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Ausgabe:

1933 Nr. 22

Spalte:

396-397

Autor/Hrsg.:

Herntrich, Volkmar

Titel/Untertitel:

Ezechielprobleme 1933

Rezensent:

Bewer, Julius August

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Theologische Literaturzeitung 1933 Nr. 22.

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der Schriften, wie sie das hebräische Alte Testament I
bietet, und gibt zunächst eine mit kritischen Bemerkungen
zum Teil gemischte Angabe des Inhalts der einzelnen
Schriften, um dann eine genauere Kritik anzuschließen.
Die schlichte, klare Art der Darstellung berührt ebenso
angenehm wie die echt wissenschaftliche Zurückhaltung
in Bezug auf Vermutungen und mancherlei Phantasien.
Auch tritt gelegentlich das Religiöse in seiner israel.
Eigenart und seiner Entwicklung deutlich heraus. (Man
nehme z. B. die Ausführungen über die älteren Propheten
). Der Verfasser steht auf maßvoll kritischem
Standpunkt, hat ein offenes Auge für alle, äuch „radikalen
" Ansichten und Ausführungen. Die englischen !
Leser die sich ihm anvertrauen, sind wohl beraten. Daß
die Forschungen von deutschen Gelehrten weitgehend j
berücksichtigt sind bis in die neusten Tage, verdient
auch angemerkt zu werden. — Es versteht sich von j
selbst, daß man bei einem so großen Stoff und bei dem
lebhaften Fluß der Forschung in vielen Dingen änderer
Anschauung sein kann. Ob z. B. Esra erst unter Ar-
taxerxes IL lebte und wirkte, also etwa 397 (S. 380)
ist doch wohl mehr als zweifelhaft. Bei der Frage von
Esra und Nehemia wäre doch gut die Schrift von Schae-
der: „Esra der Schreiber" zu Rate gezogen. Auffallend
ist, daß der Schluß von Jesaja 5 (V. 25—30) einmal
als passender Abschluß des Kap. 5 mit seinen Wehe-
rufen gefaßt wird (S. 133), während S. 135 die Verse
5, 26—29 mit Recht als der an falsche Stelle geratene
Schluß von 9,8 ff. erscheinen. Ob Jes. 2,5—21 sich
nicht ebenso gegen das Nordreich wie gegen Juda wendet
wie das Weinbergliedchen, bei dem doch ausdrücklich
auch „Israel" (= Nordreich) nicht bloß Juda (so
Verf. S. 133) genannt wird, darf man wohl fragen. In
der ersten Zeit seiner Tätigkeit fällte Jesaja doch wohl
das gleiche Verdict über Süd wie Nord (vor der Geburt
seines Söhnchen „Sehear-jaschub"), wie denn die Berufungsvision
für die Gesamt heit des Volkes (also
Süd wie Nord) restlose Vernichtung zur Ehre Jahwes |
des „Heiligen" (wie auch K. 2) ins Auge faßt (den
Schluß 6,13 a hält Verf. mit Recht für Spätere Zutat;
das Gleiche dürfte von 6,12 gelten). Ob es nun aber
angeht, das Dunkel, welches über dem ganzen K. 6 lagert
, sich so zu erklären — wie es oft geschehn —,
daß Jesaja bei dem Rückblick auf eine lange erfolglose
Wirksamkeit seine Erfahrungen schon in die Berufung j
hineinlegte, also daß er die Abweisung seiner Predigt
hinterher als von vorneherein so von Jahwe gewollt erkannte
, darf man doch wohl in Zweifel ziehn. Denn
dann würde die Berufung das bieten, was er nicht sollte I
und wollte, nämlich Verstockung und Gericht und das
unterdrücken, was er eigentlich sollte, Bekehrung und j
Rettung! Das ist kaum zu glauben. — Man könnte viele |
Fragen aufwerten bei Jeremiä, Ezechiel, Daniel u. a. m.
Aber immer wird man sich über das besonnene Urteil
des Verf. und seine Darlegungen freuen und sein Werk
mit Dank, aber auch mit dem Bedauern aus der Hand
legen, daß er nicht auch über die Schrift, den Text u. s.
w. etwas gesagt hat.

Bonn. J. Mein hold.

König, Prof. D. Dr. Eduard: Ist die moderne Pentateuchkrltik
auf Tatsachen begründet? Zur Beleuchtung allerneuester Behauptungen
beantwortet. Stuttgart: Chr. Belser 1933. (54 S.) gr. 8°.

KM 3.30.

„Die allerneuesten Behauptungen" von Wilh. Möller, |
der in seinem Buche „Die Einheit und Echtheit der fünf j
Bücher Mosis" (1931) in scharfer Abwehr gegen die |
Quellenhypothese für Moses als den Verfasser des Penta-
teuchs eintritt, werden von König sorgfältig geprüft und
als unhaltbar nachgewiesen. Für den Fachmann gibt
es dabei nichts Neues. Schade, daß der deutsche Witter
nicht als Vorläufer Astrucs genannt wird, nachdem Lods |
dessen Priorität dargetan hat. i
New York. J. A. Bewer. I

Herntrich, Lic. theol. Volkmar: Ezechielprobleme. Gießen: A.
Topelmami 1932. (VII, 138 S.) gr. 8°. = Beih. z. Zeitschr. f. d.
alttest. Wiss. 61. RM 7.20.

H. will 1. untersuchen, ob Hölschers Ergebnisse ganz
abzuweisen sind oder ob sie die Forschung weiterführen,
2. das Problem der geschichtlichen Situation der Pro-
phetie Ez.'s grundsätzlich behandeln.

Er gibt zuerst eine kritische Geschichte der Auslegung
und befaßt sich besonders mit den Arbeiten von
Herrmann, Hölscher, Keßler, Rud. Kittel und Torrey.
Trotzdem er alle (auch Hölschers) ablehnen muß, zeigt
er doch die Wahrheitsmomente in den Ergebnissen der
bisherigen Forschung, ist aber überzeugt, daß soweit
noch keiner die endgültige Lösung gegeben hat. Diese
will er in der richtigen Erkenntnis der geschichtlichen
Situation der Prophetie Ez.'s finden, und daraufhin untersucht
er die einzelnen Kapitel.

Es ist ihm klar, daß Ez. in Jerusalem geweissagt hat.
Ein babylonischer Jude hat aber seine Weissagungen im
Exil so geschickt in einen babylonischen Rahmen gespannt
und überarbeitet, daß zwei und ein halb Jahrtausende
ihm geglaubt haben, Ez. hätte in Babylonien gewirkt
. Kap. 1, der Rahmen der Berufsvision in Kap. 2.3
und der Führung durch den Tempel Kap. 8.11 sowie
Kap. 9. 10, die babylonische Umwandlung von 33,21-23
und (mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit) Kap. 40—48
gehören der babylonischen Ausgabe an, die dann später
noch vielfach erweitert oder verdorben wurde, besonders
in Kap. 40—48. Wenn H. meint, der Redaktor wollte
1. „der Golah Jojachins die geistige Führung des exilischen
Judentums sichern", 2. „für Jahwe ein Zeugnis,
ablegen, das auch in den babylonischen Verhältnissen
wirkungsvoll sein mußte" (Kap. 1. 9. 10), 3. „ein Programm
für die Zukunft, das seinem Denken entsprach",
geben (Kap. 40—48), so fühlt er selbst, wie „hypothetisch
" diese Deutung ist, da ja die jerusalemer wie die
babylonischen Juden die Verdrehung der Tatsachen leicht
hätten nachweisen können. Und wenn er meint, diesem
Einwand durch eine spätere Datierung der Überarbeitung
im Exil entgehen zu können, so nimmt er wohl an, daß
die Exulanten dann entweder alles vergessen hatten oder
zum größten Teil gestorben waren? Er bedenkt aber
dabei nicht, daß der Redaktor, nicht nur andere, sondern
auch sich selbst betrogen haben müßte, wenn er mit
seiner Überarbeitung erweisen wollte, „daß echte Jahwe-
prophetie auch im Exil möglich war, daß sie keineswegs
an Jerusalem gebunden sei" (S. 129).

Indes, wie diese Frage auch entschieden werde, für
H. liegt das Hauptgewicht auf dem Nachweis, daß die
Weissagungen Ez.'s in Jerusalem gesprochen sein müssen
. Es ist ihm sicher, daß „die Zuhörer, die angeredet
werden, nur die Jerusalemer sein können". Daß Ez. sich
in Babylonien nicht nur an die Exulanten, sondern auch
an die Juden in Jerusalem wenden konnte, ist für ihn
ganz ausgeschlossen. Und doch wäre es für einen, der
wie Ref. während des Weltkrieges und nachher in Amerika
gewohnt hat, mit seinem Herzen aber im Wachen und
im Schlafen in Deutschland weilte, geradezu unbegreiflich
, wenn man ihm sagen wollte, das Geschick Deutschlands
ginge ihn „gar nicht unmittelbar" an. Lebte Ez.
wirklich in Babylonien und redete voll Leidenschaft und
Glut von der kommenden Belagerung Jerusalems, seinem
schweren Leiden und sicheren Untergang, so wäre es
den Exulanten ebenso unfaßbar gewesen, wenn einer
ihnen gesagt hätte, das ginge sie ja „gar nicht unmittelbar
" an. Und wenn Ez. in seinen Reden die Berge Israels
oder die Jerusalemer selbst direkt anredete, so tat
er nur das, was bei einem vaterlandsliebenden Redner
im Ausland während des Krieges auch ganz selbstverständlich
gewesen wäre und von denen, die ihm zuhörten,
auch mitgefühlt worden wäre, weil es sie eben auch alle
ganz unmittelbar anging. Es ist nicht zu verwundern,
wenn weder Torrey noch James Smith noch H. sich
in diese Lage versetzen können und deshalb ein Problem
sehen, wo keins ist.