegenwärtig zu halten (1, 9):
„Jedes Unternehmen einer römischen oder — was heute
als endgültiges Ziel zu fordern ist — einer italischen
Religionsgeschichte wird auf lange Zeit hinaus ein Provisorium
bleiben."
Marburg a. d. Lahn. Georg R o h d e.

Baumgärtel, Prof. D. Friedrich: Die Eigenart;'der alttesta-
mentlichen Frömmigkeit. Schwerin: F.Bahn 1932. (119 S.) 8°.

RM. 3.60; geb. 4.80.

Mit der Methode der frömmigkeitsgeschichtlichen
Forschung und in Anlehnung und Weiterführung bisheriger
diesbezüglicher Studien für das A.T. will die
Schrift aus den besonderen Voraussetzungen und Bindungen
sowie deren Ausgestaltung die Eigenart der alt-
test. Frömmigkeit erfassen. Sie möchte nicht nur fachwissenschaftlichem
Interesse dienen, sondern auch klärend
in die entsprechenden Gegenwartsfragen eingreifen.

Die in dem Titel genannte Aufgabe der Erfassung
hat sich auch Joh. Hänel in seinem Buche: „Die Religion
der Heiligkeit", 1931, gestellt. Im Zusammenhang
mit diesem Werke kann auch sein Schriftchen: „Das
Wort Gottes und das A. T.", 1932, genannt werden.
Während Hänel in der zweitgenannten Abhandlung mehr
dogmatisch, von der christlichen Glaubenswarte aus, an
sein Thema herangeht, will Baumgärtel in bewußtem
Gegensatz gegen jenen Weg seine Untersuchung als
eine rein-historische angesehen wissen.

Nach einer kurzen Einleitung, die auf die Bedeutung
des geschichtlichen Erlebens des isr. Volkes für die
Gestaltung seiner Religion weist, zeichnet der Verf. I. Die
Voraussetzungen (an Bindungen alttest. Frömmigkeit).
1. Die Diesseitsgebundenheit alttest. Frömmigkeit. 2. Die
kultisch-völkische Gebundenheit. 3. Den eigenartigen
Gottesgedanken. Er fragt IL nach der Gestaltung dieser
Bindungen im frommen Leben. 1. Wie wirkt sich die
Diesseitsgebundenheit aus? 2. Die Gestaltung aus der
kultisch-völkischen Gebundenheit. 3. Die Auswirkung des
eigenartigen Gottesgedankens. Der III. Abschnitt weist
auf die Spannungen und den Durchbruch auf Neues.
1. Sprengung der kultisch-völkischen Gebundenheit. 2.
Sprengung der Diesseitsgebundenheit. Ein Register stellt
behandelte Realien zusammen.

Als Ergebnis wird die Eigenart schließlich darin gesehen
, „daß diese in starker Gebundenheit befangene
Frömmigkeit die Kraft gehabt hat, sich über sich selbst
hinaus zu heben in eine neue, in eine höhere Glaubensgewißheit
".

Die kultisch-völkische Gebundenheit umfaßt eigentlich
zwei Momente, die man auch getrennt hätte behandeln
können: 1. Die Bindung an den Kult als Ausdrucksform
. 2. Die Bindung an das Volk als Ort des
Frommseins und Gotterlebens. Der Verf. findet das
Übergeordnete und Bindemoment im „Kollektiverleben",
was gewiß seine Berechtigung hat. Man wird auch
fragen können, ob das diesseitige und das kultisch-völkische
Verhaftetsein die einzigen Bindungen der isr. Religion
darstellen. Es ließe sich z. B. auch an die Spannungen
denken, die sich aus dem Verhältnis von sittlicher
Hochreligion und primitiver Volksreligion ergaben.
Ist doch die theistische Frömmigkeit weithin durchsetzt
von dynamistischen und dämonistischen Elementen. Zumal
da der Verf. selbst nicht an dem Problem vorbeigehen
kann (vgl. S. 17 ff., auch S. 631), hätte sich eine
eigene Betrachtung dieser Bildungsform neben den genannten
denken lassen. Ich gedenke, in einer demnächst
erscheinenden Schrift („Säkularisierung in Israels Kultur
") gerade über die Auswirkung dieser Spannung zu
handeln. Die Ausschaltung der primitiven Elemente als
nicht-charakteristisch zur Erhebung der frommen Eigenart
Israels rechtfertigt zwar der Verf. (S. 11, Anm. 7),
aber mindestens aus der Form der Auseinandersetzung
mit ihnen läßt sich doch Eigenart erheben. Daß die
kultische, d. h. mit dem Verf. die an Ort, Zeit, Kollektiverleben
gebundene Äußerungsform nicht die einzige
der isr. Frömmigkeit, und zwar gerade des Volkes ist,
glaube ich in meinem „Freien Laiengebet im vorexili-
schen Israel", 1931, entgegen dem Verf. nachgewiesen
zu haben, der (S. 23—25) diesen Zeugnissen geringeren
Wert beimessen möchte. Vielleicht durfte noch genauer
zum Ausdruck kommen — angedeutet ist es S. 115 —,
in welchem zeitlichen Verhältnis die ungelösten und die
gelösten Spannungen zu einander standen; Vieles ist
doch eben gleichzeitig, sodaß auf die Verteilung auf
Schichten und Kreise des Volkes, bzw. auf Einzelne und
M.asse, hätte eingegangen werden können.

Es ist bezeichnend für das ernste Drängen der gegenwärtigen
alttest. Forschung auf die Erfassung der zentralen
religiösen Werte des A.T., daß 2 bzw. 3 Bücher
mit derselben Absicht fast zu gleicher Zeit erscheinen.
Auch die vorliegende Schrift ist wieder ein Zeugnis von
I der Lebensnähe der alttest. wiss. Arbeit unserer Gegen-
i wart hinsichtlich Kirche, Christentum und Zeilfragen. An
weiterer Literatur über den Kampf zwischen hoher Got-
I tesidee und Niederungen der Frömmigkeit im A.T., sei,
größtenteils mit speziellerer Tendenz verfaßt, Folgendes
genannt: Edm. Mugler: Gottesdienst und' Menschenadel,
I, 1927; Joh. Hempel: A.T. und völkische Frage, 1931;
Joach. Begrich: Antisemitisches im A.T., 1931; Joh.
Meinhold: Das A.T. u. evangelisches Christentum, 1931.
Baumgärtel hat ein sehr plastisches Bild zu zeichnen
i verstanden von dieser Auseinandersetzung der prophe-
! tischen Hochreligion mit den gesch.-volkl. Bindungen
| der isr. Frömmigkeit, aber auch vom Endergebnis dieses
I Kampfes. Dabei hat er die Schwierigkeit einer systematischen
Darstellung der isr. Religion im Hinblick auf
ihre vielfachen historischen Wandlungen und Schichtun-
j gen stets berücksichtigt, hat aber trotz der Verschlungen-
heiten seinen klaren Weg beibehalten. So liegt uns
! ein sehr geschickter Deiitungsversuch der frommen
| Psyche Israels aus dem Spannungsverhältnis ihrer Elemente
und deren Ergebnis vor. Das ist das Neue und
unbedingt richtig Erkannte, daß die Gebundenheit ge-
( rade Ausgangspunkt bedeutsamer hoher Formungen
wurde. Geradezu ausgezeichnet ist die Partie über die
| notwendige Stelle des Vergeltungsglaubens in Israels
; Religion, S. 43 ff., ebenso die über das Verständnis ihres
| völkischen Charakters, S. 51 ff. Anzuerkennen ist, daß
i trotzdem die Schwächen der alttest. Frömmigkeit rückhaltlos
zugegeben werden, ja es wird ihnen in ungeschmälerter
Wahrhaftigkeit geradezu nachgespürt. Während
Hänel das fertige Buch vor sich hat, weiß Baurn-
; gärtel, daß es sich um Zeugnisse des frommen Lebens
, und Werdens handelt. Auch über die Eschatologie ist,
: wenn auch knapp, recht Gewichtiges ausgeführt, S. 71 ff.,
98 f. Sehr schön wird aufgezeigt, in welcher Nähe sich
die Sprengungen der alttest. Bindungen gegenüber dem
1 N.T. befinden.

So hat uns der Verf. eine bedeutsame Schrift mit
! scharfsinniger und klarer Gedankenfolge geschenkt. Ihre
Durcharbeitung gibt dem Fachmanne reiche Anregungen
und vielen Gewinn für verschiedene Problemstellungen
seines Arbeitens.

Ober-Breidenbach i. Hessen. _Adolf Wendel.