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Ausgabe:

1933 Nr. 10

Spalte:

181-182

Autor/Hrsg.:

Linhardt, Robert

Titel/Untertitel:

Die Sozialprinzipien des heiligen Thomas von Aquin 1933

Rezensent:

Piper, Otto A.

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Theologische Literaturzeitung 1933 Nr. 10.

182

des Gottesdienstes kaum entsprechenden Stücks der Liturgie
. Sehr erfreulich ist, daß der Archäologe P.
G ö ß 1 e r die Frage der „Anfänge des Christentums in
Württemberg" neu in Angriff nimmt auf Grund der
Bodenfunde und der römischen Ruinen. Die Annahme
Bosserts d. Ä., daß es schon vor 506 Christengemeinden
in W. gegeben habe, lehnt er ab, ebenso die Vermutung,
als hätte das Christentum von der Römerzeit her fortbestehen
oder von den Goten her, also aus dem Osten
nach W. kommen können. G. nimmt an, daß die Alemannen
von Westen her gleich für die katholische Form
von ca. 550 an gewonnen wurden, zuerst die Führer
und dann im Lauf der nächsten 200 Jahre langsam das
Volk. Das allmähliche Verschwinden der Totenbeigaben
gegen Ende des 7. Jahrh. sei ein Zeichen der sich
vollziehenden Christianisierung; die Bestattung anstelle
der Verbrennung der Toten werde schon in heidnischer
Zeit geübt. Die Anlage christlicher Friedhöfe um die
Kirchen statt der Reihengräber zeige den Abschluß der
Missionierung. Die Totenbeigaben christlichen Charakters
5.—7. Jahrh. erklärt G. für aus der Fremde stammende
Schmuckstücke. Bildwerke alter romanischer Kirchen
spiegeln zwar den Synkretismus der Missionszeit,
sind aber schwer zu deuten. Römische Baureste dienten
häufig dem Kirchbau, gallorömische Kultorte kommen
nicht selten durch Kirchen wieder zu Ansehen. Die
These Bosserts d. Ä. vom Nebeneinander der fränkischen
Martins- und alemannischen Michelskirchen verdient
weitere Beachtung. Gute Abbildungen von Bodenfunden
sind beigegeben. Der Aufsatz ist wie die
fünf vorhergenannten Karl Müller zum 80. Geburtstag
gewidmet. In die Neuzeit führt K. Mayer mit seinen
Ausführungen über „die finanziellen Beziehungen zwischen
der Evang. Kirche und dem Staat in W. von 1806
bis 1919". Ein sachkundiger Jurist gibt hier eine Übersicht
über die Rechtsfrage der Ausscheidung des Kirchenguts
, das der Staat in der napoleonischen Notzeit
an sich gezogen hat unter Übernahme der Lasten des
Unterhalts der Kirche.

Horb. O. Bossert.

Linhardt, Dr. Robert: Die Sozialprinzipien des heiligen
Thomas von Aquin. Versuch einer Grundlegung der speziellen
Soziallehren des Aquinaten. Aus den Quellen erarbeitet. Freiburg i.
Br.: Herder & Co. 1932. (XIV, 233 S.) gr. 8°. RM 8.80.

In einer Zeit, in der die Sozialethik sich weit über
den Bereich der katholischen Theologie hinaus auf Thomas
beruft, sind Untersuchungen wie die vorliegende
besonders verdienstvoll. Denn auch die quellentreueste
Behandlung einzelner Spezialprobleme wird bei einem
Systematiker wie Thomas solange mit dem Verdachte
der Fehldeutung belastet bleiben, als sie nicht aus dem
Geiste seines Systemes heraus verstanden wird. Der
Verf. hat mit erstaunlichem Fleiße nicht nur die sämtlichen
Schriften des hlg. Thomas, sondern was ungleich
viel mehr heißen will, auch einen großen Teil der gewaltigen
Literatur über Thomas verarbeitet. Man übertreibt
nicht, wenn man Linhardts Buch heute als die grundlegende
Schrift über thomistische Sozialethik anspricht,
durch die das weit verstreute Quellenmaterial handlich
vereinigt ist, und die eine solide Grundlage für alle
Weiterarbeit abgibt. Die protestantischen Untersuchungen
über die Sozialethik des hlg. Thomas, die schon
nach Schillings Studien der Verbesserung bedürftig erschienen
, wird man heute nur noch in Verbindung mit
L.s Grundlegungen benutzen können.

Eine allgemeine Einleitung macht mit der Methode
der thomistischen Sozialethik vertraut (S. 1— 41). L. legt
Wert darauf, neben den drei systematischen Hauptwerken
(dem Sentenzenkommentar und den beiden Summen)
auch die Kommentare zur Ethik und Politik des Aristoteles
reichlich heranzuziehen, weil Thomas in diesen
Schriften über das Amt eines Kommentators weit hinausgehe
. Freilich hat diese Bevorzugung des Aristoteles
zur Folge, daß L. die augustinisch-platonischen Gedanken
bei Thomas stark in den Hintergrund schiebt.

Thomas hat ja wohl, gerade weil er dem Aristoteles den
Vorzug gab, die beiden Komponenten seines Denkens
nie zu einem vollen Ausgleiche bringen können. Daher
werden seine Interpreten selbst an der Hand der Quellen
sich nie völlig einigen können. Immerhin hat L.s Schrift
gegenüber den Einseitigkeiten etwa eines Troeltsch und
Maurenbrecher auf der einen Seite, Spanns und der
Organizisten auf der anderen Seite den Vorteil, beide
Kompenenten deutlich heraus gestellt zu haben. Freilich
, wenngleich L. das Spannungsverhältnis auch fast
überall sichtbar werden läßt, so versucht er doch vielfach
eine Synthese zu geben, die Thomas selbst nicht
vollzogen hat.

L. faßt den Sinn der Prinzipien sehr weit: im 2. Kap.
handelt er von der Sozialbedeutung des philosophisch-
theologischen Weltbildes bei Thomas (S. 42—84), im

3. Kap. von der Rechtsphilosophie (S. 85—131), im

4. Kap. von der Sozialphilosophie (S. 132—173) und
im 5. Kap. schließlich von der Kultur- und Wirtschaftsphilosophie
(S. 174—224). L. zeigt, wie das thomistische
Denken eine in sich geschlossene Einheit ist. Im Seinsbegriff
der durch den Schöpfungsgedanken, dem appe-
titus-Begriff und die partieipatio legis aeternae bestimmt
ist, sind deshalb auch die Probleme und Ordnungen der
Sozialethik angelegt. L. verwendet deshalb auch Wirklichkeitsbereiche
, die die Sozialethik bisher kaum benutzt
hat, wie z. B. das Sein und die Ordnungen der Engel,
zur Durchleuchtung der Sozialethik.

Ich würde stärker als der Verfasser es tut, die Spannung zwischen
der Universumsidee und der Selbständigkeit der causae mediae aufgewiesen
haben. Ebenso wird im 3. Kapitel die Spannung zwischen
ewigem Gesetz und natürlichem Gesetze zwar erwähnt, aber nicht in
ihren Konsequenzen verfolgt.

Das 4. Kapitel arbeitet mit Nachdruck den Individualismus
bei Thomas heraus, vor allem im Anschluß an
de Wulf. Dieser Nachweis scheint mir nicht unwichtig,
gerade gegenüber der heute weit verbreiteten Auffassung
von dem organischen Denken des Mittelalters.

Wenn L. dann doch selbst wieder von einer organisch-korporativen
Gesellschaftsauffassung spricht (S. 156 ff ), so scheint mir dabei nicht
genügend zwischen der zur Erlösung bestimmten Menschheit bezw. der
Kirche als persona und den übrigen Sozialgebilden als ordines unterschieden
zu sein. Der evangelische Theologe wird erstaunt sein, wie
weit die reformatorische Berufsauffassung bei Thomas schon vorgebildet
ist (S. 162 ff.). Bei der Erörterung des Autoritätsprinzips hätte der
Unterschied zwischen dem paradiesischen dominium und den Herrschaftsverhältnissen
in der gefallenen Welt schärfer herausgearbeitet werden
können; S th. I, 96,4 darf doch nicht so verstanden werden, als bestünde
nur ein Unterschied in der Würdigkeit der Herrschenden. Wichtiger
ist doch die Zielsetzung. Im Paradiese würde die supereminentia
scientiae et justitae ausschließlich in utilitatem aliorum gebraucht
werden.

Von großer Wichtigkeit für die Kenntnis des hohen
Mittelalters ist das 5. Kapitel; es zeigt wie selbst der
Mönch Thomas bei aller Wertschätzung seines Standes
für die kulturellen Fragen aufgeschlossen ist. Er bejaht
die Stadtwirtschaft und die Stadtkultur, freilich will er
die Arbeit noch nicht im Sinne der Erwerbsarbeit, sondern
der nützlichen Tätigkeit verstanden wissen.

In der Beurteilung der Eigentumsfrage scheint mir L. den Nachdruck
zu sehr auf das Privateigentum zu legen. An der wichtigen Stelle

5. th. 2 II, 66, 2 läßt doch Thomas, der die individuelle potestas pro-
curandi et dispensandi über die res exteriores gefordert hat, ihren usus
gemeinsam werden. Für die praktischen Fragen der Eigentums- und
Wirtschaftsordnung ist es nicht unwichtig, wie hier die Akzente
gesetzt werden.

In den lateinischen Zitaten sind einige Druckfehler: z. B. ex fini
statt fine S. 61 Z. 13 v. u.; natioualis statt rationalis S. 63 Z. 19 v. o.;
possessionem statt posssesionum S. 207 Z. 7 v. o. Methaphysik und Metaphysik
wechseln dauernd ab.

Münster i. W. otto Piper.

Cord ier, Prof. D. Dr. Leopold: Der Deutsche evangelische
Liederpsalter, ein vergessenes evangelisches Liedergut. Gießen:
A. Töpelmann 1929. (72 S.) gr. 8°. = Vortr. d. theol. Konferenz zu
Gießen. 45. Folge. RM 3 — ,

Das Psalmenlied, eine Urform reformatorischen Kirchengesangs
, von Luther und seinem Kreis reich ver-