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Ausgabe:

1933 Nr. 2

Spalte:

33

Autor/Hrsg.:

Schwamm, Hermann

Titel/Untertitel:

Magistri Joannis de Ripa O. F. M. doctrina de praescienta divina. Inquisitio historica 1933

Rezensent:

Koch, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1933 Nr. 2.

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die großen charakteristischen Sakramentare verarbeitet,
sondern auch die Reihe der Evangelienbücher und
Messantiphonare. Die Liturgiewissenschaft wird für
•diesen Anhang besonders dankbar sein.

Eilenburg. _Hans Hohl wein.

Schwamm, Hermann: Magistrl Joannis de RipaO.F.M.
doctrina de praescientia divlna. Inquisitio historica. Rom:
Pontificia Universitate Gregoriana [o. J.j. (XII, 227 S.) 8°. = Analecta
Oregoriana fasc. 1.
Die päpstliche Universität der Jesuiten in Rom, die Oregoriana,
gibt seit neuester Zeit zu ihrer jetzt im 13. Jahrgang laufenden Zeitschrift
Oregorianum noch Beihefte, Analecta Oregoriana, heraus, von
denen hier das erste zur Besprechung vorliegt. Sein Verfasser ist ein
Priester der Diözese Speyer, der an der Oregoriana die theol. u. philos.
Orade und den Titel und das Recht eines magister aggregatus, sagen
•wir Privatdozenten, der theol. Fakultät erworben hat. Die Studie wurde
angeregt durch Kardinal Ehrles S. J. Buch „Der Sentenzenkommentar
Peters v. Candia" (1925), worin ein bis dahin unbeachteter, aber nicht
unbedeutender Franziskanertheologe, Johannes de Ripa (auch de Marchia
genannt), der ums Jahr 1350 zu Paris doziert hat, ans Licht gezogen
worden ist. Auch er hat einen, noch ungedruckten, Kommentar zu den
Sentenzen des Lombarden hinterlassen, und aus diesem Kommentar hat
nun der junge Speyerer Gelehrte die Abschnitte herausgegriffen, in denen
Ripa die Frage nach dem göttlichen Vorherwissen behandelt. Diese
Frage ward nämlich nicht erst im Zeitalter der thomistisch-molinistischen
Streitigkeiten (16./17. Jahrh.), sondern schon im 14. Jahrh. lebhaft erörtert
. Ihr schwierigster Punkt ist die Unterfrage: wie kann Willensfreiheit
neben göttlichem Vorherwissen noch bestehen? Der Verfasser
"vorliegender Studie stellt in einem ersten Teile fest, daß Ripa die bedingt
-zukünftigen Geschehnisse, auch die menschlichen Willensentschlüsse,
im göttlichen Willen bereits vorherbestimmt (prädeterminiert) sein läßt,
aber darin keine „necessitas antecedens", sondern nur eine „necessitas
conseqentiae causalis" für den menschlichen Willen findet, hiemit aber
die Freiheit des Willens gewahrt glaubt. Aus dieser Feststellung ergibt
sich, daß die Thomisten des 16. Jahrh. in dem Franziskaner Ripa bereits
einen Vorläufer hatten. - Der zweite Teil der Studie spürt nach
der Quelle dieses „Prä-Thomismus" ; sie fließt aus — Duns Skotus.
* Schon Peter v. Candia und der Augustiner Johannes v. Basel (14. Jahrh.),
•die diesen Prä-Thomismus bekämpften, aber auch seine Verteidiger, des
Ripa Schüler Richard Barba und der Franziskaner Franz v. Perugia,
haben die Quelle gekannt. Ripas Lehre vom göttl. Vorherwissen sucht
die Mitte einzuhalten zwischen Thomas Bradwardine, der die Willensfreiheit
faktisch aufhob, und den Okkamisten Adam Wodham, Gregor
von Rimini u. a., welche die Willensfreiheit überschätzten und eben deshalb
jenen Prädeterminismus bekämpften; doch steht Ripa näher bei
ßradwardine als in der Mitte; trotzdem sei seine Lehre nicht mit der
Lehre des Joh. von Mirecourt verurteilt worden, jedenfalls stehe hierüber
nichts fest. Die Studie Schwamms verdient sehr Beachtung, denn sie
wirft ein neues Licht auf die Theologiegeschichte des 14. Jahrh. In erster
Linie interessiert sie die beiden heute noch einander bekämpfenden Lager
der Molinisten und Thomisten. Bei den Molinisten hat sie, begreiflich,
volle Zustimmung gefunden (vgl. „Scholastik" 1931, 420 f. und „Zeit-
schr. f. kath. Theologie" 1931, 476/79 mit wertvollem Nachtrag).
Die Thomisten werden gewiß die Ableitung ihres „Thomismus" von —
Skotus nicht wahrhaben wollen. Ihre Auseinandersetzung mit der methodisch
tadellosen, problemgeschichtlich ertragreichen, leidenschaftslos und
in verständlichem Latein geschriebenen Arbeit Schwamms, auf die noch
weitere Studien über Ripa folgen sollen, möge das sehr überraschende
Ergebnis vollends klären! Hierzu trägt auch Schwamms neuestes Werk
über „Die Erkenntnis des Kontingenten nach Robert Cowton" (1931) bei.
Von den wenigen Druckfehlern sei das unverständliche Worts. 10, Anmerkung
Z. 1 v. u. genannt.

^/Waiblingen (WOrtt.).___Wilhelm Koch.

Voisy, Alfred: MGmoires pour servir ä l'histoire religieuse
de notre temps. Tome 1: 1857-1900, Tome 2: 1900—1908,
Tome 3: 1908—1927. Paris: E. Nourry 1930/31. (592, 664, 576 S.)
gr. 8°. 175 Fr. |

R,i vifere, Jean: Le ModernIsme dans 1'Eglise. Etüde d'histoire
religieuse contemporaine. Paris: Letouzey et Ane" 1929. (XXIX
589 S.) 8°. 40 fr

Unsere Zeitung hat sich Loisy gegenüber zu einer j
Unterlassungssünde zu bekennen, für die allerdings der I
Verlag, der die Bücher nicht eingeschickt hat, in erster
Linie verantwortlich ist. Schon in der Vorkriegszeit begegnet
man Loisys Namen in unseren Spalten nicht allzu '
oft. Seine bekannteste Schrift: „L'Evangüe et 1'Eglise' j
hat Harnack (1904, 59 f.), leider nur an Hand der
Übersetzung, als der im Buch Bekämpfte mit gewichtigem |
Wort besprochen; „Le quatrieme Evangile" hat Holtz- |
mann (1904, 405 f.) verständnisvoll gewürdigt; Bousset
(1912, 98—101) verwies nachdrücklich auf die in „A '

propos d'histoire des reiigions" gesammelten Aufsätze;
j Wende (1912, 523 f.) gab kurz Notiz von „Jesus et
j la tradition evangelique"; Dibelius (1914, 552 f.) von
„L'Evangüe Selon Marc". Voilä tout, denn in der Kriegsund
Nachkriegszeit finde ich Uoisy Namen nicht mehr
im Inhaltsverzeichnis. Weder seine religionsgeschichtlichen
(„Les rnysteres paiens et le mystere chretien",
1914, 2. Aufl. 1922; Essai historique sur le sacrifice,
1924) und bibelwissenschaftlichen L'Epitre aux Qalates,
1916; „Les Actes des Apötres", 1920; „L'Apocalypse
de Jean", (1923); „L'Evangüe selon Luc", 1924;
nicht zu vergessen die Übersetzung der „Livres du Nou-
veau Testament", 1922) noch die religionsphilosophii-
schen („La Religion", 2. Ausgabe 1924; „Religion et
Humanite", 1926; „La Morale hurnaine", 1923; „De la
Discipline intellectuelle", 1919) sind besprochen worden.
Und doch stehen diese späteren Schriften hinter den
früheren an wissenschaftlicher und persönlicher Bedeutung
sicher nicht zurück. Zumal die religionsphilosophischen
lassen Loisy in einem Licht erscheinen, in
dem wir ihn bisher zu sehen nicht gewohnt waren. Der
frühere Modernist, der sich inzwischen nicht nur von der
Kirche, sondern auch von dem abgewandt hat, was man
positives Christentum zu nennen pflegt, verficht in diesen
Schriften das Ideal einer glaubenslosen Religion der
Humanität mit eindringlicher Beredsamkeit. Auch als
entschlossener Pazifist ist er an die Öffentlichkeit getreten
(„Guerre et Religion", 1915; „Mors et Vita", 2.
Aufl. 1917; „La Paix des Nations et la Religion de
l'avenir", 1919).1 Nunmehr läßt er uns am Spätabend
eines reichen, nur der Wissenschaft geweihten Lebens
einen tiefen Einblick tun in sein Werden und sein Gewordensein
, abschließend mit einem sympathischen Überblick
über den Kongreß, den die internationale Gelehrtenwelt
zu Ehren des Siebzigjährigen im April 1927 veranstaltete
, und an dem auch die deutschen Universitäten
durch Bonn, Breslau, Gießen und Halle vertreten waren
. Von der Begrüßung durch den Sprecher der Deutschen
sagt Loisy (Memoires 3, 526): „J'avoue que ce
fut pour moi le plus beau moment du congres et l'un des
meilleurs de mon existence".

„Denkwürdigkeiten zur zeitgenössischen Religionsgeschichte
" hat Loisy sein großes Werk genannt und
mit diesem Titel zum Ausdruck gebracht, daß er seine
Erinnerungen nicht unter rein biographischen Gesichtspunkt
gestellt wissen will, mehr noch, daß er sich der
Bedeutung bewußt ist, die seine persönlichen Schicksale
für die Allgemeinheit besitzen. Sein Gedächtnis
stützen Tagebuchnotizen und Briefwechsel. Beides ist,
zumal in den späteren Teilen des Werkes, so stark in
den Zusammenhang der Darstellung verwoben, oder,
man kann auch sagen, sprengt diesen Zusammenhang
so sehr, daß die Geduld des Lesers auf weite Strecken
ziemlich stark in Anspruch genommen wird. Doch steht
dem der Vorteil gegenüber, daß man die Eindrücke sozusagen
aus erster Hand erhält und sich vor Erinnerungstrübungen
weitgehend geschützt weiß (3,546: ces
memoires, qui pourront toujours servir de glose utile
pour l'interpretation des documents d'apres lesquels je
les ai construits). Besonders wertvoll sind die reichlichen
, an der Ökonomie des Buches gemessen, fast überreichlichen
Mitteilungen aus dem Briefwechsel mit Friedrich
von Hügel. Sie bilden eine wichtige Ergänzung
zu der von B. Holland (1927) herausgegebenen Auswahl
von Hügel-Briefen, deren Einseitigkeit, wenigstens soweit
die Beziehungen zu Loisy in Betracht kommen,
dadurch bestätigt wird. Jedenfalls sind sie redende
Zeugnisse für den durch Jahrzehnte fortgesetzten freundschaftlichen
Verkehr zwischen zwei Männern, die im
Grunde in ihrer Auffassung von Leben, Wissenschaft

1) Vgl. hierzu meinen Artikel: „Alfred Loisy und der Krieg" in
der „Christlichen Welt" 46 (1932), 780—783. Er bedarf aber einer
Ergänzung durch den Artikel von W. Köhler in derselben Zeitschrift 36
(1922), 385—388, in dem an „Guerre et Religion" gezeigt wird, daß L.
leider während des Krieges auch an deutschfeindlicher Psychose gelitten hat.