Recherche – Detailansicht
Ausgabe: | 1933 Nr. 22 |
Spalte: | 404-407 |
Autor/Hrsg.: | Adolph, Heinrich |
Titel/Untertitel: | Theologie, Kirche, Universität 1933 |
Rezensent: | Fendt, Leonhard |
Ansicht Scan: | |
Download Scan: |
403
Theologische Literaturzeitung 1933 Nr. 22.
404
,Das System' aus, um schließlich bei der Analyse der
philosophischen Voraussetzungen humanistischer Geisteshaltung
den Grundfehler dieser verhängnisvollen Entwicklung
in der ursprünglichen Verbindung des Erkenntnismäßigen
und des Ethischen im Humanismus vergangener
Zeiten bloßzulegen. Und damit ergibt sich
auch die wuchtige These: „Die gegenwärtige Krisis
der westeuropäischen Kulturwelt ist die Krisis des Humanismus
" (66). Diese „erstreckt sich über den ganzen
Bereich, den der Humanismus beherrscht, und das ist
der gesamte Komplex unseres Lebens. Nicht nur die
reinen Geisteswissenschaften, Philosophie, Theologie, Geschichte
, auch die der Praxis zugewandten Gebiete der
Erziehung und des Rechts, weiter die Staaten und ihre
Verfassung, die Volksgemeinschaft, ja nicht zuletzt auch
die Erwerbswirtschaft, ihre Struktur und ihr Betrieb,
— alles ist in die Krisis geraten. Der Mensch, als Mensch
an sich, hat von seinem usurpierten Erkenntnisstandr
punkte im Weltmittelpunkt aus durch seine alles beherrschende
Tendenz, durch seinen schöpferischen Anspruch,
durch seine Hybris, den ganzen eigenen Lebensbereich in
eine ungeheure Spannung der Wirklichkeit gegenüber
gebracht. Denn die Krisis ist nichts anderes als Entfernung
von der Wirklichkeit. Sie bedroht uns mit völliger
Lebensunmöglichkeit. Und einen Ausweg hat der Humanismus
nicht. Seine ultima ratio, wenn er sich treu bleiben
will, ist nur Steigerung seines Anspruchs bis zum
äußersten: ,Wir müssen, wir müssen!', führt also nur
zur weiteren Verschärfung der Krisis" (S. 68). Den Auswirkungen
dieses Humanismus auf den einzelnen Gebieten
unseres Lebens: Geschichte, Gemeinschaft, Ideenverwirklichung
, Erziehung und Bildung geht der Verfasser
weiterhin nach, um darzulegen, was für ein Ausmaß
diese Überfremdung der Wirklichkeit durch rationale
Ideen erreicht hat" (104). „Die ethisch-idealistische
Geisteshaltung" auf staatlichem und kulturellem
Gebiet ist „unter der Belastung durch die Nöte der Zeit
zusammengebrochen. Wir werden um eine schöne Illusion
ärmer" (121). Damit ist auch das humanistische
Bildungsideal aufgegeben und das Werdeziel auf den
inneren Kontakt mit der illusionsfreien Wirklichkeit verlegt
. Und nun zieht der Verfasser auch die letzten Konsequenzen
seiner aufwühlenden Ausführungen auf dem
Gebiet des Glaubens und der Theologie. In der seit
nahezu zwei Jahrtausende währenden Auseinandersetzung
zwischen der humanistischen Weltanschauung und dem
Offenbarungsglauben ist heute insofern eine Wendung
eingetreten, als „der Glaube des Menschen an sich selbst
sich als eine nicht tragfähige Basis für die menschliche
Existenz, und die aus diesem Glauben geborene humanistische
Illusion sich als eine auf die Dauer unmögliche
Geisteshaltung erwiesen hat" (134). Für unsere menschliche
Existenz aber kann es dann nicht zweifelhaft sein,
daß es „nur eine Entscheidung gibt": den Glauben an
die Offenbarung Gottes. „Der Mensch muß mit seinem
Autoritätsanspruch gänzlich der absoluten Autorität Gottes
weichen, sieht seine ganze Existenz vor Gott in Frage
gestellt und sinkt zu einem Objekt seines Weltregiments,
zu einem Gegenstand des göttlichen Erbarmens herab"
(138). Damit ist auch die Aufgabe der Theologie umschrieben
: „sie ist Wissenschaft, — Wissenschaft in dem
richtigen Sinne gefaßt, daß sie nicht auf schöpferische
Erkenntnisse, sondern auf Wissen, auf Erforschung und
Anerkennung von Gegebenheiten gerichtet ist —, die
der Glaubenssphäre zugewandt ist. Und zwar der gesamten
Glaubenssphäre. Sie hat den Kampf zu führen
gegen den Glauben des Menschen an sich selbst, von
der einzig möglichen Stellung aus, von der dieser Glaube
überhaupt abgewiesen werden kann, vom Gottesglauben j
aus; und diesen, den Glauben an die Offenbarung Gottes
, hat sie zu bezeugen, und soweit das möglich ist,
denkend zu erforschen und zur Anerkennung zu bringen"
(146). Damit stehen wir vor der letzten Entscheidung:
Ist die Offenbarung Gottes als „ein Einbruch der All- i
macht Gottes in unsere menschliche Sphäre" anzu-
| sehen, so haben wir „eine Glaubenssphäre anzuerkennen
I und sie als das Primäre unserer geistigen Existenz anzusehen
", die „jenseits und vor dem Bereich der Vernunft-
j erkenntnis liegt, die sich nur als etwas Sekundäres aus
dem Glauben des Menschen an sich selbst entwickelt".
Aber ob es die letzte Entscheidung ist? Welches sind
| die Merkmale einer völlig wirklichen Offenbarung? Wenn
die Kategorien des Menschlichen ausscheiden, bleibt als
| Sphäre der Offenbarung die Geschichte — welche Geschichte
? Die Religionsgeschichte der Völker im Kultur-
j kreis des Mittelmeers oder all der Völker, welche im
Lauf der Jahrtausende eines „Einbruchs der Allmacht
Gottes" einer „Offenbarung" gewürdigt wurden? Worin
unterscheidet sich primäre Offenbarung von sekundärer
wenn der „Bereich der Vernunfterkenntnis" nicht
mehr gilt—?
München. R. F. Merkel.
Adolph, Heinrich: Theologie, Kirche, Universität. Tübingen:
I. C. B. Mohr 1933. (22 S.) gr. 8° = Theologische Flugschriften a. d.
Verlag v. h C. B. MoHr, Tübingen. RM — 60.
Die positiven Gedanken dieser (in der neuen Lage
der Dinge auf jeden Fall höchst beachtenswerten) Schrift
sind etwa folgende: Theologie muß jetzt zur Existenz-
Theologie werden; Existenz ist ein Gemeinschaftsphänomen
; „die entscheidende Ganzheitsform protestantischen
Seins" liegt aber vor in der Kirche — der protestantische
Theologe wird also seine Existenz in der evangelischen
Kirche haben — oder er wird nicht existieren.
„Kirche" bedeutet ja die entscheidende und radikale Auseinandersetzung
des Menschen mit Gott! Und diese
Auseinandersetzung ist die Kirche gerade als „Gemeinschaft
der vom Wort Ergriffenen, im Glauben Existierenden
, in der Nachfolge des Christus Stehenden". Natürlich
wird die Theologie in der Kirche Wissenschaft
bleiben („Theologie ist somit eine polare Erscheinung ...
zwischen den beiden Polen der Wissenschaftlichkeit und
der gläubigen Existenz"). Das wissenschaftliche Moment
verlangt „die technische Fähigkeit, lebendig gezeugtes
Sein begrifflich scharf auszudrücken, gegenüber anderen
Lehrbildungen abzugrenzen und mit der allgemeinen Zeitbildung
in Kontakt zu bringen" (= „systematische Ausprägung
des persönlich vertretenen Wahrheitsgehaltes").
Ist die Theologie zugleich wissenschaftlich und kirchlich
, so denkt sich das der Verfasser nach Analogie der
katholischen Situation: das Erste ist die Gemeinde, die
Kirche, die wirkliche Gemeinschaft; die Theologie hat
dem zu dienen, sie ist sekundär. Es wird auch im Protestantismus
„der kirchliche Pol mehr und mehr dasüber-
J gewicht bekommen". Dennoch darf in der Theologie
die Freiheit der Forschung nicht eingeschränkt werden,
vielmehr soll „jede katholisierende Zwangsherrschaft
über den Geist" ausgeschlossen sein. Bloß: es Wird
J keine Theologie mehr geben, welche sich ihre Probleme
! individualistisch schafft (= „Privattheologie"), sondern
! die wissenschaftliche theologische Arbeit wird „dem nach
Gestaltung strebenden Leben zum wesensgemäßen Aus-
| druck verhelfen und den tiefsten Sinn des Protestantis-
j mus in klare Begriffe bringen". Und das besagt zugleich
: die Führerstellung in der Kirche werden nicht
mehr die Theologen haben, sondern die Bischöfe (=„der
wesenhafte Mensch, der charismatische, prophetische,
gläubige Seinsträger, die bischöfliche Natur"). Für die
theologischen Fakultäten an den Universitäten entstehen
so zwei Zukunftsmöglichkeiten. Falls die Kirche soweit
kommt, „tief in den Wesensgründen der Natur verwurzelt
" zu sein und „gleichzeitig den christlichen Glauben
in deutscher Form" zu verkündigen, so wird sie „wirkliche
Volkskirche" sein, das heißt wir werden zur „Ausbildung
einer deutsch-christlichen Gesamtkultur" gelangen
, „die in Kirche und Staat gleichmäßig herrscht und
beide, trotz ihrer notwendig verschiedenen Funktionen,
mit gleicher Energie substantiell bedingt". Dann wird
die theologische Fakultät natürlicherweise im Rahmen
der Universität ihre Arbeitsgemeinschaft mit den übri-