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Ausgabe:

1933 Nr. 13

Spalte:

235-236

Autor/Hrsg.:

Bauer, Walter

Titel/Untertitel:

Heinrich Julius Holtzmann. Ein Lebensbild 1933

Rezensent:

Krüger, Gerhard

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235

Theologische Literaturzeitung 1933 Nr. 13.

236

170). Besonders bemerkenswert aber ist es, daß eine
große Anzahl Aufsätze hier erstmalig der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht werden. Ihre Titel sind z.B.:
„Fragmentarische Entwürfe eines Memorials über die
Aufgaben der Edelleute und' Geistlichen bei der Civil-
bildung" (1787/8); „Gefühle bym Jahrwechsel 1794.
Geschrieben für ein Land, wohin sie ganz passen und
für andere Länder nur insoweit, als sie passen"; „Idee
und Note zur Rangierung der Freiheitsbegriffe" 1793.
Tiefe Einblicke in Pestalozzis Art zu arbeiten und zu
denken gewähren auch die „Bemerkungen zu gelesenen
Büchern" (S. 19—29; 65—75; 203—249).

Den größten Teil des 13. Bandes nimmt die Schrift
ein: „Wie Gertrud ihre Kinder lehrt, ein Versuch, den
Müttern Anleitung zu geben, ihre Kinder selbst zu unterrichten
, in Briefen". 1801 (S. 181—360). „Vorarbeiten
und Entwürfe" sind auf S. 360—389 nachgetragen. Sehr
wesentlich ist, was S. 449 ff. über die Entstehung dieser
Hauptschrift mitgeteilt wird. Neu aufgenommen sind
die Entwürfe und Fragmente über „Die Sprache als Fundament
der Kultur" (S. 33—55), die „Vorarbeit zu der
Schrift: die Methode". Für den Theologen ist besonders
interessant die Skizze: „Siben Tag by Pfarrer Samuel",
1800 (S. 55—83) mit feinen Einzelformulierungen, z.B.
über die kämpfenden Franzosen und Russen damals:
„Byde Partyen waren mir nur Menschen"; oder: „Sie
sehen, wy lang mir Gott Zeit gab, mich selbst ruhig
zu arbeiten und ruhig zu beten"; „Sintdem wir alles
Gute ohne Aufmerksamkeit auf Gott wollen, haben wir
auch dy Aufmerksamkeit auf uns selbst verlohren".
„Es hilft dem, was Gott tut, niemand nach, und wir
Geistlichen am wenigsten." „Der Christ hat keinen
Mangel; nur der Unkrist komt mit dem, was ihm Gott
gibt, nicht aus." „Es ist mit allem Aberglauben das
Nemliche, man wirft den Kern weg und thut die Schalen
in den Kasten." „Alles Leben der Menschen ist ein
Allmosen, das von Gott herkomt."

In beiden Bänden ist fast die Hälfte (S. 315—537,
bezw. S. 360—555) den „Anhängen" gewidmet, die sich
auf Textkritik, Sacherklärung, Worterklärung und ein
Namen- und Ortsregister beziehen. Eine Bitte sei an
die Herausgeber gerichtet, nämlich in späteren Bänden
in dem Textteil, wie z. B. auf S. 181 „Wie
Gertrud ihre Kinder lehrt" unter dem Strich einen
Hinweis hinzuzufügen: vgl. dazu die Textkritik S. 449,
die Sacherklärung S. 522 usw. Das würde die Benutzung
und das Nachschlagen wesentlich erleichtern.

Hannover._H. Werdermann.

Bauer, Walter: Heinrich Julius Hoitzmann. Ein Lebensbild.
Gießen : A. Töpelmann 1932. (50 S.) 8°. = Aus der Welt d. Religion
. Biblische Reihe, hrsg. v. E. Fascher, H. 9. RM 1.80.
Ernst von Dobschütz, der Nachfolger Holtzmanns
auf dem Straßburger Lehrstuhl, hat in dem ersten Ergänzungsband
der Realenzyklopädie für protestantische
Theologie und Kirche (23, 1913) eine warme und in
ihrer Anschaulichkeit überzeugend wirkende Skizze von
Persönlichkeit und Lebenswerk seines Vorgängers gegeben
. Leider werden solche Skizzen, zumal wenn sie in
Ergänzungsbänden erscheinen, wie jeder von uns erfahren
haben wird, rasch vergessen und jedenfalls nur
wenig beachtet. Es ist schon aus diesem Grunde erfreulich
, daß Bauer, der mit der Lebensarbeit Holtzmanns
in besonderem Sinne verbunden ist, da er dessen
Kommentar zum Johannesevangelium und seine neutesta-
mentliche Theologie in neuer Gestalt herausgegeben hat,
die Gelegenheit, die ihm die Erinnerung an Holtzmanns
100jährigen Geburtstag bot, nicht hat vorübergehen
lassen, um uns die knorrig-gedrungene Gestalt des

troßen Gelehrten noch einmal vor Augen zu führen,
eine Arbeit ist eine willkommene Ergänzung des Dob-
schützschen Artikels in mehr als einer Beziehung, vor
allem, weil er uns in die Kleinarbeit Holtzmanns durch
Aufzählung und Charakterisierung der vielen Aufsätze
und Vorträge einen tieferen Blick werfen läßt, als zu tun
Dobschützens Absicht in seinem anders eingestellten Artikel
war. Die Schwierigkeit, die darin lag, hat Bauer

J selbst empfunden. Er macht darauf aufmerksam, daß
sie ihm „manchmal fast den Stil des Bibliographen aufgenötigt
" habe. Auch der Leser empfindet es nicht
immer als förderlich, daß der Fluß der Darstellung
durch bibliographischen Kleinkram des öfteren unterbrochen
wird, und wird geneigt sein, die Frage aufzuwerfen
, ob es nicht doch möglich gewesen wäre, die
Schriften Holtzmanns in gesonderter Bibliographie übersichtlich
zusammenzustellen, wie es uns sein Sohn (vgl.
Dobschütz 656, 5) versprochen hatte. Dafür wird er
aber dankbar anerkennen, daß Bauer sein Ziel, der
Vielseitigkeit Holtzmanns auch in der Stoffbeherrschung-
gerecht zu werden, erreicht hat. Da Hoitzmann die Veröffentlichung
seiner Briefe oder auch einer Biographie
letztwillig- abgelehnt hat (Dobschütz 660, 10), so werden
wir mit dem, was uns Dobschütz und Bauer gegeben haben
, unter Heranziehung des auf genauester persönlicher
Kenntnis und langjähriger Freundschaft beruhenden Artikels
von Bassermann in den Protestantischen Monatsheften
(6, 1902, 172—184) über Hoitzmann als praktischen
Theologen, zufrieden sein müssen, dürfen aber
auch der Freude darüber Ausdruck geben, daß diese
dreifache Beleuchtung Holtzmanns Bild in aller wünschenswerten
Deutlichkeit der Nachwelt überliefern wird-
Es sind nicht mehr viele am Leben, die sich rühmen
dürfen, mit Hoitzmann in persönliche Berührung gekommen
zu sein. Ich selbst habe ihn nur selten, im Haus
von Bassermann, gesehen. Dafür besitze ich aus den Jahren
unserer gemeinsamen Herausgebertätigkeit am Theologischen
Jahresbericht und der sich daran anschließenden
dauernden Verbindung einen großen Schatz von
Briefen und eng beschriebenen Postkarten, die Hoitzmann
, wie Harnack, bevorzugte. Das Bild, das mir aus
diesen Briefen entgegentritt, entspricht Zug um Zug
dem, das uns seine Biographen (sit venia verbo!) gezeichnet
haben: Die erstaunliche Belesenheit, die Sicherheit
des Urteils, die Selbständigkeit gegenüber der
Schule (Bauer), die scharfe, aber nie verletzende Kritik
an unzulänglichen Geistesprodukten, der feine Sarkas-
mus, die Bescheidenheit in der Einschätzung der eigenen
Leistungen, „die Vereinigung eines subjektiv-modernen
Zuges mit kirchlich - historischer Pietät'* (Bassermann),
die stete Hilfsbereitschaft, die Ritterlichkeit, mit der er
den zu Unrecht Angegriffenen zur Seite sprang, auch
wenn es ihn Überwindung kostete (ich selbst habe das
öfter erfahren in unerquicklichen, durch den „Jahresbericht
" hervorgerufenen Auseinandersetzungen), und nicht
zuletzt die Aufgeschlossenheit für alles Neue. „Wäre er
unter uns", schreibt Bauer mit Recht, „er würde sich
mit den Mandäern beschäftigen und, wenn nicht forschend
, so doch wissensdurstig und aufnahmefähig den
verschlungenen Pfaden der „Formgeschichte" folgen;
es war vielleicht das Größte an ihm, daß er niemals
„fertig" war, daß ihm das Gefühl satter Selbstgenügsamkeit
dauernd fremd geblieben ist".

Noch ein Beitrag zu Holtzmanns Vielseitigkeit.
Bauer erwähnt das „Lexikon für Theologie und Kirchenwesen
", das Hoitzmann mit seinem Amtsgenossen,
dem Kirchenhistoriker Zöpffel, gemeinsam herausgegeben
hat, und das drei Auflagen erlebt hat. Er weiß
aber nicht oder hat nicht beachtet, daß die Artikel
dieses Lexikons nur der Niederschlag der Arbeit sind,
die die beiden Gelehrten für das Meyersche Konser-
vationslexikon in der 4. (Zöpffel starb im Januar 1891)
und 5. Auflage geleistet haben. Kärrnerarbeit? Gewiß,
aber bei Hoitzmann kann man von Kärrnertum nie
reden. Er wußte Alles, auch das scheinbar Unbedeutendste
, in den großen Kreis seiner Interessen einzureihen
und sich dadurch befruchten zu lassen. Die in die Ergänzungsbände
zu den beiden Auflagen eingestreuten
längeren Artikel über die Gegenwartslage in protestantischer
Theologie und Kirchenwesen legen dafür beredtes
Zeugnis ab. Aber wer liest dergleichen heute
noch?

Gießen. G. Krüger.