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Ausgabe:

1933 Nr. 18

Spalte:

323-326

Autor/Hrsg.:

Eißfeldt, Otto

Titel/Untertitel:

Der Gottesknecht bei Deuterojesaja (Jes. 40-55) im Lichte der israelitischen Anschauung von Gemeinschaft und Individuum 1933

Rezensent:

Budde, Karl

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323

Theologische Literaturzeitung 1933 Nr. 18.

324

Eißfeldt, Otto: Der Gottesknecht bei Deuterojesaja (Jes.
40—55) im Lichte der israelitischen Anschauung von Gemeinschaft
und Individuum. Hailea. S.: M. Niemeyer 1933.
(27 S.) 8°. = Beitr. z. Religionsgesch. d. Altertums, H. 2. RM 1—.
Nicht leicht mag ein anderer Leser das Erscheinen
dieses Vortrags mit so großer Freude begrüßen wie der
Berichterstatter; hat er doch vor einem vollen Menschenalter
ein Votum wesentlich gleichen Inhalts abgegeben
— es könnte fast auf Schritt und Tritt als Kommentar
oder Verteidigung für Eißfeldt's Arbeit benutzt
werden — mit dem Bewußtsein schier eines Predigers in
der Wüste1), und seit jener Zeit ist die Flut der gegnerischen
Mehrheit nur noch immer höher gestiegen.
Jetzt endlich hat sich ein hervorragender Fachgenosse
wieder durchgerungen zu tapferem Einspruch, zu entschiedener
Vertretung der wirklichen Meinung Deu-
terojesajas, der kollektiven Wertung des
Knechtes Jahwes. Es trifft sich so, daß ich erst
vor Monatsfrist2) unter Rückgriff aus Hermann Schultz'
schönen Aufsatz „Über doppelten Schriftsinn" (Theol.
Studien und Kritiken 1866) das fast regel- und gesetzmäßige
exegetische Verfahren der alten Zeit gekennzeichnet
habe: wie die fromme Gemeinde aus den ihr
als Gottes Wort überlieferten Heiligen Schriften nach
ihren Bedürfnissen und Eingebungen weiter weissagte
und so einen zweiten Schriftsinn schuf, ebenfalls
organisch, und fast mit Notwendigkeit, geworden,
der dann über die Nachwelt eine geradezu magische Gewalt
gewann. Ein klassisches Beispiel dafür bietet der
Knecht Jahwes. Der Heißhunger des älteren Judentums
und der jungen Christenheit nach messianischen
Weissagungen zwang unwiderstehlich dazu, ihn auf
den Messias, für uns Christen auf Jesus Christus, zu
deuten, und so aus dem Kollektivum ein Individuum zu
machen. Nur die formale Seite davon, die Individualisier
rung, hat ihre Gewalt auch über die biblische Wissenschaft
unserer Tage behauptet, in immer neuen und verschiedenen
Ersatzversuchen für Jesus Christus, während
gerade hier der zweite Schriftsinn recht eigentlich provi-
dentiell eingegriffen hatte, der Sache nach vollkommen
zutreffend, da es Gott gefallen hat, was Deuterojesaja's
begeisterter und genialer Blick seinem Volke und seiner
Zeit als Aufgabe zugewiesen hatte, endlich in Jesus
Christus zur Tat und Wahrheit zu machen.3) Und wenn
ich dort Hermann Schultz's Beobachtung durch den
Hinweis auf die eigentümlich aphoristische Exegese
der Gemeinde, die Vernachlässigung des Zusammenhangs
eines Schriftworts, ergänzte, und dann hinzufügte
, daß unsere fachmännischen Ausleger vielfach
durch irrige Quellenscheidung zu gleichen oder ähnlichen
Ergebnissen gelangten, so bietet hier wiederum
die unberechtigte Herauslösung der „Knecht-Jahwe-Lieder
" dafür einen besonders treffenden Beleg.

Gegen beides richtet sich Eißfeldt mit ruhiger Entschiedenheit
und klaren, durchschlagenden Beweisen. An
der Hand der Arbeiten von Duhm und Mowinckel bietet
er zunächst (S. 5—9) eine übersichtliche Geschichte der
neueren individuellen Deutung, stellt die für sie und die
Ausscheidung der „Lieder" angeführten Beweise heraus
und widerlegt sie dann im Einzelnen. Den aus der „Zu-
sammenhangslosigkeit der Lieder" ganz kurz (S. 10) mit
der „Erkenntnis", daß in Jes. 40—55 nicht „ein kunstvoll
gestaltetes Buch", sondern „eine lose Sammlung
einzelner Dichtungen und Sprüche" vorliege.4) Ebenso
kurz (S. 11) stellt er weiter fest, daß die wesentliche

1) „Die sogenannten Ebed-Jahwe-Lieder und die Bedeutung des
Knechtes Jahwes in Jes. 40 — 55, Ei n Mi n ori tä ts vo t um", Gießen
1900, 41 Seiten. Vgl. dazu meine Übersetzung mit Einleitung und
Anmerkungen bei Kautzsch 3- 4, 1909. 1922.

2) Theologische Blätter, Febr. 1933: „Noch einmal Dank an Karl
Thieme. Und noch einmal: Die Jungfrauengeburt".

3) Vgl. dazu meine Ausführungen bei Kautzsch' S. 612 Spalte 2
und Kautzsch4 S. 656 f. Spalte 1.2.

4) Für meine entgegengesetzte Überzeugung vgl. „Die sog. Ebed-
Jahwe-Lieder" 1900 S. 38 f. und Kautzsch 3- 4. dicht vor den schon angeführten
Stellen.

I Gleichheit von Stil und Sprachgebrauch zwischen den
I „Liedern" und ihrer Umgebung jetzt ziemlich allgemeine
I Anerkennung gefunden habe. Ausführlich handelt er
nur von den beiden übrigen Einwänden gegen die kollektive
Deutung: 1. daß in den Liedern die... „Personifikation
" des Volkes Israels so weit getrieben sein würde,
daß sie die Grenzen des Denkbaren überschritte", und
2. daß in 49,5. 6 dem Ebed eine Aufgabe an Israel
j zugewiesen werde, er also nicht Israel sein könne, da
er diesem gegenübergestellt werde. Die Widerlegung des
ersten Einwandes (S. 12—18) gibt dem Vortrage seinen
Titel. Ich habe darin im ganzen Umfang eine Ergänzung
meiner Schrift von 1900 anzuerkennen. Die Schranken-
losigkeit orientalischer und alttestamentlicher Personifikation
erschien mir eben als einfach selbstverständlich,
auch allgemein anerkannt, etwa im Blick auf Rudolf
I Smend's „Ich der Psalmen". Hier findet sich dafür eine
reiche, sehr wertvolle Stoffsammlung, und niemand wird
dem Verfasser bestreiten können, daß etwa in Hes. 16
I und 23 „die Ausmalung des Bildes viel, viel weiter geht"
| als in den „Ebed-Jahwe-Liedern". In den schönen
| Schlußausführungen S. 18 gehn wir wieder völlig Hand
| in Hand.5)

Ganz anders in der Behandlung der schwierigen
! Stelle 49,5 f. auf S. 19 ff. Ich hatte schon 1900 die
( Meinung, daß hier dem Ebed eine Aufgabe an Israel
zugewiesen werde, zurückgewiesen und, im Anschluß
an die von Hitzig vertretene Konstruktion, eine Übersetzung
geboten, die, wie bei allen Heilsweissagungen
I so auch hier, Jahwe allein als das handelnde Subjekt an-
| erkennt. So lauten die Verse in Kautzsch4: „Nun aber,
so spricht Jahwe, / Der von Mutterleib mich gebildet
sich zum Knecht, / Indem e r Jakob heimholte zu
sich / Und Israel an sich zog — / So wurde ich geehrt
in Jahwes Augen / Und mein Gott ward meine
Stärke — / Er spricht: Zu gering ists, daß Du
mir Knecht seist, / Insofern ichc) Jakobs Stämme wie-
Vielmehr mach' ich dich zum Licht der Heiden, / Daß
| der aufrichte / Und Israels Bewahrte heimbringe, /
j mein Heil bis ans Ende der Erde reiche." — Die gramma-
tische Möglichkeit dieser Auffassung, das will sagen
der Auflösung der Infinitivsätze ^r/rab jn V. 5, Q-'pnb
und ^rft in V. 6 mit Jahwe als Subjekt, erkennt
I Eißfeldt (S. 20) ohne weiteres an; aber er erklärt sie
i für „sachlich in dem Zusammenhang ganz unwahrschein-
I lieh".7) Er meint sie mit einem Satze widerlegen zu
| können: „die dem zweiten /°-Satz vorangehende Aussage
j ,Für deinen mir geltenden Ebed-Dienst ist es zu gering'
verlange es, daß zunächst eine kleinere vom Ebed zu
I leistende, aber allein seiner Stellung nicht entsprechende
Aufgabe genannt werde, ehe ihm dann die ihm geziemende
größere Aufgabe verheißen werde." Das ist ein
Irrtum: der Verfasser bemißt den neuen Schritt viel
größer, nämlich von dem alten, allgemeinen Begriff des
Knechtes zu einem neuen, weit höheren. „Einem Gotte
[ dienen ("'S?), sein Knecht ("??) sein" heißt in aller
Welt lediglich: ihm den gebührenden Dienst (Kult)
zollen und treu nach seinem Willen leben. Nicht aber
schließt es ein tätige Beteiligung, Mitarbeit an einem
von diesem Gotte beschlossenen und unternommenen
Werke. Den Dienst im ersteren Sinne hat Jahwe vor
Zeiten („von Mutterleib") Israel ermöglicht, indem er
es „zu sich heimholte und an sich zog", aus Ägypten

5) Vgl. „Die sogen. Knecht-Jahwe-Lieder", 1900, besonders S. 8—11.

6) Ich habe nur hier die meine Meinung unterscheidenden Pronomina,
er in V. 5 und ich in V. 6, gesperrt.

7) Eißfeldt billigt in V. 5 meine Verbesserung (1900, S. 22) t|bgL"fti
statt Ifc — keine Textänderung, da "k Kere ist — er übersieht
aber, daß es für seine Deutung des Satzes auf den (redenden)
Knecht heißen müßte rpNN. Gerade diese 3. Person des Textes be-

j weist, da das Passivum tl?yC nicht zu gebrauchen ist — es ist bloßer
Notbehelf für den zweiten, individualistischen Schriftsinn — wie ich
1900 S. 22 hervorhebe, „die Notwendigkeit Jahwe als Subjekt beider

, Sätze aufzufassen".