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Ausgabe:

1933 Nr. 10

Spalte:

187

Autor/Hrsg.:

Knoll, August M.

Titel/Untertitel:

Der soziale Gedanke im modernen Katholizismus 1933

Rezensent:

Piper, Otto A.

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187

Theologische Literaturzeitung 1933 Nr. 10.

188

Knoll, August M. Der soziale Gedanke im modernen Katholizismus
. I.: Von der Romantik bis Rerum novarum. Mit 16 Bildtafeln
. Wien: Reinhold-Verl. 1932. (XIV, 317 S.) kl. 8°. = Kl.
Histor. Monographien. Beilage d. Berichte z. Kultur u. Zeitgesch.
Hrsg. von M. Hovorka. 34. RM 3.80.

Eine ausführliche Geschichte der sozialen Ideen im
neueren Katholizismus existiert noch nicht. Knolls fleißige
Schrift, deren erster Band das 19. Jahrhundert bis zur
Enzyklika Rerum novarum behandelt, und deren zweiter
die Weiterentwicklung bis Quadragesimo anno bringen
soll, gibt wenigstens einen vorläufigen Ersatz. Sie stellt
die wichtigsten Personen, Ereignisse und Schriften in
übersichtlicher Weise zusammen und ermöglicht so wenigstens
eine selbständige Weiterarbeit. Ein einleitender
Teil (S. 5—38) charakterisiert an der Sklaven- und Zinsfrage
die sich stets gleichbleibende vermittelnde Handlung
der katholischen Kirche. Der erste Hauptteil (S. 39
bis 185) bringt in gedrängter Fülle einen klaren, wenn
auch etwas schematischen Überblick über die Zeit- und
Problemlage vor Rerum novarum. Die Gegensätze der
konservativen und liberalen Richtung im sozialen Katholizismus
werden klar herausgearbeitet; die Bedeutung der
Oesterreicher stark (im Verhältnis zu dem Anteil Belgiens
und Frankreichs wohl zu stark) unterstrichen und
die soziale Gesetzgebung vor 1891 in einer Reihe europäischer
Länder skizziert. Der zweite Hauptteil (S. 187
bis 280) bietet eine Übersetzung und Auslegung von
Rerum novarum. Die Enzyklika wird charakterisiert
als „eine lehramtliche Kundgebung von höchster Autorität
, aber keine unfehlbare Lehrentscheidung: zeitlos,
wo Glaubensgut sozialen Komplex berührt, zeitgebunden
in den praktischen Vorschlägen und Folgerungen" (S.
235). Dieser Charakteristik entspricht die ganze Haltung
des Buches, das in gleicher Weise die soziale Verpflichtung
des Katholizismus und die Notwendigkeit der Sozialpolitik
begründen will, sie aber andererseits gegenüber
der konservativ-naturrechtlichen Richtung beschränken
will auf eine „heilende" Tätigkeit unter den Gesichtspunkten
der Liebe und der Gerechtigkeit.

K.s Schrift beschränkt sich im allgemeinen auf eine
Darstellung der innerkatholischen Entwicklung der Probleme
. Vielleicht bekommen wir eines Tages ein Werk,
das die Probleme in die gesamte Geistes- und politische
Ideengeschichte des 19. Jahrhunderts hineinstellt!
Münster i. W. Otto Piper.

Strömme, Arnulf: Die Gültigkeit der Religion. Heidelberg: C.
Winter 1932. (IV, 80 S.) 8°. = Beitr. z. Philosophie, 22. RM 3.50.

Der Titel des nicht sehr durchsichtig und lesbar
geschriebenen Büchleins (wohl einer Dissertation) weist
in die Richtung der badisch-neukantischen Philosophie.
Es entstammt der Schule Rickerts und führt auf Probleme
, die der heutigen Religionsphilosophie und systematischen
Theologie nicht sehr liegen und wohl auch
durch die existentielle Betrachtungsweise überholt sind.
Zu dem Standpunkt wird man allerhand Fragezeichen
machen. Ist es wirklich so, daß durch den Glauben das
religiöse Erlebnis zum „theoretischen Problemobjekt"
wird? Stimmt der daraus konsequent abgeleitete Satz:
„Gibt es ein bestimmtes Strukturverhältnis zwischen dem
Erlebnis und der Erkenntnis, so muß auch der Glaube,
wenn er gültig sein soll, einem bestimmten religiösen
Erlebnis entsprechen"? Sollte dieser Parallelismus nicht
den Glaubensbegriff des Verfassers problematisch machen
? Auch darüber läßt sich sehr streiten, ob man den
logischen Wertanspruch auf eine übertheoretische Basis
gründen und dann diese mit dem religiösen Wert identisch
setzen kann. Mir will scheinen, daß hier überall
eine Rationalisierung der Religion vorliegt, die ihrem
Wesen widerspricht. Mag die „Gültigkeit" der Religion
immerhin darin bestehen, „daß die gültige Erkenntnis
selbst im tiefsten Sinne die religiöse Erkenntnis voraussetzt
", die „Wahrheit" der Religion kann durch dieses
Kriterium nicht gesichert werden, und mit ihr steht
und fällt die „wirkliche", die existentielle Religion, die

nicht an der Gültigkeit, sondern an der Realität ihres
Gegenstandes interessiert ist.

Düsseldorf. Kurt Kessel er.

Bonhoeffer, Dietrich: Akt und Sein. Transzendentalphilosophie
u. Ontologie i. d.systemat. Theologie. Gütersloh : C. Bertelsmann 1931.
(158 S.) gr. 8°. = Beiträge z. Förderung christl. Theologie, hrsg. v.
A. Schlatter u. W. Lütgert, 34. Bd., 2. H. RM 5-.

Durch die Begriffe Akt und Sein sieht B. zwei sich
gegenseitig ausschließende Richtungen der Philosophie
repräsentiert, die Transzendentalphilosophie und die Ontologie
. Unter Akt versteht er die „reine Intentionalität",
die seinsfremd gedacht werden soll, das „Unendlich-Extensive
", unter Sein die „Transzendierung des feienden
' ", das „Unendlich-Intensive" (S. 9). B. versucht
die zugrundeliegenden echten Anliegen beider Richtungen
dadurch zur Einheit zu bringen, daß er sie aus dem
autonomen Selbstverständnis des Menschen herausnimmt
und sie in einem kirchlichen Denken neu begründet.

Zuerst wird das Akt-Sein-Problem innerhalb der Philosophie
behandelt. In der echten Transzendentalphilosophie
ist das Sein erkennendes Bewußtsein,
reiner Akt, der bei Kant noch „inbezug auf" Transzendentes
ist. Der Idealismus hat dagegen den Aktcharakter
dadurch aufgehoben, daß er das Transzendente in
den Akt hineinnimmt, wodurch er als Bewegung des
Geistes „grundsätzlich zur Ruhe gekommen" ist, weil
der Geist immer bei sich selbst ist (S. 20,31). Die On-
t o 1 o g i e will die Vorordnung des Seins gegenüber dem
Bewußtsein dadurch erweisen, daß das Denken als eine
Weise des Seins aufgezeigt wird, wie es am folgerichtigsten
bei Heidegger geschehen ist. Aber auch bei ihm
wird durch das Verstehen von Sein noch immer über
das Sein verfügt. In beiden Versuchen beherrscht daher
das autonome Ich das Sein — auch bei Kant, weil die
Selbstbegrenzung der Vernunft ein Akt des Ichs ist, so-
daß das Transzendente nicht von außen kommt. Weil
B. die Wahrheit nur von der Offenbarung her versteht
(S. 63) und von Anfang an den christlichen Existenzbegriff
zum kritischen Maßstab nimmt (S. 66,108), muß
er das autonome Selbstverständnis als Unwahrheit bezeichnen
. Deshalb müssen das „inbezug auf Transzendentes
" und das „Aufgehobensein des Aktes im Sein"
von dem Sein in der Wahrheit aus völlig neu verstanden
werden. Nach dieser Umformung durch die Offenbarung
werden diese echten Anliegen der beiden philosophischen
Richtungen für die systematische Theologie dadurch
wichtig, daß mit ihrer Hilfe der Offenbarungsbegriff
selber zu einem besseren begrifflich-theologischen Ausdruck
gebracht werden kann.

In einem zweiten Teile werden daher zunächst die
beiden unrichtigen Auslegungsmöglichkeiten der Offenbarung
auf Akt- und Seinsbegriffe besprochen. Wird
das Sein der Offenbarung nur als reiner Akt Gottes verstanden
, dann bedroht die Nichtgegenständlichkeit dieses
Aktes die Kontinuität, die stete Gegenwart der Offenbarung
. Wird dieses Sein dagegen als bewußtseinstranszendent
und gegenständlich gedacht, dann betrifft
es nicht mehr die Existenz wirklich von außen, weil
auf dieses Sein als Lehre, Erlebnis oder institutionelle
Kirche jederzeit wie auf ein Seiendes zurückgegangen
werden kann. Gegenüber dieser individualistischen Auslegung
der Offenbarung führt B. die Kirche als eine
theologisch-soziologische Kategorie ein (S. 100). Das
Sein der Offenbarung wird von hier aus als das Geschehen
bezeichnet, in dem die Freiheit Gottes sich „in
die personhafte Gemeinde hineingebunden" hat (S. 103).
Die Kirche konstituiert sich „durch die gegenwärtige
Verkündigung von Tod und Auferstehung Christi in
der Gemeinde, durch die Gemeinde, für die Gemeinde"
(S. 101). Diese Seinsart der Kirche vereinigt in sich die
Ansprüche, die vom Akt-Sein-Problem aus jeweilen als
berechtigt anerkannt wurden: die Möglichkeit existen-
zieller Berührung und echter Gegenständlichkeit des
Außen. B. sieht in dem Offenbarungs-Sein, in der Gemeinde
, den Kreis geschlossen zwischen Transzendental-