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Ausgabe:

1932 Nr. 6

Spalte:

138

Autor/Hrsg.:

Iwan, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Um des Glaubens willen nach Australien. Eine Episode deutscher Auswanderung 1932

Rezensent:

Lerche, Otto

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137

Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 6.

138

lesen. Die bedeutendere von den beiden Abhandlungen,
nämlich die des Johannes von Pouilly, behauptet, daß
Maria die Erbsünde überkommen habe, läßt es jedoch
unentschieden, wie lange Zeit sie in ihr verblieben sei,
meint aber doch, es wäre nur eine kurze Zeit gewesen. Er
erklärt daher, das aufgeworfene Problem nicht wirklich
lösen zu können, die Hörer mögen darüber lehren, wie
sie es für gut halten. Der zweite Autor sagt, daß er
zurzeit an der Lehre, Maria sei in der Erbsünde empfangen
, festhalte und daß es unmöglich gewesen sei, daß
sie im ersten Moment geheiligt wurde, da sie doch in
diesem sich sub culpa originali befunden haben müsse.
Beide Abhandlungen zeigen im Verhältnis zu dem vorangegangenen
Jahrhundert, wie die neue Lehre Fortschritt
gemacht hat und wie sie immer mehr zum theologischen
Problem geworden ist. Von Interesse ist es auch, das
Material pro et contra, mit dem die beiden Autoren
operieren, kennen zu lernen. Ich schließe mit der Hoffnung
, daß auch die folgenden Bände der mariologischen
Bibliothek mit der gleichen Akribie und Sachkunde gearbeitet
sein werden, wie die vorliegende treffliche Edition
von Balic.

Berlin-Halensee. _Reinhold Seeberg.

Neumark, Prof. Dr. David: Geschichte der jüdischen Philosophie
des Mittelalters, nach Problemen dargestellt. II. Bd., 2.: Die
Grundprinzipien II. 3. Buch: Attributenlehre, 2. Hälfte: Mittelalter.
Berlin: W. de Gruyter & Co. 1928. (XX, 371 S.) gr. 8°. RM 18—.
Die Geschichte der jüdischen Philosophie des Mittelalters
von David Neumark, die besonders weitläufig
auf etwa 5 Doppelbände angelegt war, hat nun bereits
1928 mit der Veröffentlichung des 2. Bandes durch den
Tod ihres Verfassers (1924) einen frühzeitigen Abschluß
gefunden. Zufolge der meiner Meinung nach
nicht glücklichen Gliederung des Gesamtwerkes enthält
diese letzte Publikation Neumarks nur die Analyse des
Attributenproblems von der Halacha und Agada
des talmudischen Schrifttums über Israeli, Saadja,
Bachja bis zu Gabirol. Der Reichtum der Materialver-
wertung ist auch in diesem Bande wie in den vorangegangenen
Teilen des Werks bewunderungswürdig groß;
die Energie der begrifflichen Zergliederung des vorliegenden
Dogmengehalts ist von unbestreitbar hohem
Rang. Aber die gewichtigen Bedenken, die sich hier
nirgends unterdrücken lassen, weisen in eine andere
Richtung.

Die gesamte Geschichte der äiteren jüdischen Philosophie
wird hier als Präludium zur Lehre des Maimo-
nides gewertet und als die Geschichte eines dauernden
„Befreiungskampfes" von älterer wie neuerer Mythologie
gedeutet. Nun läßt sich mit dieser bewußt rationalisierenden
Devise dem großen Aufklärer Maimonides
gewiß vielfach sehr nahe kommen. Und auch sonst ist
auf diese Weise aus zahlreichen Einzelanalysen der rationalen
Begriffszusammenhänge wertvolle Ausbeute zu gewinnen
. Die Fülle von rational begrifflicher Feinarbeit,
die Araber, Christen und die Reihe der jüdischen Denker
von Israeli an im Mittelalter geleistet haben, darf
nicht unterschätzt werden. Aber gerade wenn man, wie
Neumark dies hier dankenswert tut, die biblische Philosophie
der jüdischen Antike und wenn man die symbolisierende
, mvthologisierende Kraft der talmudischen
Agada mit heranzieht, dann muß die Losung von dem
fortdauernden Befreiungskampf gegenüber der Mythologie
doch unhaltbar ungünstig für das Verständnis der
älteren Philosophie ausfallen. Es ist sehr paradox und
doch weit tiefer begründbar, als mir dies hier möglich
ist: auch dem Gesamtverständnis der späteren, rationalisierenden
jüdischen Denker des Mittelalters kommt die
Tendenz Neumarks nicht eigentlich zu gute. Alle die
mit breiter Akribie durchgeführten Untersuchungen über
den Neuplatonismus oder Aristotelismus Israelis (Polemik
gegen Jacob Guttmann) oder über den Einschlag
von Piatonismus im Denken Gabirols oder dergleichen
können doch das Gesamtbild der in Frage stehenden
Denker nicht entscheidend genug erhellen. Die entscheidende
Aufgabe, die hier zu leisten wäre: die wirklich umfassende
geistesgeschichtliche Verlebendigung der gewaltigen
Dolmetschdienste, die das Judentum damals philosophisch
und religiös zwischen arabischer und christlicher
Kultur vollbracht hat, ist Neumark nicht genügend
gelungen. Ja noch mehr: trotz seiner minutiösen Sorgfalt
im Einzelnen — auch der lebendigen Eigenkraft der
■älteren jüdischen Philosophie ist offenbar mit den Ten-
: denzen Neumarks nicht ausreichend beizukommen. Das
[ Gesamtbild, das hier entworfen wurde, bleibt so zu
kahl, in Einzelheiten zerstückelt und zerfasert und gerade
seiner höchsten überrationalen, religiösen Sinntendenzen
beraubt.

i Berlin._David Baum gar dt.

i Iwan, W: Um des Glaubens willen nach Australien. Eine
j Episode deutscher Auswanderung. Den australischen Deutschen gewidmet
. Mit einem Bilder- u. Karten-Anhang. Breslau: Verl. d.
Luth. Büchervereins 1931. (197 S.) 8°. geb. RM 5—.

Von den 194 Textseiten des Buches kommen 127
: auf die eigentliche Darstellung in 22 Abschnitten. Von
] diesen Abschnitten enthalten 11 —18 die einzelnen Transporte
und 7—10 die Gründe der Auswanderung (Ablehnung
der Union, strenger Konfessionalismus, vornehmlich
in Schlesien, aber auch in Brandenburg und Posen),
die Schwierigkeit und deren Überwindung, die Charakteristik
des ersten Führers Kavel. Abschnitt 15 ist dem
I zweiten Führer Fritsche gewidmet, 19 dem Kirchenstreit,
21 der Entfremdung.

I., früher selbst in Australien Pfarrer, behandelt in
erster Linie auf Grund eines ausgedehnten Studiums ge-
j druckter und ungedruckter Quellen und einer reichhalti-
I gen Literatur die Auswanderung, die sich ihr entgegen-
j stellenden und überwundenen Schwierigkeiten, sowie die
: Anfänge der deutschen Siedelung. Das alles ist mit viel
Liebe, innerer Anteilnahme und recht breit dargelegt.
Ebenso vermitteln die als Anhang abgedruckten Auszüge
i aus Akten und Briefen sowie die Auswandererlisten einen
; Eindruck von dem Bestreben des Verfassers nachGründ-
i lichkeit und Sorgfalt; sie verstatten überdies dem Leser
j einen Einblick in die Originalquellen.

Aber wenn auch der mit der Materie nicht vertraute
I Leser mancherlei Neues, Interessantes und — Unerfreuliches
aus dem Buche entnehmen mag, so fehlt diesem
i doch leider jeder größere wissenschaftliche Zug. Gewiß
J hätten Kampf und Widerstand gegen die Union in die-
j sem Zusammenhange eine gründlichere Darlegung vertragen
, wenn auch nur unter Verwertung der Er-
| gebnisse von G. Nagel; der Kampf um die luth.
Kirche in Preußen (1930), das 1. nicht mal anführt
. Vor allen Dingen aber ist es bedauerlich, daß die
Abschnitte 19 und 21 (Kirchenstreit und Entfremdung)
so ganz, an der Oberfläche bleiben. Da gibt C. Schneider
in seinem Reisebericht (Bei den deutschen Lutheranern
in Australien. 1929. Dazu Evang. Diaspora XI
| 1929 S. 33—36) schon bedeutend mehr. Und selbst
i wenn man nach den Auseinandersetzungen zwischen
| Schneider und Ortenburger (Evang. Diaspora XI 1929
I S. 165—168. XII 1930 S. 27—32) von den festen Er-
| gebnissen Schneiders Manches fraglich lassen möchte —
j was wir nicht tun — dann ist doch mit Iwans Darstel-
! hing auf diesem Gebiete garnichts gewonnen. Das heißt
! doch einfach, den Schwierigkeiten ausgewichen, das
: „heikle Gebiet" (S. 119) ist von I. kaum beschritten,
| und die Probleme, die nach I. (S. 118 unten und S. 120
| oben) noch zu lösen sind, hätte I. wenigstens der Lösung
| näher bringen sollen, wenn sein Buch gegenüber oder
nur neben Schneiders Reisebericht kirchengeschichtlichen
Wert haben sollte.

Das beigegebene Literaturverzeichnis ist bibliogra-
- phisch sehr ungenau und unvollständig. I. nennt nicht
{ einmal seine eigene frühere Arbeit (Hat die „deutsche"
lutherische Kirche Australiens Aussicht auf Bestand?
Evang. Diaspora X 1928 S. 21—28) und ebensowenig
vollständig die von Schneider (Bei den deutschen Lutheranern
S. 17) angeführte Literatur.
I Leipzig. _ Otto Leiche.