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Ausgabe:

1933 Nr. 18

Spalte:

326-329

Autor/Hrsg.:

Vogelsang, Erich

Titel/Untertitel:

Der angefochtene Christus bei Luther 1933

Rezensent:

Kattenbusch, Ferdinand

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Theologische Literaturzeitung 1933 Nr. 18.

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an den Sinai (V. 5); er wird ihn ihm jetzt (nrnri)
von neuem ermöglichen, indem er „Israels Stämme wieder
aufrichtet und Israels Bewahrte heimbringt", aus Gefangenschaft
und Zerstreuung nach der Heimat (V. 6a).
Darüber hinaus aber verleiht er jetzt seinem Ehren- I
namen „Knecht" den neuen, weit höheren Sinn, daß
Israel sein Werkzeug werden soll, die Fülle der Heiden
seinem Dienste und Heile zuzuführen. Nur diese Auffassung
läßt dem tiefen Blick des Propheten in Gottes
Ratschluß sein volles Recht widerfahren.

Statt dessen greift Eißfeldt die alte Auskunft wieder
auf, in 49, 5 f. das „ideale Israel" als den Knecht Jahwes
von dem realen Israel zu unterscheiden, an dem ihm
dann seine erste Aufgabe zugewiesen werde. Für die
Berechtigung dieser Unterscheidung bringt er ihrer fast
allgemeinen Bestreitung gegenüber auf S. 20—25 umfassende
Belege herbei. Er leitet sie ein mit einem Zeugnis
Pedersen's; aber ,/in ideal quantity" bedeutet doch
wohl in der angeführten Stelle nur „eine gedachte, vorgestellte
Größe", nicht eine zur Vollkommenheit durchgebildete
, also „ideell", nicht „ideal", wofür das Englische
nur das eine Wort ideal hat. Der eigene Beweis aber
ist ihm schwerlich gelungen. Denn 1. führt er nur zahlreiche
Beispiele auf, wo „die Gemeinschaft", „das Ganze
" als „Gesamtperson" von „den einzelnen Gliedern",
„den Einzelnen" — ohne Zweifel meint er deren Summe
— unterschieden und ihnen auch als „Vorbild und als
Erzieher" (S. 21 unten) oder „Vorbild" allein (S. 24)
gegenübergestellt wird. Wendet man das aber auf 49, 5.
6 an, so arbeitet nur die Gesamtperson an der Summe
der Einzelnen, d. h. Israel an sich selber, und die erforderliche
und gesuchte Unterscheidung des Knechtes
von Israel fällt dahin. Das „ideale Israel" müßte eine
Auswahl aus dessen Masse, einen realen Teil des Ganzen
, bedeuten, wie das denn auch schon angenommen
worden ist, um Arbeit an dem Ganzen des Volkes tun
zu können. Aber 2. ist die in V. 5 und 6a genannte Arbeit
an Israel, seine Wiederaufrichtung und Heimführung
, nicht so beschaffen, daß eine Auswahl aus dem
Volke oder auch das ganze Volk sie zu leisten im Stande
wäre, ebensowenig wie irgend ein Einzelner, womit auch
die individualistische Erklärung dahinfällt. Das kann
nur Jahwe allein oder, in seinem Auftrage und
aus seiner Kraft, der Beherrscher des Weltreichs (Kap.
45). Wie die Dinge wirklich liegen, das sagt uns Eißfeldt
selbst, in unbewußtem Widerspruch gegen die eigene
Lösung, auf S. 24. „Wenn mit diesen Namen ^Israel
' oder Jakob'] aber noch das prophetische Ehrenprädikat
,Ebed' verbunden wird, dann ist es vollends
deutlich, daß nicht die reale, sondern die ideale Größe
gemeint ist, und es versteht sich von selbst, daß diese
ideale Größe an der realen eine Aufgabe haben kann."
So ist es richtig! Nicht nur in 49, 5 f., sondern von 41, 8
an, überall, wo Israel „der Knecht Jahwes" heißt, handelt
es sich um das ideale Israel, das Israel, wie es sein
soll, wie Jahwe es haben will. Als blind, taub, abtrünnig
ist Israel das nur erst in spe, nach Jahwes Verheißung
in 42, lff.; aber nach der Offenbarung, die
unserem Propheten geworden ist, soll es dazu heranwachsen
, soll selbst zu dieser Erkenntnis erwachen (49,
1—6. 50,4—9) und endlich Lob und1 Dank der bekehrten
Heiden dafür ernten. (52,13—53,12). Daran wird das
ideale Israel aus dessen Schooße heraus zu arbeiten
haben. Da das aber vorerst nur Deuterojesajas Erwartung
und Verheißung ist, leider auch bleibt, so ist dies
der zutreffende subjektive Hintergrund der individualistischen
Deutung des Knechtes auf den Propheten selbst:
aber turmhoch erhebt sich darüber die sachlich zutreffende
des zweiten Schriftsinns, auf Jesus Christus.

So muß es dabei bleiben, daß in Jes. 49,5. 6 a
Jahwe der Handelnde ist. Meint man das — anders als
der Berichterstatter — mit dem überlieferten Wortlaut
nicht vereinigen zu können, so nehme man an, daß der
gelitten hat, sei es durch Unfall, sei es durch Eingriff
von Vertretern des zweiten, individualistisch-messiani-

schen Schriftsinns, wie ein solcher ja in dem tjosrj sb
des Ketib schon erwiesen ist. Die Herstellung eines
besseren Textes wird freilich recht schwer fallen. Aber
wie immer man sich sonst entscheiden möge, eines
ist gänzlich ausgeschlossen und unerlaubt: daß man auf
Grund bloß zweier Verse das einzige organische Verständnis
des herrlichen Buches ablehnt und sich auf
zielloses Raten verlegt. Als Einspruch dagegen hat
Eißfeldt's Vortrag grollen Wert und verdient den wärmsten
Dank.

Marburg. K. Budde.

Schmidt, Johanna: Minucius Felix oder Tertullian ? Philol.-

hist. Untersuchg. d. Prioritätsfrage d. Octavius u. d. Apologeticum
unter „psysiognomischer Universalperspektive". Inaugural-Dissertation.
Borna: R. Noske 1932. (XV, 123 S.) 8°.
Fräulein Schmidt versucht ein Problem, an dem sich die gelehrtesten
Forscher schon die Zähne stumpf gebissen haben, nach einem neuen
Rezept zu lösen. Sie nennt es „physiognomische Universalperspektive".
Das klingt großartig, ist aber bei näherem Zusehen nicht so neu, als
man annehmen möchte. Es gilt, die „Physiognomie" der „apologetischen
Epoche" zu begreifen und dementsprechend ein allgemeines kultur- und
geistesgeschichtliches Zeitbild zu entwerfen, von dessen Hintergrund sich
Minucius und Tertullian als „relative Individualitäten" abheben sollen.
Dieser allgemeine kulturgeschichtliche Teil der Arbeit gliedert sich in
die Abschnitte Imperium Romanum, Literatur, Philosophie, Religion,
liest sich gut, ist solide unterbaut, bringt aber doch nirgends neue Erkenntnisse
von Erheblichkeit. Doch glaubt die Verfasserin die Gegensätze
in dem Kulturgemische der „apologetischen Epoche", nämlich des
2. und 3. Jahrhunderts, in den Schriften der beiden Apologeten sich
auswirken zu sehen, denen sie nun in dem besonderen (sie schreibt
„speziellen") Teil ihrer Arbeit ihre Aufmerksamkeit zuwendet.
Sie vergleicht die äußere Form (Dialog und Apologie, Stil),
gibt eine Inhaltsübersicht (Unterschiede, Topik) und gelangt schließlich zu
diesem Ergebnis: „Der philosophische Tenor des Dialoges Octavius
mit seinem Widerspiel zwischen neuakademischer Skepsis und Stoa entspricht
der .Physiognomie' des 2. Jhs. n. Chr. ebensosehr, wie das Apologeticum
des Advokaten Tertullian in Form einer Gerichtsrede zur
Wende vom 2./3. Jhs. n. Chr. zeitgemäß ist." Somit ist Minucius
der Ältere der Beiden. Es ist die Ansicht, an der auch ich seit 40
Jahren (Geschichte der altchristlichen Literatur) festgehalten, und die ich
wiederholt (am ausführlichsten in den Göttingischen Anzeigen 1905, 35
bis 41) begründet habe. Ob ihr die Verfasserin auf ihrem neuen Wege
zum Siege verhelfen wird, wage ich dennoch zu bezweifeln, so sehr ich
mich der Unterstützung freue. Belangreich scheint mir ihre Widerlegung
der Heinzeschen Gegengründe, die bisher nicht genügend entkräftet
worden sind. Wenn sie aber Hieronymus als Zeugen für die Priorität
Tertullians streichen möchte (S. 441), so kann ich ihr hier, so gerne ich
es täte, nicht folgen. Die Literatur ist lückenlos benutzt, die Arbeit
überhaupt ein Beweis gründlicher, nicht ad hoc zusammengeraffter Belesenheit
und gutem Urteilsvermögens.

Gießen. G. Krüger.

Vogelsang, Lic. theol. Erich: Der angefochtene Christus bei

Luther. Berlin: W. de Gruyter & Co. 1932. (166 S.) 8°. = Arbeiten
z. Kirchengesch. Hrsg. v. E. Hirsch u. H. Lietzmann, 21. RM 8-; geb.9-.
Eine recht tüchtige Arbeit. Schade, daß der Verfasser
nicht das Ganze der Erlebnisse und Gedanken
Luthers in Hinsicht der Anfechtungen vorführt, er ist
tiefer in sie eingedrungen, als irgend ein anderer. Wenig-
i stens soweit Luthers „Gedanken", die sehr vielseitig
sind bei aller Schlichtheit und Festigkeit der Grundkonzeption
, in Betracht kommen; die „Erlebnisse" des
Reformators sieht man überall durchleuchten und V.
berührt sie natürlich auch hie und da eigens, aber sie
I haben doch seelische Momente zum Teil ganz individueller
Art, oft körperliche (gesundheitliche) Zustände
zur Grundlage, stehen in seinen „Reflexionen" deutlich
auch im Zusammenhang, mit dem „Verstehen" der
Zeit für überhaupt menschliche Innen- und Außen-
„erfahrungen", was alles sehr wert wäre, mal in seinen
Wechselbezügen vollständig beleuchtet zu
werden. V. hat, wohl im Verfolg seiner Erstlingsarbeit
(„Die Anfänge von Luthers Christologie", 1929), sich
auf ein S p e zi a 1 moment an dem, was Luther über
Anfechtungsnöte zu sagen lernte, beschränkt. Das ist
natürlich sein Recht und stellt ein Thema dar, das auszusondern
auch berechtigt ist, da es in sich ein reiches,
I zum Teil auch nicht ganz einfaches ist. Aber nun