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Ausgabe:

1933 Nr. 22

Spalte:

397-398

Autor/Hrsg.:

Erichsen, W.

Titel/Untertitel:

Faijumische Fragmente der Reden des Agathonicus Bischofs von Tarsus 1933

Rezensent:

Leipoldt, Johannes

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397

Theologische Literaturzeitung 1933 Nr. 22.

398

Babylonisches ist doch auch in der „echt prophetischen
Berufung" (2. 6—3. 9). Was hätte es für einen
Zweck, Ez. zu sagen, er brauche zu keinem fremdsprachigen
Volk zu gehen, sondern nur zu seinen eigenen
Landsleuten, wenn er in Jerusalem war? In Babylonien
ist das durchaus am Platz, ebenso wie auch der Gedanke,
daß die Fremdsprachigen gehorchen würden. Es wird
wohl wenige deutsche Pfarrer in New York geben, die
nicht dann und wann gedacht haben, bei den Englischen
würden sie ganz andere Erfolge haben als bei ihren
eigenen Landsleuten. In Kap. 4 spricht der Lehmziegel
mit dem Stadtplan deutlich genug für babylonische Verhältnisse
. Und wer je dabei gewesen ist, wenn ein tüchtiger
amerikanischer Prediger solche symbolische Handlungen
, besonders bei einer Kinderpredigt, die aber auch
für die Erwachsenen gilt, ausführt, der weiß, wie eindrucksvoll
sie sein können und wie wenig Theaterspielen
damit verbunden ist. Hatten nicht die babylonischen
Juden gerade das größte Interesse an der Länge ihres
Exils, viel mehr noch als die Jerusalemer? Daß sie mit
Spannung und Entsetzen das Belagerungssymbol betrachteten
und alles, was sich auf den Untergang Jerusalems
bezog, ist oben schon gesagt worden. Es ist viel mehr
Babylonisches in diesen Kapiteln als H. zugibt, was natürlich
ist, weil er alles vom Gesichtswinkel seiner Hypothese
aus betrachtet und fast alles ihr einordnet.

Sieht nicht die Seele im Traum das ferne, heißgeliebte
Heimatland und erlebt alles wieder, was sie im
Wachsein erfahren hat? Warum sollte Ez. nicht in der
Vision in Jerusalem gewesen sein (Kap. 8 ff.) und all
das, was er von den schlimmen Dingen da wußte, wie
leibhaftig vor sich gesehen, ja auch mit seiner Prophezeiung
darin eingegriffen und dann zu seinem Schrecken
erlebt haben, daß einer der Ältesten tot niederstürzte?
Das ist ja alles nur in der Vision geschehen. Es steht
nicht einmal da, daß Pelatjahu zu der Zeit wirklich gestorben
ist. Hätte Ez. das als Traum erzählt, würde
niemand Schwierigkeiten damit haben. Und doch ist
die Vision dem Traum so nahe verwandt! Ein echtes
Ferngesicht (clairvoyance) war dies natürlich nicht, wie
schon aus dem Datum hervorgeht: die Tammuzfeier ist
im Juli, nicht im August.

Es kann sich bei dieser Anzeige nur um den Hauptpunkt
der Hypothese handeln, mit dem sie steht und
fällt. So entschieden ich den Kernpunkt auch ablehnen
muß, so hoch schätze ich die tüchtige Arbeit im Ganzen
ein, bietet sie doch nicht nur sorgfältige Kritik der früheren
Deutungen, sondern auch viel Anregendes und die
Forschung Förderndes. Es ist ein wirklich wertvolles
Buch.

New York. J. A. B e w e r.

Erichsen, W.: Faijumische Fragmente der Reden des
Agathonicus Bischofs von Tarsus. Hrsg. u. erklärt. Kopenhagen
: A. F. Hast & San 1932 in Komm. (50 S.) gr. 8° = DetKgl.
Danske Videnskabernes Selskab. Hist.-fil. Meddelelser. XIX, 1.

Kr. 3.40.

Erichsens Veröffentlichung hat vor allem für den
Aegyptologen Bedeutung. Koptische Texte in faijumi-
scher Mundart sind nicht viele erhalten: jeder Zuwachs
ist zu begrüßen. So ist es auch gerechtfertigt, daß der
Text diplomatisch getreu gedruckt und mit einem Wörterbuche
ausgestattet wurde.

Inhaltlich bringt die faijumische Hs. „die Apologien
des Agathonikos, Bischofs von Tharsos in Kylikien,
über den Unglauben" und (ohne Überschrift) den Anfang
seines Gesprächs mit Stratonikos. Die Texte sind
für die Geschichte der christlichen Frömmigkeit und
für die Religionspsychologie nicht ohne Belang, aber
schon aus einer sai'dischen Fassung bekannt (Walter
E. Crum, der Papyruscodex saec. VI/VII der Phillipsbibliothek
in Yeltenham 1915). Es scheint allerdings,
daß der Faijume einen besseren Text voraussetzt, als der
Saide. Auch übersetzungstechnisch verfährt der Faijume
anders; vor allem meidet er gern griechische Fremdwörter
, wie Erichsen feststellt. Um diese Dinge sicher zu
beurteilen, ist aber das Material noch zu schmal: hoffen
wir auf weitere Funde! Einstweilen sind wir für die vorzügliche
Ausgabe aufrichtig dankbar.
Großpösna bei Leipzig. j. Leipoldt.

Fi n s te rwal d e r, Priv.-Doz. Dr. phil.Paul Willem : Die Canones
Theodori Cantuariensis und ihre Ueberlieferungsformen.
Weimar: H. Böhlaus Nachf. 1929. (XX, 334 S.) gr. 8°. = Unter-
suchgn. zu d. Bußbüchern d. 7. 8. u. 9. Jhrh. I. Bd. RM 24—.

Die Geschichte der frühmittelalterlichen Bußbücher
bietet ein nicht leicht entwirrbares Knäuel verschiedenartiger
Traditionen und Bearbeitungen in z.T. schwierigen
Überlieferungsverhältnissen, über die Sicherheit und Einmütigkeit
nicht eher zu erreichen ist, als der reiche Bestand
der Handschriften vollständig untersucht und kritisch
geordnet wird. Das ist bei der Sprödigkeit des weitschichtigen
und mehrfach schon mehr oder weniger ausführlich
behandelten Stoffes keine Aufgabe, die im Vorbeigehen
gelöst werden kann, und wenn eine neue
Reihe von „Untersuchungen" hier, wie es den Anschein
hat, zu einer planmäßigen Arbeit ansetzen sollte, so wäre
ein solcher Plan mit Freude zu begrüßen. Mit der besonders
wichtigen Überlieferung der Canones Theodori
Cantuariensis hat ein vorzüglich vorgebildeter Historiker
zunächst jedenfalls einen guten Anfang gemacht.
Es galt, auf Grund des gesamten, vielfach zum ersten
Mal, sei es im Original, sei es in photographischer
Reproduktion herangezogenen handschriftlichen Materials
die Frage nach der „Echtheit" und der ursprünglichen
Form der Erzbischof Theodor v. Canterbury (668
bis 696) zugeschriebenen Bußliteratur soweit als möglich
zu klären und die Forschung hier zum mindesten
auf ein sicheres Fundament zu stellen. Die Texte selbst
sind, soweit sie für eine Rekonstruktion in Frage kommen
, mit zum Abdruck gebracht in getreuer Wiedergabe
aller Korruptelen und mit einem zuverlässigen Apparat
der Varianten. Wichtig ist vor allem die Untersuchung
und richtige Einordnung des „discipulus Umbrensium"
(U). Methodisch schließt sich der Verf. an einen Aufsatz
F. Liebermanns in der Zeitschr. d. Savigny-
stift. f. Rechtsgesch., Kan. Abt. XII am nächsten an;
Liebermann hat ihm zur Durchführung seiner Arbeit die
erste Anregung gegeben. Im Folgenden sollen nur die
wesentlichen Ergebnisse kurz skizziert werden.

Daß Theodor selbst kein Bußbuch geschrieben hat,
steht fest, aber die ältesten Sammlungen sind in seiner
Umgebung entstanden und enthalten in einer Art
„Apophtegmen" - Überlieferung (deren Probleme man
gern in einen größeren Zusammenhang gestellt sähe)
authentisches Material. Die selbständige Verwertung
der älteren kirchlichen Rechtsliteratur zeigt die
überlegene Geisteshaltung Theodors. Die Überlieferung
seiner Richtlinien und Entscheidungen war, wie F.
nachweist, zunächst jedoch nur wenig umfangreich, anonym
und keiner strengeren systematischen Ordnung unterworfen
. Die feste Verbindung mit Theodors Namen
erfolgte, nach dem handschriftlichen Befund zu schließen,
nicht in England, sondern erst auf dem Kontinent, wo
mit der wachsenden Entfernung vom Ursprungsland die
Überlieferung unsicher wurde. Ein nordfranzösischer und
ein deutscher Kreis sind dabei zu unterscheiden; hier
wie dort deckt sich das Gebiet der Theodorüberlieferung
bezeichnender Weise mit dem Gebiet der irischen Mission
. Theodor selbst war ein Abgesandter des Papstes
gewesen, hatte aber in den Fragen der Bußdisziplin, wo
ihm die Hände nicht gebunden waren, gleichwohl irisches
Gut übernommen bzw. in Anpassung an die kirchenpolitische
Voraussetzungen seiner Arbeit für gut erklärt.
Während in Frankreich eine starke Bearbeitung und
Ergänzung im römischen Sinne eintritt und eine größere
Sammlung (G), die eine Anzahl Aussprüche und Entscheidungen
Gregors übernommen hatte, wie es scheint
deswegen, sogar als Ganzes unter den Namen des hl.
Gregor gestellt wurde, hat sich das irische Material in