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Ausgabe:

1933 Nr. 19

Spalte:

341-343

Autor/Hrsg.:

Bornkamm, Günther

Titel/Untertitel:

Mythos und Legende in den apokryphen Thomas-Akten. Beiträge z. Geschichte d. Gnosis u. z. Vorgeschichte d. Manichäismus 1933

Rezensent:

Hennecke, Edgar

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Theologische Literaturzeitung 1933 Nr. 19.

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liegenden griechischen Hss.-Familien sich abgezweigt
hat.

Es wäre aber verfehlt anzunehmen, daß dadurch einfach
ein guter (oder besserer) Zeuge für den griechischen
Archetypus, noch eine Mss.-Familie, wiedergewonnen
ist. Der altlat. Text hat vielmehr eine ganz andere
textkritische Bedeutung. Denn seine Variante finden
sich oft (meistens als Dubletten) auch in griechischen
Hss., meistens, aber nicht nur, in V(enet.) S(inaitic)
und in lukianischer Gruppe (19 ff.). Zur Veranschaulichung
wieder ein Beispiel: Datierung in II. M. 11,38.
Lat.: Dioscoridis. Griech.: EavuTxoö rohurrn xui öexütvi aber
V.: EavOixo« TCETTExaiOExarn, Aioaxocuöov).

Es ist klar, daß derartige Dubletten u. dgl. durch
Herübernahme von Varianten des „westlichen" Textes,
mit welchem also einige „östliche" Hss. verglichen wurden
, entstanden sind. Es ist weiter klar, daß wir eine
Beeinflussung, die Kontamination von Lesarten, jetzt
nur unter besonderen Umständen feststellen können,
aber, wie der altlat. Text und dessen Geschichte zeigen,
weitgehend voraussetzen müssen. Anders gesagt: wie
die altlat. Version zeigt, arbeiteten die Schreiber unserer
griechischen Manuskripten mehrere Vorlagen ineinander
, sodaß die Übereinstimmung der Mehrheit der Zeugen
keinesfalls die Wahl einer Lesart entscheidet, die
vielleicht erst bei Revisionen in weitere Mss. aus einem
eingedrungen worden ist. Vielmehr werden hier auch
isolierte Lesungen, die sonst zu eliminieren sind, zu
„Präsumptiv-Varianten" (P. Maas, Textkritik § 10).

Die Städteliste I. M. 15, 23 schließt z. B. in Lat. wie in allen Kriech.
Mss. außer V mit „Kyrene". Das ist eine Interpolation (ein oiopbomjc,
wunderte sich, daß Kyrene in dem Verzeichnis der von den Juden bewohnten
Landschaften fehle), die richtige Lesart: „Smyrna" hat nur
V. erhalten (vkI. „Onomon" 1930,359). Nun ist es aber bedeutsam,
daß V. die sonstigen Namen in derselben Reihenfolge wie Lat. S. 19ss.
und abweichend von Alex. usw. gibt, folgt also dem „westlichen" Text,
enthält aber zugleich eine isolierte richtige Variante („Smyrna"), die also
einem uns sonst unbekannten Ast der Ueberlieferung, einem X, entnommen
ist. Wieviele solche „X" stehen auch sonst hinter unseren Mss?

Wir müssen also erwarten, daß die künftige Ausgabe
der Makkabäer-Bücher, mit Rücksicht auf diese
Komplikationen und Kontaminationen, uns nicht einen
„gemischten", nach der Majorität der Zeugen konstruierten
Text bieten, sondern verschiedene Revisionen, sei
es nebeneinander wie bei de Bruyne, sei es im kritischen
Apparat, voneinander, soweit es möglich ist, sauber getrennt
vorlegen wird. Denn die sogenannten „Zeugen"
der Tradition sind vielmehr absichtliche, gelehrte, Rezensionen
, die auf einander Rücksicht nehmen, sodaß ein
aus ihnen kontaminierter Text seinem Wesen nach dem
des N.T. von Nestle, dieser Mischung aus Tischendorf,
Westcott-Hort usw., entsprechen, keineswegs aber den
Archetypus unserer Überlieferung darstellen wird.

Die Textgeschichte der lat. Version ist für die Entwicklung des
griech. Textes überaus lehrreich, weil die im griech. nur postulierenden
Phasen uns im Lat. sichtbar sind. Es ist wichtig z. B. daß, wie L. zeigt,
der lat. Archetypus Randvarianten enthielt, die z. T. in den von L abgeleiteten
Recensionen, auftauchen z. B. IM. 9, 52 L.: excelsam arcem ; B:
excelsa. XGV: arcem. Es ist nicht weniger wichtig, daß die wahre Lesart von
L oft nur als Sondervariante erhalten ist, während die Majorität korrigiert.
Z. B I, 6,20: X. (mit L) quinquagesimo et centesimo BVG : centesimo et
quinquagesimo. Diese Resultate bestätigen sich wenn man Lat. mit Griech.
z. B. für UM. c. 3 (ich verdanke W. Kappler eine Abschrift seines krit.
Apparat für c. 3.) vergleicht. In den ersten 10 Versen hat Lat. drei
gemeinsame Sonderfehler mit lukianischer Redaktion: v. 1. adhuc =
eti v. 4. iniquitatem = rcaoavopiac, v. 8. perambulaturus — EmoÖEUomv
Die Umarbeitungen führen dann weitere lukianische Lesarten ein. z. B.
v. 1. igitur (ergo) = tobarv in VBM, während nur die Minorität XP
die Lesung von L aufbewahrt hat.

Berlin. E. Bickermann.

Bornkamm, Lic. theol. Günther: Mythos und Legende in den

apokryphen Thomas-Akten. Beiträge z. Geschichte d. Gnosis u. z.
Vorgeschichte d. Manichäismus. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
1933. (8* u. 124 S.) gr. 8°. = Forschgn. z. Religion u. Literatur
d. Alten u. Neuen Testaments hrsg. v. R. Bultmann u. H.
Gunkelt, N. F., 31.H. RM 7.50.

Wenn man unter den 5 ältesten, irgendwie zusammengehörigen
apokryphen Apostelgeschichten die Johannesakten
als die tiefste religiöse Aretalogie des Chri-
j stentums bezeichnet hat, so könnte man die Thomasakten
j die bunteste, religiös vielseitigste nennen, weil in ihr
I mannigfache Einflüsse des Orients zusammenströmen,
j die aus einigermaßen bekannten. älteren und jüngeren
Gebilden freilich nur annähernd bestimmbar sind. Zahl-
I reiche Untersuchungen der letzten Jahrzehnte, die sich
an ihrer Erklärung versucht haben, finden in der vor-
! liegenden Abhandlung gewissenhafte Berücksichtigung,
j Darüber hinaus findet der Verfasser auch in der fortlau-
j fenden Erzählung (Legende) mythologische Züge ver-
| kleidet, die den in den beiden eingelegten Liedern so-
I wie in den beiden heidnisch-gnostischen Epiklesen und
auch in andern Gebeten zutage tretenden Erlösungsgedanken
ergänzen oder sicher stellen. Es ist auch be-
j zeichnend, daß unter den Legenden sich allein 4 Handlungen
mit dämonischen Vorfällen beschäftigen, während
im weiteren Verlauf die Wundergeschichten hinter den
Bekehrungsgeschichten zurücktreten.

In den letzteren ergehen die Mahnungen des Apostels gegen den
ehelichen Verkehr, was vorher mit Nachdruck nur in Kap. 9 Ende bis 16
der ersten Praxis der Fall war. Diese Kap. stellen sich aber m. E., wie
der wirkliche Fortgang der Erzählung 17 Anfg. beweist, als nachträglicher
Einschub heraus, was auch für entsprechende Sätze in den Kap. 88,
117, 123 f., 150 gelten wird. Die daraus sprechende überspannte
enkratitische Tendenz scheint den ursprünglichen Thomasakten nicht
eigen gewesen zu sein, wie der Inhalt längerer Ausführungen des Apostels
, in denen er sich allgemein gegen bestimmte Laster wendet (28.
36. 66. 79. 84. 126, ins Positive gewandt 85 f. 94. 139), zeigt. Daß
G. Bornkamm den oben genannten Abschnitt der ersten Praxis, die von
ausgezeichneter novellistischer Kunst zeugt, und sogar den Vorgang mit
der Flötenspielerin in die mysteriöse Deutung einbeziehen will, geht
nicht ohne Gewaltsamkeit ab. Dahin gehört auch die künstliche Übersetzung
des üvaküori p. III f. auf S. 70, wogegen die richtige Übersetzung
Raabes durch Luk. 12, 36 gedeckt wird. Mag auch die Rezitation
des Hochzeitliedes durch die zermonielle Haltung des Apostels
p. 107 vorbereitet sein sollen, so stellt es selbst doch nur eine Einlage
dar. Daß es von Bardesanes stammen könnte, wird S. 85 f. mit Recht
offengehalten. Trifft die Annahme zu, so wollte dieser bedeutende
Gnostiker und Dichter, Verfasser von 150 Psalmen, damit vielleicht ein
Seitenstück zu Ps. 45 liefern.

Sachlich halte ich eine Vereinerleiung der Lichtjungfrau
mit der Gestalt der aus urtümlichen religiösen Vorstellungen
erwachsenen und in allen möglichen Gebilden
auftauchenden Muttergottheit, die in den beiden Epiklesen
vorwiegt — aber nicht allein gemeint ist! — für ausgeschlossen
; hier schlägt die Achamoth der valentiniani-
schen Systeme durch, in denen sie auch neben der Mutter
genannt wird, ebenso wie bei Bardesanes (Fragment)
und im Manichäismus, freilich nicht im gleichen Sinne
wie dort, sondern wie es B. auf S. 83 richtig zum Ausdruck
bringt: „die Braut selbst faßt in sich das Äonenreich
zusammen", oder wie es in dem von C. Schm idt
und H. J. Polotsky kürzlich veröffentlichten hervorragenden
Mani-Fund S. 64 lautet: „Die Jungfrau des
Lichts (ist) die herrliche Weisheit, die das Herz der
Archonten und der Mächte hinreißt durch ihre Erscheinung
(Bild), indem sie den Willen der Größe ausführt". Hier
könnte wirklich ein Nachklang im Manichäismus vor-
| liegen, der bekanntlich an Bardesanes anknüpfte, und
es ist schade, daß Verf., der sich in Nachfolge Boussets
um die Aufdeckung weiterer Beziehungen zum synkre-
tistischen Religionssystem des Mani bemüht (die Aufzählung
der Straforte S. 49 seiner Abhandlung beweist
m. E. nichts), noch nicht in Kenntnis des Fundes war;
er wäre dann auch vor einer Wiederholung der höchst
gewagten Vermutung, daß mit dem Königsohn des
zweiten großen Liedes eben Mani gemeint sei, bewahrt
geblieben. Im übrigen betont der Verf. mit Recht,
daß es sich bei derartigen Beziehungen nur urn vorma-
nichäische Gnosis handeln kann.

Was aber das Zusammentreffen mit dem östlichen Stammesgenossen
p. 220 f. betrifft, so wird in der Tat mit Bonnet (Textanmerkung), Hilgenfeld
und Bousset die Lesart „Ich warnte ihn" vielmehr in „Er warnte
mich" zu ändern sein, weil nur so im Zusammenhang ein rechter Sinn
herauskommt. Man wird auch etwa daran denken können, daß Vohu