Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1933 Nr. 17

Spalte:

302-303

Autor/Hrsg.:

Dürr, Lorenz

Titel/Untertitel:

Das Erziehungswesen im Alten Testament und im antiken Orient 1933

Rezensent:

Caspari, Wilhelm

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

301

Theologische Literaturzeitung 1933 Nr. 17.

302

der etwas mehr kultische Dinglichkeit zugesteht" (S. 2).
Ich zähle diese Ermittelungen zu dem Wertvollsten der
Broschüre. Die Lade ist am Berge des Bundesschlusses
entstanden (S. 36) auf Jahwes Geheiß. „Man möchte
heute J. in der Wüste zu einer internationalen Größe
stempeln; aber was wir dort außerhalb Israels antreffen,
ist Sin und nicht J. — Das Wenige, das wir von der
Religion der Midianiter wissen oder erschließen, trägt
rein iderischen Charakter" (S. 35). Zu solchen Sätzen
muß dem Verf. gratuliert werden. Den Sinn der Lade
und den Unterschied von Lade und Ephod — Ephod ist
niemals = Gottesbild, und die Rede von einem Ladengott
ist zum mindesten mißverständlich = Fetisch — hat
Verf. nicht erkannt.

Zweitens „handelt es sich darum, die Tempel auf
israelitischem Boden innerhalb des altorientalischen Kulturkreises
zu begreifen und vornehmlich in ihrem Verhältnis
zu dem Material, das man unter dem Begriff
„kanaanäische Tempel" zusammenstellen kann, zu untersuchen
, eine Aufgabe, die natürlich nicht eigentlich
gelöst sondern nur überhaupt in Angriff genommen und
in großen Zügen skizziert werden kann" (S. 2 f.). Auf
die Lösung dieser Aufgabe hat Verf. den größten Fleiß
verwandt, und es muß dankend anerkannt werden, daß
er „die unterscheidenden Momente möglichst scharf"
herausgearbeitet hat. „Für Kanaan finden wir als Regel:
zwei Masseben, Opfertisch im Vorhof und das Kultsymbol
entweder freistehend im Tempel oder auch
draußen, das Ganze in bescheidenen Ausmaßen" (S. 57).
Der isr. Tempel kennt keine Masseben und kein Kultsymbol
(Gottesbild). Wir trauen aber nicht unseren
Augen, wenn wir auf S. 73 f. lesen: „Die Ladentradition
hatte viel opfern müssen; vermutlich aber war das Entgegenkommen
des Königs (Salomo) doch noch viel
größer. War der ursprüngliche Tempelgedanke aufs
stärkste baalitisch orientiert gewesen, so überließ es jetzt
der König vollständig dem Ladengott (!), das Gegebene
des Tempels mit seinem Geist und Wesen zu erfüllen."
Und nun bedauert Verf. das Aufkommen des Tempels.
„Das alte Gut des Wandergedankens war verschüttet
worden." Müßte er nicht auch das Seßhaftwerden Israels
bedauern? Nach dem Verf. wurde sogar „der Tempelbau
mit der Spaltung des Reiches erkauft" (S. 80). Davon
wissen die Quellen nichts.

Drittens bemüht sich Verf. „den stolzen Reichstempel
des Nordens, das Haus des „Goldenen Kalbes",
in seiner Eigenart zu erfassen und auf den angeblichen
Stierdienst jerobeams etwas Licht zu werfen" (S. 3),
„Die Spaltung des Reiches in zwei selbständige Staaten
forderte auch die Spaltung der Gottesvorstellung"
(S. 86). Kön. 12, 26 ff. spricht nicht dafür. „Jerobeam
aber dachte so: „Nun wird die Königsherrschaft eines
Tags doch an die Dynastie Davids zurückfallen. Wenn
dies Volk nämlich weiterhin zu dem erhabenen Ort
hinaufzieht, um im Jahwehause zu Jerusalem Schlachtopfer
herzurichten, so wird sich ihr Herz (= ihre Denkwerkstätte
) dem König Rehabeam von Juda als ihrem
Herrn wieder zuwenden, mich aber töten!" Nachdem
der König sich dann mit sich selbst beraten hatte, ließ
er zwei (!) goldene Kälber (= die von der Wüstenwanderung
her bekannte Sünde der Anbetung Jahwes unter
dem Bild eines Stieres) machen und' sprach dann zu
Israel: „Ihr seid jetzt lange genug nach Jerusalem hinaufgezogen
!" Und zwar stellte J. das eine Kalb in
Bethel auf und das andere (!) brachte er nach Dan.
Dieser Bilderdienst gereichte Jerobeam zur Sünde (— die
Sünde J.'s bestand nicht im Götzendienst, sondern im
Bilderdienst, Idololatrie)". Desgleichen war das Laubenfest
am 15. Tag des 8. Monats eine subjektive Neuerung
J.'s. Und verächtlich heißt es 1. Kö. 12,32: „und setzte
ebendort die Höhenpriester (!), die er beschafft hatte, in
ihr Amt ein". Nach dem Verf. aber „reichte die eingesessene
Priesterschaft von Betel, die selbstverständlich
beibehalten wird, bei weitem nicht aus" (S. 123).
Zusammenfassend gibt Verf. als „die wesentlichen Punk-

i te der Maßnahmen Jerobeams... kurz folgende" an:
statt des überweltlichen Gottes den naturhaften Baal,
statt der Andeutung geheimnisvoller Gottesgegenwart
' durch die Lade das Stiersymbol, statt des Wanderheilig-
i tums einen bodenständigen Tempel, statt altlegitimer
Priesterschaft neue Leute. Man darf bei der Kritik nur
nicht vergessen, daß eine grundsätzlich andere Gestaltung
der J.-Religion für das Nordreich eine politische
Notwendigkeit bildete. Jerobeam wurde hauptsächlich
deshalb auf der Bahn kultischen Schaffens vorwärtsgedrängt
(?), weil in Jerusalem eine bestimmte Praxis
bereits ihre kultische und dogmatische Ausprägung gefunden
hatte (?)" (S. 133). Elia und Elisa wollten bewußte
Nordisraeliten sein, „an eine Beugung unter den
Tempel von Jerusalem haben sie nicht gedacht" (S.135).
Die Schilderung der Kämpfe eines Arnos und1 Hosea
gegen den Kälberdienst ist jüdisch redigiert, — weil sie
nicht in den Rahmen der Ausführungen des Verf.'s paßt?
Trotz dieser Ausstellungen sei noch einmal auf das Wertvolle
der kleinen Schrift hingewiesen, um dessentwillen
sie volle Beachtung verdient.
Serock (Polen). F. K. J o n a t.

Dörr, Prof. D. Dr. Lorenz: Das Erziehungswesen im Alten
Testament und im antiken Orient. Leipzig: J. C. Hinrichs
1932. (VII, 159 S.) gr. 8". = Mitteilgn. d. Vorderasiatisch-Aegypt.
Oesellschaft, 36. Bd., 2. H. RM 9—.

Dürr hat sich einen sehr schönen Gegenstand gewählt
, zeigt reichhaltige Belesenheit in Quellen und
Fachliteratur, für die der Leser dankbar ist, und schreibt
gefällig und verbindlich. Die Arbeit hat sich dem Vf.
erweitert zu einer altägyptischen und babylonischen
Ethik. Nach einer Darstellung beider besteht ein wirkliches
Bedürfnis, da die Religionsgeschichte bisher die
Glaubensvorstellungen und Bräuche bevorzugt hatte. Das
Bedürfnis besteht nicht minder für den christlichen Theologen
in Anbetracht der kulturellen Zusammenhänge,
welche auch die alttestamentlichen Gesetze und Ideale
beeinflußt haben. Man erfährt natürlich Manches, was
dem Leser der Keilinschriften und der ägyptischen Texte
schon bekannt ist, aber man freut sich der übersichtlichen
Zusammenfassung, die dem Stoffe gewidmet ist und ihn
aufs Glücklichste zur Geltung bringt. Im sachlichen Zusammenhange
gesehen, wird Vieles wie von selbst einleuchtend
, Anderes gelangt zu einem vertieften Verständnis
; außerdem beleben die Darstellung konkrete einzelne
Züge, die sicher vielen Lesern bisher entgangen
waren.

Den Anfang bildet jeweils eine knappe und gründliche
Quellenkunde die nach dem neuesten Stande der

! Literaturwissenschaft gearbeitet ist. Dann wird eine weitgehende
Übereinstimmung nachgewiesen, die an den
Trägern der Erziehung besteht und soziologisch bedingt
ist, weil die behandelten drei Kulturgebiete zu einer
eng verwandten Gesellschaft-Ordnung gelangt sind oder
schon von einer solchen ausgegangen sind. Natürlich
wird das erzieherische Ideal eingehend beschrieben. Es
ist mehrseitig. Infolge seiner Beziehung auf den Theismus
, so verschieden er sich auch entwickelt hat, treten
tiefe Gemeinsamkeiten in der Auffassung des Lebens-

! zieles auf, die sich auch auf das menschlich interessante

j Gebiet der Motive der Sitte und Sittlichkeit erstrecken.
Einzelheiten sollen aber hier nicht hervorgehoben werden
. Richtig geht die Beschreibung jeweils von der nationalen
Grundlage der führenden Begriffe und der
Lehre aus. Auf dem alttestamentlichen Gebiete will es
dem Berichterstatter allerdings scheinen, als binde der
Vf. seine Ausführungen zu eng an diese Grundlage. Die
Folge ist, daß die Geltung vieler fortgeschrittener Maximen
mehr verallgemeinert erscheint als wir bestätigen
können, und insofern auf Kosten der geschichtlichen Be-

I wegung und regionalen oder sozialen Vielgliedrigkeit
übersteigert sein dürfte. Vielleicht sollte das Bedenken
auch gegenüber der den Ägyptern und Babyloniern gewidmeten
Darstellung im Auge behalten werden und

I besteht auch für sie eine gewisse Gefahr der Verallge-