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Ausgabe:

1933 Nr. 1

Spalte:

282-285

Titel/Untertitel:

Acta Sanctorum Novembris. Tomi II pars posterior 1933

Rezensent:

Lietzmann, Hans

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281

Theologische Literaturzeitung 1933 Nr. 15/16.

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dafür erscheinen, daß der Verfasser berechtigten Anspruch
auf Gehör hat. Jedenfalls tritt man von hier aus
mit gutem Vorurteil an das Werk heran, das zunächst
durch seinen Umfang auch den gutwilligen Leser abzuschrecken
geeignet sein mag. Das mühsame Studium
wird durch den Reichtum des Gebotenen belohnt.

Das Buch hat drei Teile. Der erste (S. 1—188) han- J
delt von Viktorin: nach einem erschöpfenden Überblick
über „Leben und literarische Werke", der an mehreren
Stellen über Bekanntes hinausführt, vornehmlich von der
„Theologie", eingeteilt nach den Kategorien Ontologie,
Gottesgedanke, Christologie, Trinitätslehre, Glaube und
Kirche. Es ist an dieser Stelle nicht möglich, dem Verfasser
bis in die Einzelheiten nachzugehen. Ich begnüge
mich daher, meiner oben angedeuteten Einstellung entsprechend
, auf den Abschnitt über die Glaubenslehre
als religiöse Deutung der metaphysischen Bewegung besonders
hinzuweisen: „In dieser theozentrischen Theologie
gewinnt zum erstenmal im Abendland wieder der
paulinische Gedanke der sola fides eine neue Realität"
(145). So allgemein ausgedrückt ja nichts Neues, aber
überraschend für den Kirchen- und Dogmenhistoriker in
den Einzelheiten (Deutung des Apostelkonzils, des Apostelstreites
, Jakobus als Vater der judaistischen Haere-
sie, primum evangelium und regula veritatis). Der zweite
Teil (189—288) unterbaut den ersten durch „die Ansätze
der Metaphysik Viktorins im plotinischen Denken".
Ob ein so umfänglicher Unterbau für die Durchführung
des Grundproblems notwendig war, möchte ich dahingestellt
sein lassen, zumal ich nicht zu beurteilen wage,
bis zu welchem Grade hier Neuland gepflügt wird. Es
werden darin die für das Denken Augustins maßgebend
gewordenen Motive der plotinischen Metaphysik hervorgehoben
, also die Lehre vom Nus und die „Dialektik der
Hypostasierung". Nicht benutzt ist die Dissertation von
Othmar Perler, Der Nus bei Plotinus und das Verbum
bei Augustinus als vorbildliche Ursache der Welt. Freiburg
(Schweiz) 1931. 133 S. Ich persönlich habe aus
dem dritten Teil (289—421: „Die Entwicklung der
abendländischen Willensmetaphysik") den größten Gewinn
gezogen, ja, ich stehe nicht an, diesen Teil als
einen beachtenswerten Wurf zu bezeichnen. Der Verfasser
knüpft noch einmal an Plotin an, wendet sich dann
zur „orientalischen Willensspekulation der nichtchrist-
lichen Kreise" (Ägyptische Religionsphilosophie: Hermes
Trismegistos, Poimandres; Mystisch-metaphysische
Spekulation der Gnosis: Valentin, Ptolemaeus, auf welche
Beiden freilich die Bezeichnung „nichtchristlich"
wohl nur durch Unaufmerksamkeit angewendet ist) und
zu den „Ansätzen einer dogmatischen Gestaltung der
Willensmetaphysik im griechischen Christentum" (Ire-
naeus, Origenes, Athanasius), um sodann in den Abschnitten
über „die lateinische voraugustinische Willensspekulation
" und „Augustin und die abschließende dogmatische
Deutung des metaphysischen Willensbegnffs"
sein Thema abzurunden. Hier befindet sich auch der
Dogmenhistoriker alten Stils auf vertrautem Boden, wenn
ihn auch manches, mehr sprachlich als sachlich, fremd
anmutet, und man möchte nur bedauern, daß es nicht
mehr möglich ist, die eigenen Hefte nach den neuen
Richtlinien zu ergänzen oder richtig zu stellen. Der
„Versuch einer geistesgeschichtlichen Deutung des aria-
nischen Schismas von der Willensmetaphysik aus" be- i
schließt diesen Teil. Es folgen einige Anhänge, darunter
ein Verzeichnis der lateinischen und griechischen Hauptbegriffe
.

Harnack hat die Frage aufgeworfen, warum der so
bedeutende Viktorin keine literarische Nachwirkung ge-
habt habe. „Ist er lediglich im Lichte Augustins ver- J
blaßt?" Man kann's so ansehen, wenn man Benz' Beobachtung
(184) hinzunimmt, daß sich in den Schriften
Viktorins eine auffällige Uninteressiertheit an dem Problem
der Kirche feststellen läßt (B. schreibt natürlich
konstatieren, wie denn eine ganze Reihe unserer schönsten
deutschen Wörter bei ihm in der Versenkung verschwindet
). Ein „positives Verhältnis zur positiven geschichtlichen
Kirche seiner Zeit" hat er auch nach der
Taufe nicht besessen; er blieb ein „philosophierender
Außenseiter der Gemeinde" (186); „es ist die pneumatische
Kirche und nicht die Amtskirche, zu der ihn seine
religiöse Entwicklung führte" (188). „Der bissige Vorwurf
des Hieronymus, er sei kein Theologe — der unsterbliche
Vorwurf aller Klerikalen gegen die freieren
Geister aller Zeiten — ist das unmittelbare Echo des
offiziellen Klerus auf die Reserviertheit (häßlich) des
„Philosophen", der sich erlaubte, in der Schrift Gedanken
zu finden, die außerhalb der offiziellen katholischen
Theologie lagen" (186). Also war es die „Unkirch-
lichkeit" seiner Theologie, die „das rasche Untergehen
seiner Schriften, wenigstens seiner kirchlichen" verschuldet
hat. B e n z hat sein Buch nicht nur Werner Jaeger
und Erich Seeberg gewidmet, sondern auch Ernesto
Buonaiuti, dem kirchlich Verfehmten. Ich sehe darin
ein erfreuliches Zeichen seiner Unabhängigkeit.
Gießen. o. Krüger.

Acta Sanctorum Novetnbris. Tomi II pars posterior, qua continetur
Hippolyti Delehaye Commentarius perpetuus inMartyrolo-
gium Hieronymianum ad recensionem Henrici Quentin
O.S.B. Brüssel: Verlag der Bollandisten 1931. (XXIV, 721 S.). Fol.

RM 73-.

Als ich einst in glücklichen Bonner Studentenjahren
mit mancherlei Forschungsgebieten die erste Fühlung
gewann, lernte ich auch in Meister Useners Arbeitszimmer
den Commentar des Caesar Baronius zu seiner Ausgabe
des Martyrologium Romanum kennen. Er ist mir
seitdem ein viel und dankbar benutzter Wegweiser in
die weiten Gefilde der Hagiographie gewesen. Heute
darf ich mit besonderer Freude die Fachgenossen auf
ein Buch hinweisen, das jenes ehrwürdige Werk des
Jahres 1586 ablöst und durch einen vollständigen Neubau
ersetzt. Der Spiritus rector der hagiographischen Arbeit
der modernen Bollandisten hat in Verbindung mit
dem verdienten Editor der neuen Vulgata eine gewaltige
Arbeit geleistet und zum glücklichen Ende gebracht, die
alle Forscher auf kirchengeschichtlichem Gebiet zu lebhaftem
Danke verpflichtet.

Das mit dem Namen des Hieronymus geschmückte
Martyrologium der Alten Kirche ist bekanntlich im 5.
Jh. in Oberitalien entstanden, uns aber nur in Abschriften
erhalten, die in mancherlei Verzweigung auseinandergehend
letztlich auf ein im 6. Jh. in Gallien geschriebenes
und ergänztes Exemplar zurückgehen. Schon vor
etwa 50 Jahren hatten sich J. B. de Rossi und L. Du-
chesne an die Aufgabe gemacht, einen kritisch gereinigten
Text dieses für die ganze Hagiographie grundlegenden
Werkes zu beschaffen. Aber sie strebten nach der
Gewinnung des ursprünglichen Textes, und da sie bald
erkannten, daß dieses Ziel unerreichbar sei, so begnügten
sie sich mit synoptischem Abdruck der wichtigsten Hand-
Schriften und überließen dem Benutzer die Entscheidung
von Fall zu Fall. So ist die den zweiten Band der November
-Akten eröffnende Ausgabe von 1892 zwar wertvoll
und unentbehrlich, aber doch nur ein Torso.

H. Quentin hat sich mit tapferem Mut von neuem
an die große Aufgabe gewagt, aber das Ziel der Sachlage
entsprechend geändert. Nicht den Urtext jenes
oberitalienischen Verfassers will er bieten, sondern den
gallischen Archetyp herstellen, aus dem die uns erhaltenen
Handschriften geflossen sind. Diese zerfallen in
zwei Klassen; die erste wird allein durch den Codex
Epternacensis (= E) saec. VIII vertreten, dem gelegentlich
die Excerpte des Breviariums von Cambray
(== Camb) zur Seite stehen. Die andere Klasse bilden
die übrigen Handschriften, von denen mit Recht nur
die wichtigsten (A B S W) vollständig kollationiert sind.
Die Übereinstimmung beider Klassen resp.der Consensus
von E mit mehreren oder auch nur einem Zeugen der
andern Gruppe ergibt den Text der gallischen Vorlage,
der in voller Seitenbreite zum Abdruck kommt. Gehen