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Ausgabe:

1933 Nr. 13

Spalte:

237-239

Autor/Hrsg.:

Norström, Vitalis

Titel/Untertitel:

Religion und Gedanke 1933

Rezensent:

Bohlin, Torsten

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237

Theologische Literaturzeitung 1933 Nr. 13.

238

Worström, Prof. Vitalis: Religion und Gedanke. Olaus-Petri-
Vorlesungen, geh. a. d. Univ. Uppsala. In deutscher Übersetzung mit
Einführung v. Elof Äkesson. Lund: Borelius Bokförlag 1932.
(XL, 324 S. m. 1 Bildn.) gr. 8°.

Dieses Werk des schwedischen Religionsphilosophen,
■weil. Professor der Philosophie, Gothenburg, ist Nathan
Söderbloms Gedächtnis gewidmet worden. Mit vollem
Recht.

Es geschah auf Söderbloms Einladung, daß Nor-
ström im Anfang 1912 eine Reihe Vorlesungen über das
Thema Religion und Gedanke hielt, die im selben Jahre
in Buchform erschienen. Nicht genug damit. Es scheint,
■als hätte der Philosoph dieses Werk nicht durchführen
können — äußere Schwierigkeiten standen nämlich hindernd
im Wege — wenn ihm nicht Söderblom immer
-wieder durch den Ausdruck der Wertschätzung für das
Werk Mut gemacht hätte.

In einem Brief 1912, der von Äkesson in der Einführung
mitgeteilt wird, bezeichnet Söderblom Norströms
Untersuchung als die wertvollste unter den Vorlesungen
•der Olaus-Petri-Stiftung. Sie bezeichnet auch in gewissem
Sinne die Zusammenfassung und den Höhepunkt
■der Gedankenarbeit vieler und langer Jahre, die in einer
Reihe von bedeutenden Darstellungen niedergelegt ist
<zum größten Teil sind sie leider nur auf Schwedisch
zugänglich). N. selbst bezeichnet im Vorwort das Buch
„Religion und Gedanke" als seine religionsphilosophische
Hauptarbeit, die seinen enclgültigen Standpunkt
vertritt.

Die Übertragung des Buches ins Deutsche lag schon
vor, als der Weltkrieg ausbrach. Da das Werk nun
erst 20 Jahre nach seinem Entstehen in Deutschland
erscheint, kann man sich fragen, ob es etwa nicht zu
spät kommt. Vielleicht ist aber der geistige Boden in
Deutschland in der Tat jetzt mehr für die Aufnahme
einer solchen Arbeit geeignet als vor dem Krieg. In
einer Zeit, wo eine Reihe Philosophen sich von neuem
mit den metaphysischen und religiösen Problemen abgeben
und wo der Kampf um das Verhältnis von Philosophie
und Theologie so heftig geführt wird, erscheint
N.s „Religion und Gedanke" als ein Werk, das frisch
und zielbewußt in die gegenwärtige Debatte eingreift.

Ein Vergleich zeigt, daß N. — der noch Zeit hatte,
die Übersetzung selbst zu autorisieren — in der deutschen
Auflage seiner Darstellung einen besseren architektonischen
Bau durch Umstellung verschiedener Kapitel
gegeben hat; weiterhin ist dem ursprünglichen
Aufriß ein Kapitel hinzugefügt worden (IV, S. 95—125,
Der Intellektualismus).

Der Ausgangspunkt bildete das Problem Erfahrung und Gedanke
(S. 19—43). Hier wird die empiristische und die formalistische Metho-
denlehre kritisch geprüft, eine Kritik, die von anderen Ausgangspunkten
aus im Kap. V vorgenommen wird (Form und Inhalt, S 127 — 152).
Während die erstere sich einseitig an Inhalt und Erfahrung hält, hält
sich die letztere ebenso einseitig an Form und Tätigkeit. (Die Kritik
wendet sich besonders gegen die Marburger Schule.) N. behauptet die
psychologische und objektive Gebundenheit der wissenschaftlichen Arbeit.
Die Objektvoraussetzung und der Objektgesichtspunkt müssen feststehen
als etwas, das der Erkenntnisarbeit vorausgeht und davon wesentlich unabhängig
ist. Die Aufgabe muß sein, die Form auf das erkennende
Subjekt zurückzuführen, das als Vermögen, Trieb und Macht einem Stoff
gegenübergestellt wird. Der Ausgangspunkt für jede Untersuchung muß
eine relativ unbewußte ungeschiedene Totalität sein. Die Wirklichkeit
ist das ungeteilte Ganze, der Wurzelgrund, in der Subjekt, Inhalt und
Form der Erkenntnis von Anfang an enthalten sind, d. h. die Wirklichkeit
in N.s Sinn erhält in großem Umfang dieselbe Stellung wie der
Grenzbegriff des „Dinges an sich" bei Kant, obschon dieser dahin verändert
ist, daß er sowohl Subjekt als Objekt in ungeschiedener Einheit
befaßt. Hier ist also die Grenze der Wissenschaft nach unten.

In den Kapp. II und III (S. 45—94) wird der Wahrheitsbegriff behandelt
. N. geht von der Wahrheit als Wahrheit für uns aus. Sie
bezieht sich immer auf „das Empfinden", d. h. das auffassende Bewußtsein
im weitesten Sinn, aber näher bestimmt auf solche „Empfindungen",
die wir selbst „schaffen", oder mit anderen Worten: die Wahrheit ist
eine Qualität nur in unsrem aktuellen und aktiven Bewußtsein, unsrem
Wahrheitssuchen und unsrem Urteilen. Hier tritt der pragmatische Zug
in N.s Denken klar zu Tage. Eine Hauptthese bei N. ist, daß die
Wahrheit etwas sei nur für den, der etwas will. Wissen erhält Sinn

nur im Verhältnis zu Wollen, näher bestimmt nur im Verhältnis zu
einem Willen, der von irgend einem Gesichtspunkt aus das Gute will.
Indem also die Wahrheit unter den Zeichen des Zweckes gestellt wird,
wird die theoretische Sphäre des Empfindens überschritten. Alle Tätigkeit
ist letztens unvorstellbar ohne Willensvorstellungen. „Die Erfahrung,
die die Erkenntnisquelle für alles ausmacht, was wir von Tätigkeit und
Zweck überhaupt wissen können, liegt im Willensleben und sonst nirgends
vor." Ein solcher Pragmatismus verzagt nicht an der Objektivität seines
Wahrheitsbegriffs. Er nimmt seinen Halt in einem gemeinsamen Willen
zu Leben und Entwicklung. Aber die Gemeinsamkeit darf nicht kollektivistisch
gedeutet werden. Letzten Endes muß sie als eine transzendentale
lebendige Einheit hervortreten, die die Wahrheit mit Macht setzt und
sich in den vielen Willen und durch sie hervorarbeitet.

Die Behandlung des Wahrheitsproblemes zeigt, daß nach N. die
zentrale Aufgabe der Philosophie das Aufbauen einer kritischen Wertlehre
ist. Sie setzt als solche einen gemeinsamen Grundwert voraus.
Dieser ist für N. die Vernunftsgewißheit. N. kommt Rickerts transzendenter
Wertsphäre nahe, unterscheidet sich aber von ihr darin, daß er
mit vollem Bewußtsein behauptet, der Wert müsse in einem transzendenten
Sein, in der Weltvernunft, als ewiger Wirklichkeit verankert werden.

Die Anknüpfung an die Religion ist hiermit gegeben. Bevor N.
direkt auf die Frage nach der religiösen Erkenntnis eingeht, bringt er
(Kapp. IV, VI, VII, S. 95—125, 153—216) eine Reihe kritischer Gedankengänge
zum Intellektualismus, untersucht das Verhältnis zwischen
Mechanik und Freiheit und zwischen Naturwissenschaft und Psychologie,
wobei der ersteren das Gebiet des Quantitativen zugewiesen, die letztere
als Wissenschaft von dem Qualitativen aufgefaßt wird.

Wenn es gilt, der Eigenart der Wissenschaft, der Sittlichkeit
und der Religion gerecht zu werden, geht N. (Kap. VIII, S. 223—246)
vom Gegensatz zwischen einem äußeren und einem inneren Leben beim
Menschen aus. Das Charakteristische der drei genannten Lebensformen
findet N. in der Selbstbestimmtheit des inneren Lebens, wie es zum
Ausdruck kommt in der Form des Gedankens, des Willens und des
Gefühls. Der teleologische Grundtrieb der Wissenschaften weist zum
Willen hinüber, damit zum Kampf um die Persönlichkeit, letztens zum
religiösen Lebenskampf. Das persönliche — nur negativ bestimmbare
— Leben begrenzt überall die Wissenschaft nach oben, genau wie es
die ungeschiedene Wirklichkeit nach unten tut. Aber die Fülle des persönlichen
Lebens ist die Religion selbst. Die Religion entspringt durch
logischen Zwang als eine letzte Forderung aus der sachlichen Dialektik
der allgemeinen wissenschaftlichen Fragestellungen selbst.

Die Religion selbst wird von N. nach drei Seiten hin bestimmt:
als Seelenleben, als Gemeinschaft und als ewiges Leben
(Kapp. IX, X, XI, S. 247-322).

Hinsichtlich der Religion als Seelenleben scheidet N. zwischen den
Fragen nach der religiösen Qualität und nach den religiösen Vorstellungen.
Die religiösen Qualität ist weltüberlegener Friede. Sein Inhalt hat eine
gewisse Verwandtschaft mit dem Euckenschen ,,Beisichselbstsein". Einen
mehr objektiven Begriff von dem, was Religion ist, erhält man erst,
wenn man sie mit Sittlichkeit und Recht zusammenstellt und sie als ein
universales Gemeinschaftsleben auffaßt. Als solches ist die Religion
universaler aber persönlicher Gemeinwesensgeist. Auch diese Bestimmung
ist indessen nur vorläufig, da sie die Religion an die Begrenzung der
Immanenz bindet. Um das innerste Wesen der Religion zu erreichen,
muß man zum transzendenten Gesichtspunkt übergehen. Nur in der
Religion als ewigem Leben tritt nämlich das innerste Wesen der Religion
hervor: die Macht, von der Zeitlichkeit selbst zu erlösen. Die Persönlichkeitsbildung
muß letzten Endes an ein Übersein angeknüpft werden.
Sie setzt ein von Ewigheit her existierendes Persönlichkeitsreich voraus.
Bezeichnend für N.s Standpunkt ist, daß der Gedanke vom ewigen
Persönlichkeitsreich oder der Unsterblichkeitsglaube mehr in die Tiefe
der Religion hineinführt als der Gottesgedanke selbst. Das letzte Wort
der Religion an das Denken ist weder Gott noch Mensch, sondern der
Heilige Geist des Guten, seine nur dem Gefühl zugängliche Idee. Die
Persönlichkeit selbst gibt sich hier ganz als Mittel für die Verwirklichung
eines Inhalts hin, der als überpersönlich bezeichnet werden muß.

Die hier gegebenen Andeutungen können den gewaltigen
Gedankenstoff, den N.s werk enthält, keineswegs
gerecht werden. Es kann aber nicht verschwiegen
werden, daß N.s Darstellung neben der weiten Fernsicht
und den tiefbohrenden Analysen auch eine Reihe ungelöster
Fragen einschließt, auch solcher wesentlicher Art:
(die Frage etwa nach dem Verhältnis zwischen Immanenz
und Transzendens in der Religion, nach dem Verhältnis
zwischen der ersten Ursache der Metaphysik
und dem Gott der Religion, die Offenbarung im Verhältnis
zur religiösen Wahrheitsgewißheit usw.). Dieses
Mangels war N. selbst sich voll bewußt!

Im Aufsatz Um Religion und Gedanke" („Nor-
strömiana") hat Äkesson N.s eigenen Entwurf zu einem
zweiten Teil dieses Werkes veröffentlicht (vgl. auch die
Einleitung S. XXXIV ff.). Es ist nur zu bedauern, daß