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Ausgabe:

1933 Nr. 12

Spalte:

216

Autor/Hrsg.:

Christiani, Hanns J.

Titel/Untertitel:

Die Breslauer Bischofswahl von 1841 in ihrem Verlaufe und ihren nächsten Auswirkungen 1933

Rezensent:

Hirsch, Emanuel

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Seite 1

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215

Theologische Literaturzeitung 1933 Nr. 12.

216

Großquart, trefflich gedruckt und ausgestattet, die Poli-
tica des Jon. Althaus. Eine deutsche Druckerei hat die
Ausführung gehabt (Haag-Drugulin Leipzig), und ein
durch das Geschick nach Amerika verschlagener jüngerer
deutscher Gelehrter, Dr. K. J. Friedrich, assi-
stant-professor an der Harvard-Universität, hat die Herausgabe
übernommen. Er legt von den drei Fassungen
des Werks (1603, 1610, 1614) die dritte nach ihrem
Urdruck vor. Einige wenige historische Exzerpte und
Wiederholungen sind weggelassen (Verzeichnis S. IX
Anm. 2), desgl. die dem Werk nicht organisch zugehörige
angehängte Rektoratsrede (Oratio panegyrica
de necessitate utilitate et amtiquitate scholarum). Dafür |
ist der Index verbessert und ein neuer Index aller von
Althaus zitierten Schriftsteller (18 Quartseiten lang) sowie
die Vorreden der Fassungen von 1603 und 1610 beigegeben
. Außerdem sind 21 bisher ungedruckte Briefe
von Althaus hinzugefügt, die über seine Lebensumstände
und seinen Bildungsgang Nachrichten bieten und damit
bisher schmerzlich empfundne Lücken unsers Wissens
ausfüllen. Der Druck des Werks ist getreu, abgesehen
von der Auflösung einiger Abkürzungen und Verbesserung
offenbarer Druckfehler der Vorlage. Da Althaus'
Politica zu den nicht überall zugänglichen selteneren
Büchern gehört, ist der Neudruck auch für Europa
etwas sehr Erwünschtes. Für Nordamerika bedeutet er
praktisch überhaupt erst die Erschließung der Möglichkeit
, Althaus zu studieren.

Das für uns in Europa Wichtigste aber ist die 100
Quartseiten umfassende wissenschaftliche Einleitung
Friedrichs. Sie bedeutet für die Biographie eine neue
Grundlegung, für das Verständnis des Werks aber eine
ganz wesentliche Abwandlung der Aufstellungen Gierkes.
Die Methode ist der Gierkes entgegengesetzt. Nicht
innerhalb der weiten großen Linien einer viele Jahrhunderte
umfassenden geistigen Geschichte den Ort Althaus
' zu finden, ist Friedrichs Anliegen, sondern Althaus
selbst aus seinen eignen Absichten und aus der ihn
unmittelbar umgebenden politischen und geistigen Wirklichkeit
so genau wie möglich zu verstehen. Wieviel
dabei herausgekommen ist, davon empfängt man einen
Eindruck, wenn man hinter Friedrich her das von
Troeltsch in den Soziallehren S. 696 f. nach Gierke vergröbernd
abgezogene Klischee sich ansieht. Eine „Konstruktion
der Gesellschaft von der Freiheit und Gleichheit
der Individuen her" hat Althaus auch mit Einschränkungen
nicht geben wollen. Ich gebe die Grundauffassung
Friedrichs in zwei Zitaten:

p. LXXV: . . . this symbiotic right is not in any sense an indi-
vidual right. Quite apart from the fact that the rights are coupled with
duties it is important not to forget that the jus symbioticum is
rooted in the group (the syrabiosis) and reaches the individual as
member of the group (symbioticus) and only in so far he is a
member of the group. This sort of idea has little to do with such
ideas as ,the natural rights of man'. That the whole matter is of central
importance for Althusius' thought may in conclusion be indicated
by the following sentence: Ob jus hoc symbioticum, quod discimus, fit
[so statt sit zu lesen; es sind f und f des alten Drucks verwechselt], ut
consociatio haec saepe unam personam repraesentet et pro una persona
reputetur (Politica 2, 12).

p. LXXXIVf.: We said already that it is necessary to interpret
Althusius entirely anew in this respect. Oierke took the position that
Althusius treated all public Offices in terms of private rights and obli-
gations, that he dissolved the State into a network of contractual obli-
gations. It would he equally possible and perhaps even more con-
vincing to show from the text, that Althusius interpreted all private
functions in terms of a hierarchy of groups, more or less public in
nature. (This Gierke did not see because of his mistaken identification
of politics and Staatsrecht.) But the truth is that the difference
between public and private functions tends to disappear, just as
it does in modern socialism, if all groups including the State are looked
upon as natural phenomena to te explained sociologically and not
legally. For Althusius the distinction between the State and society
which he comprehends in the higher concept of a communitij or natural
corperative group (consociatio symbiotica) is inconceivable.

Diese Auffassung wird in einer ungemein sorgfältigen
Interpretation der Hauptbegriffe und der Grundhaltung
überzeugend durchgeführt, dabei u. a. auch gezeigt
, wie sich die Beziehungen auf den Dekalog und
die zahlreichen Bibelzitate in die Gesamtstellung eingliedern
und keineswegs als Schein oder Schmuck anzusehen
sind. Ich habe ungemein viel für das Verständnis
von Jon. Althaus von Friedrich gelernt. Er bezieht
sich selbst auf das von Waldecker, Allgemeine Staatslehre
1927 S. 394 ff. 653 ff. über Althaus' Ausgang von
der Beobachtung und seinen Utilismus Gesagte als auf
eine nachträglich gefundene Bestätigung einzelner seiner
Thesen. Er hat aber noch ganz anders als Waldecker
für die künftige Auffassung von Jon. Althaus den Grund
gelegt.

Es steht ein großes lebendiges Empfinden hinter der
Veröffentlichung. Friedrich freut sich, den Nordamerikanern
einen politischen Klassiker näher bringen zu
dürfen, der als Calvinist und als Lehrer der Volks-
suveränität ihnen nahe steht und doch zugleich ein allein
aus deutschen Verhältnissen zu verstehender echter Deutscher
ist.

Göttingen._E. Hirsch.

I m I e , Dr. F.: Novalis. Seine philosophische Weltanschauung. Paderborn
: F. Schöningh 1928. (VIII, 152 S.) 8°. RM 6-; geb. 7.50.
Das Schriftchen ist durch meine Schuld bisher unbesprochen geblieben
. Das Wort „philosophisch" im Untertitel könnte zu der Hoffnung
leiten, hier eine strenge philosophische Analyse von Novalis zu
bekommen. Das ist nicht der Fall. Verf. ist ein Liebhaber von Novalis,
und er stellt Novalis mit sehr bescheidnen philosophiegeschichtlichen
Reminiszenzen im Wesentlichen auf Grund einer liebhabermäßigen Vertiefung
im Novalis' Fragmente dar. Die Interpretationen sind nirgends
wissenschaftliche Analysen, sondern tragen stets persönlichen Charakter.
Solche Schriften sind oft nicht wertlos, wenn es sich um eine innerlich
verwandte Individualität handelt. Eine gewisse Verwandtschaft ist auch
da, aber sie ist begrenzt dadurch, daß Verf. im römischen Christentum
wurzelt und alles, was Novalis von diesem trennt — er sieht es und
sagt es ehrlich, daß es viel, ja daß es das Entscheidende ist —, nur
als Unreife, als Grenze empfinden kann. Wie er sich Novalis zurechtlegt
, zeigt am ehesten folgendes Zitat (S. 63): „Ja, wir möchten fast
meinen, er habe seine innere Poetenfreiheit mit einem mehr oder weniger
bewußten Opfer des Intellektes erkauft, einem interessanten Gegenstück
zu dem, was man landläufig darunter versteht. Es bestand ungefähr
darin, die verstandesmäßig und historisch als Gottesoffenbarung und
Inbegriff der Wahrheit einleuchtende positive Religion abzulehnen, um
die süßen Qualen der Ungewißheit und die Möglichkeit endlosen Wählens
, vor allem aber das merkwürdige Liebesglück des durch keine
Objektivität gestörten inneren Selbstgenusses zu behalten." Etwas zu
dieser Hypothese zu sagen, ist unnötig, es sei denn, daß sie mir psychologisch
sehr interessant gewesen ist, aber für die Psychologie eines
Novalis liebenden römischen Christen, nicht für die von Novalis selbst.
Göttingen. E. Hirsch.

Christian!, Hanns J.: Die Breslauer Bischofswahl von 1841

in ihrem Verlaufe u. ihren nächsten Auswirkungen. Ein Beitrag z.

Geschichte d. Bistums Breslau. Eisleben: A. Klöppel [1929]. (72 S.)

gr. 8°. RM 1.50.

Aus zeitgenössischen römischen Kirchenzeitungen und einigen behördlichen
Reskripten wird ein lebendiges Bild der Vorgänge entworfen,
die nach der Renuntiation Seldnitzkys die Wahl Joseph Knauers zum
Breslauer Bischof am 27. VIII. 1841 herbeigeführt haben. Die Darstellung
ist so sachlich und genau, daß sie auch für den, der von einem
andern Standort aus als Christiani seine letzte Beurteilung findet, brauchbar
ist. Sie vermittelt eine lebendige Vorstellung sowohl von der —
entgegen allen Vorurteilen der communis opinio zugleich klugen,
kräftigen und doch den katholischen kirchlichen Interessen gerecht werdenden
Haltung der Regierung Friedrich Wilhelm IV. wie von dem
werdenden deutschen Ultramontanismus wie von der feinen Politik der
römischen Curie, die den der Regierung genehmen frommen und tüchtigen
Mann erst am 27. I. 1843 präkonisierte, nachdem der ultramontane
Kapitularsvikar in der Mischehenfrage die Praxis der Diözese umgestellt
hatte (die normale Frist zwischen Wahl und Präkonisation betrug
damals etwa vier bis sechs Monate). Darüber hinaus ist die Schrift,
eben um ihrer liebevollen Kleinmalerei willen, ein ausgezeichnetes Beispiel
zur Erläuterung aller für eine preußische Bischofswahl damals geltenden
rechtlichen Bestimmungen.

Göttingen.__E. Hirsch.

Piper, Prof. D.Otto: Erlösung als Erfahrung. Tübingen: J. C.
B. Mohr 1932. (48 S.) 8°. = Sammig. gemeinverständl. Vorträge u.
Schriften a. d. Gebiet d. Theologie u. Religionsgesch. 157.

RM 1.50; i. Subskr. 1.20.
Der Verf. sieht im gegenwärtigen Protestantismus
einen neuen Typ der Erlösungsfrömmigkeit hervortreten
. Da der Begriff der Erlösung nicht eindeutig ver-