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Ausgabe:

1933 Nr. 17

Spalte:

316-317

Autor/Hrsg.:

Bergmann, Ernst

Titel/Untertitel:

Die deutsche Nationalkirche 1933

Rezensent:

Dibelius, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1933 Nr. 17.

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verstanden. Das göttliche Licht ist bei B. eben nicht
etwas, das zu den menschlichen Fähigkeiten noch hinzukommt
wie die Gnade (S. 95) und wodurch Erkennen
und Rechthandeln erleichtert werden, sondern es
gehört zum Wesen des Menschen und ermöglicht
jene Tätigkeiten. So wie ferner in Gott die Einheit
Einheit in der Vielfalt ist, so ist auch im Menschen die
Anlage zur Tugend (S. 87) zwar auf das Gute ganz im
allgemeinen gerichtet, aber eben damit, wenn auch nur
potentiell, auf alle einzelnen Tugenden. Dem Verf. schwebt
bei seiner Deutung immer wieder das autonome natürliche
Ich des Thomismus vor. Wohl bemerkt auch er,
daß menschliches Guthandeln ohne Teilhaben an den
„ewigen Gründen" nicht möglich wäre (S. 88 f.), aber
dieser Gedanke kommt nicht ausreichend zur systematischen
Entfaltung.
Münster/W._Otto Piper.

Tatarln-Tarnheyden, Prof. Dr. Edgar: Die Enteignung
des deutschen Doms zu Riga im Lichte des modernen Staats-,
Verwaltungs- und Völkerrechts unter Berücksichtigung der Kirchenrechtlichen
Grundlagen. Breslau: J. U. Kern 1932. (IV, 69 S.) gr. 8°.
= Ergänzungsheft z. Bd. XVI d. Zeitschr. f. Völkerrecht. Hrsg. v. M.
Fleischmann, W. Schücking u. K. Strupp. RM 3.50.

Die Untersuchung des an unseren deutschen Glaubensgenossen
in Riga verübten Raubes erfolgt in der
Schrift T. T.'s in umgekehrter Reihenfolge, wie sie der
Titel andeutet: die Tatsachen voran, dann die kirchenrechtlichen
Grundlagen und dahinter erst die Staats- und
verwaltungsrechtliche Seite des Problems, die völkerrechtliche
Beurteilung und die rechtsphilosophische Auswertung
. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die
Notverordnung vom 29. 3. 31, die der deutschen Domgemeinde
von 11 Mitgliedern der Verwaltung nur 3 beließ
, aus nationalistischen Prestige- und Repräsentationsgründen
erlassen worden ist. Das Gesetz vom 23. April
23, das dem Bischof ein Mitnutzungsrecht gab und das
durch die Notverordnung „ergänzt" wurde, war ebenso
zweifellos ein Eingriff in die kirchliche Autonomie.
Was zwischen diesen beiden Rechtshandlungen liegt,
ist schon darum bedeutungslos, weil es zu keinem anerkannten
Abschluß führte. Dar! die Domgemeinde, die
freiwillig einer Militär- und einer Zivilgemeinde das —
allerdings von ihr zu regelnde— Mitbenutzungsrecht angeboten
hatte, nun verzichtete, war sie sich selbst zur
Wahrung ihrer Würde schuldig, sie hätte sonst den
Raub als unter Christen zulässig gebilligt. Strittig ist
nun die Frage, ob der Dom ursprünglich Staatseigentum
war und die Notverordnung nur den ursprünglichen Zustand
wieder hergestellt hat — was auch unzulässig
wäre, da die Enteignung durch Volksentscheid abgelehnt
wurde, aber unter Umständen die Tat wenigstens
moralisch rechtfertigen könnte — und ob der Staat
diese Verfügungsgewalt überhaupt hatte. Geschichtlich
läßt sich beweisen, daß der Dom immer schon als kirchliche
Anstalt eigene Rechtpersönlichkeit besessen hat;
damit entfällt jedes Recht des Staates. Die Evangel.
Kirche ist als Trägerin des Eigentumsrechtes auch in
Rußland seit 1832 anerkannt gewesen. Die Patronats-
rechte der Stadt Riga, die eventuell Schwierigkeiten
hätten bieten können, sind 1919 in Wegfall gekommen.
Die Kirchenautonomie ist am 14. Aug. 1928 förmlich
anerkannt worden, und die staatlich genehmigte Verfassung
der Ev.-Luth. Kirche Lettlands vom 26. Jan.
1928 weist der Ortsgemeinde die Verfügung über das
ortskirchliche Vermögen zu. Das alles weist T.-T. einwandfrei
nach; er behauptet aber auch das Eigentumsrecht
der Ortsgemeinde gemäß der „Tendenz
des modernen protestantischen Kirchenrechts". Das entspricht
z. B. dem tatsächlichen Rechtszustand in Preußen,
aber nicht dem z. B. in Bayern, wo das Eigentum zum
Teil der Kirche als Anstalt, Stiftung oder Institut, also
der Gesamtkirche gehört. Unrichtig ist die Schlußfolgerung
T.-T.'s, daß für ein anderes Rechtssubjekt nichts
mehr übrig bleibe, wenn die örtliche Gemeinde die Verwaltung
und Nutzung des Eigentums habe. Denn die

örtliche Gemeinde untersteht der Aufsicht der Gesamtkirche
und bedarf in ihrer Verfügung deren Genehmigung
, ihre Organe können abgesetzt und dem Willen der
Gesamtkirche dienstbar gemacht werden. Die Gesamtkirche
kann also sehr wohl die Hilfe des Staates anrufen
zur Durchsetzung ihres Rechtsanspruchs.

Dieses Verhältnis zwischen ortskirchlichem und gesamtkirchlichem
Recht ist nicht einmal in Preußen restlos
geklärt, und diese Unklarheit hat zu jahrzehntelangen
Prozessen bei Kirchenspaltungen in Holland und
Schottland geführt. All die scharfsinnigen Ausführungen
T.-T.'s und seine Verarbeitung einer ungeheuren Literatur
bringen m. E. in diesem entscheidenden Punkt keine
vollbefriedigende Lösung. Als reiner Staatsakt ist die
Enteignung der Ortsgemeinde natürlich ein willkürlicher
Eingriff in das Eigentum, wenn auch in der lettländi-
schen Verfassung eine ausdrückliche allgemeine Eigentumsgarantie
fehlt; durch Notverordnung kann auch in
Lettland, wie T.-T. nachweist, eine Enteignung nicht
verfügt werden. Schon das Gesetz vom 23. April 1923
greift in Verhältnisse ein, die dem Staate nach dem Sinngehalt
seiner eigenen Verfassung entzogen sind. Einen
Staatsgerichtshof, der gegen die Notverordnung angerufen
werden könnte, gibt es in Lettland noch nicht,
T.-T. glaubt aber, daß ihre Rechtswirksamkeit vor den
ordentlichen Gerichten angefochten werden kann auf
Grund allgemeiner Rechtsüberzeugung der Kulturwelt,
was mir auf Grund der „revolutionären" Verhältnisse
in Italien und Deutschland zweifelhaft erscheint. Aussichtsvoller
scheint mir — in der Theorie — die Berufung
auf die von Lettland ausdrücklich angenommene
völkerrechtliche Verpflichtung des Minderheitenschutzes.
Daß der Völkerbundsrat die Sache von sich aus aufgreift
, ist aber wohl ausgeschlossen, es müßte also etwa
Deutschland „den Fall beim Völkerbundsrat zur Anzeige
bringen" (S. 57). Aber auch alle anderen Völker
hätten ein Interesse daran, weil durch den lettländischen
Gewaltakt die Rechtsidee verletzt worden ist.

Ich bin mit T.-T. darin einig, daß das Verfahren, wie
es vorliegt, sich in keiner Weise rechtfertigen und auf
mancherlei Wegen tatsächlich anfechten läßt, nach meiner
Auffassung würde aber die Habgier ihr Ziel doch erreichen
durch Vorspannung der Gesamtkirche. Und s i e
müßte vor die Entscheidung gestellt werden, ob sie einen
solchen Raub veranlassen und verantworten will, während
sie sich bei dem bisherigen Verfahren hinter dem
Staat verstecken konnte.
Berlin. A. Schowalter.

Bergmann, Ernst; Die deutsche Nationalkirche. Breslau: F. Hirt
1933. (VIII, 394 S.) 8°. RM 6-; geb. 8—.

Wenn das Buch eines deutschen Universitätsprofessors
eine offene Absage an das Christentum enthält,
so möchte man als evangelischer Theologe ihm um so
mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen. Aber an diesem
Buche etwas anzuerkennen, ist wirklich schwer. Allenfalls
könnte man sagen, daß es lebendig und warm geschrieben
ist. Im übrigen kann man von ihm nur mit
Beschämung Kenntnis nehmen.

Es ist das alte Lied: wenn es um die christliche
Religion geht, dann glauben selbst Universitätsprofessoren
, ohne die geringste Kenntnis der Sache Urteile
fällen und tönende Reden halten zu dürfen. Der berühmte
Brief Pius IX. bekanntlich vom 7. August 1873 —
I wird vom Verfasser als Brief an Wilhelm IL hingestellt
und falsch zitiert (S. 53). Dem Drachentöter Sigurd
steht der „christlich kleine David" gegenüber, der sich
eines Tages das Weib des Potiphar suchte (S. 157). Meister
Eckhart wird „noch bei Lebzeiten (1327)" verurteilt
(S. 166). Das Konzil von Nicäa macht Christus
„unter Führung des Athanasius" wieder zu einem Gott
(S. 201). Die Päpstin Johanna gilt als historische Größe
1 (S. 349). So geht es weiter. Dementsprechend sind die
| Kronzeugen des Verfassers für seine Kritik am Christentum
: Mathilde Ludendorff, Seydel, Happel, Heinrich