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Ausgabe:

1932 Nr. 6

Spalte:

130

Autor/Hrsg.:

Robertson, James Alexander

Titel/Untertitel:

Who was Jesus of Nazareth? 1932

Rezensent:

Dibelius, Martin

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129

Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 6.

130

hier gegebene Fragestellung nicht auf, da die Benutzung
der Geschichtsperspektive des Gesetzes als Erziehungsmittel
für die Gegenwart nicht identisch ist mit der oben
geforderten Auffassung der Geschichte selbst als gottgewollten
Läutcrungsgenchtes.

Die zweite Hälfte des zweiten Teiles endlich ist der
„Geschichte als Problem des Glaubens" gewidmet.
Drängt alle Ideologie von der Wirklichkeit hinweg zur
rein rationalen Konstruktion, so zeigt sich, daß die Geschichtsbetrachtung
des A.T. trotz ihrer rational-ideologischen
Linie sich nicht in die Wirklichkeitsferne verloren
hat. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, daß sie
:dets durchkreuzt wird — auch innerhalb des einzelnen
Menschen durchkreuzt wird — von einem „realistischen
Moment des Erlebnisses der Wirklichkeit", wobei diese
Erfahrung der Wirklichkeit es in sich schließt, daß das
Geschehen als Gotteswirklichkeit erfahren wird. Da
diese Erfahrung am deutlichsten in der Profetie vorliegt,
— sie wird aber auch mit Recht im Kult und in der
mündlichen Weitergabc der Tradition gesehen — wird
das Erlebnis der Profeten, speziell ihr Berufungserlebnis,
nach Inhalt, Bedeutung und Stellung zur Wirklichkeit
verfolgt; Linien, die aus W.'s schönem Amosbuch bekannt
sind, werden (z. T. in Auseinandersetzung mit der
andersartigen Deutung des A. durch Gramer) weitergezogen
und bewähren dabei ihre Richtigkeit. Die auf
den Profeten eindringende Wirklichkeit zwingt zur „Konzentration
auf den aktueilen Augenblick" als auf die
„Krisis im eigentlichen Sinn des Wortes". Von seinem
„Hier und Jetzt" aus gibt es für den Profeten „Geschichte
". Damit ist ein anderer Geschichtsbegriff gewonnen
als der „Versuch einer rationalen, linearen Betrachtung
der Geschichte in der Glaubensideologie" sie
darbietet. Geschichte ist hier „das Erleben der Wirklichkeit
des Geschehens als Gottes aktueller Wirklichkeit".
Ist das richtig gesehen (und ich habe wenig dagegen einzuwenden
), dann durfte oben nicht so geredet werden,
als komme im A.T. „Geschichte erst da deutlich zum
Vorschein, wo . . Auswahl, Anordnung und Gestaltung
der einzelnen Überlieferungen zu einem mehr oder weniger
einheitlichen Ganzen einsetzt". Dann ist der von W.
zunächst vertretene Begriff der Geschichte e i n Zug in
der at.liehen Geschichtsbetrachtung, aber es ist dann
nicht berechtigt, ihn zunächst zu verabsolutieren. Distin-
guamus ist in Sachen des A.T. immer die gegenüber
der Durchführung einer Linie und eines Begriffes
richtige Parole. Die Bedeutung des Erlebnistypus für
die Weiterbildung der Geschichtsideologie und die Escha-
tologie schließen den Beweisgang ab. Wenn W. ihn
darauf hinausführt, daß von der letzten Irrationalität der
Wege Gottes nach Jes. 40, 21 nur der zu sagen weiß,
dem Gott auf seinen Wegen wirklich begegnet ist, so
wird man für die Paradoxie der erlebten Wirklichkeit
Gottes, der aufbaut, indem er zerstört, der im Untergang
neues Leben schafft, als Parallele auf Luthers Wort verweisen
dürfen: „Darum hat er auch Griechenland den
Türken gegeben, auf daß die Griechen verjagt und zerstreuet
und die griechische Sprach ausbrächten und ein
Anfang würde, auch andere Sprachen mit zu lernen"
(E.A. 22,82). Auch hier stehen ein rationaler Wille zur
Erklärung eines Geschehens und zugleich die „profe-
tisch" erfahrene Paradoxie der Gotteswirklichkeit ineinander
.

Diese Besprechung ist unter der Feder mehr eine
inhaltliche Auseinandersetzung denn ein Referat geworden
. Ich hoffe, daß W. daraus den Wunsch erkennt,
entgegen der von ihm in den Vordergrund geschobenen
Gegensätzlichkeit auch die Verwandtschaft sowohl der
Problemstellung als auch der Problemlösung zu sehen
und von der vorhandenen Gemeinsamkeit aus die Debatte
zu führen. Ich wenigstens wünsche, daß meine
Einwendungen vor allem als Zeichen der Achtung vor
dem sachlichen Ernst seines Ringens um ein zentrales Problem
der biblischen Theologie gewertet werden möchten.
_Göttingen. Joh. Hempel.

Robertson, James Alexander, M. A., D. D.: Who was Jesus of

Nazareth? London: James Clarke & Co. o. J. (192 S.) 8°. 5 -sh.

Der Verf. hat einige Reden und Aufsätze, die alle
grundsätzlichen Themen des Neuen Testaments gelten, in
einem Bande vereinigt. Es handelt sich nicht eigentlich
um wissenschaftliche Probleme; die Fragen werden vom
: allgemein christlichen Bewußtsein aus gestellt und in
i einem erbaulich impressionistischen Stil beantwortet.

Ganz in der Weise älterer Werke über das Leben
i Jesu werden biblische Szenen nachgezeichnet und ausge-
! malt. Es werden auch Fragen wie die nach der Geschichtlichkeit
Jesu in der Weise der älteren Diskussion,
also mit dem Hinweis auf die oft berufene Unerfindlichkeit
, beantwortet. Schlimmer ist schon, daß gewisse
Züge des Lebens Jesu aus den Quellen heraus kon-
; struiert werden, die den Charakter des Evangeliums erheblich
verändern. R. will Jesus durchaus zu einem
Humoristen machen und läßt ihn lächeln bei jedem un-
gewöhnlichen Bild aus seinen Gleichnissen; nicht nur
bei dem durch den Nachbar gestörten Schlaf des Vaters
und der Kinder, sondern auch bei den Anklagen gegen
die Pharisäer, die ihre Frömmigkeit vor sich ausposaunen
lassen, oder bei dem bitter ernsten Wort vom
, Kamel und dem Nadelöhr und sogar bei dem Ruf an die
j künftigen „Menschenfischer". Kein Wunder, daß bei
; solchem Konstruieren auch über Stimme und Antlitz
Jesu einiges Erbauliche gesagt werden kann.

Der deutsche Leser, dem diese Art erbaulich-theologischer
Betrachtung sehr weit ab zu liegen scheint,
wird doch von manchen Äußerungen des schottischen
Verfassers angeregt oder beeindruckt. Angeregt wird er
von aktuellen Sätzen wie der Betrachtung, daß die
; Kriegsjahre uns wenigstens davon überzeugt hätten, daß
ein gerader ungebrochener menschlicher Fortschritt nicht
existiere. Als befremdlich, aber bezeichnend erscheint
dem deutschen Leser die durch die Ereignisse anscheinend
so gar nicht gebrochene Hoffnung auf den Völkerbund
, der dein Verf. nicht nur die einzige Hoffnung auf
Erlösung vom Kriege darstellt, sondern auch „die größte
konkrete Verkörperung des Ideals Jesu, seitdem er selbst
auf den Feldern und Straßen Palästinas dahinzog".
Wenn in einem ganz anderen Zusammenhang bei der
I Schilderung von Deutschlands „Blütezeit" Eduard von
Hartmann zwischen Schopenhauer und „Richter" (soll
heißen: Jean Paul) gesetzt wird, so ist die Chronologie
nicht ganz in Ordnung. Sympathisch berührt aber wird
man von dem Geist einer Kirche, in der sich Faith und
Fellowship mit der Freiheit vom Buchstabendienst
und mit Sincerity verbinden. Ein Zeugnis dieser Christlichkeit
ist auch das Glaubensbekenntnis, mit dem der
Verf. die letzte Abhandlung schließt und dessen 4 Artikel
(die im Buch nur durch Kausalsätze ergänzt werden)
hier mitgeteilt seien, weil der Versuch die Leser dieser
Zeitung interessieren dürfte: „I. I believe in God,
through Jesus Christ, His only Son, our Lord. II. 1 give
myself to God, who was in Christ reconciling the world
to Himself. III. I share the assurance that the Living
Christ is present now and always in the fellowship of
the faithful, labouring for the Coming of his kingdom
among men. IV. And finally I am persuaded that all
the redeemed shall live forever with Hirn and reign
with Hirn in a perfected and unshakable Kingdom."
Heidelberg. Martin D i b e I i u s.

Paisley, A. G.: M. A., B. A.: The Epic of the Nazarene. Chap-
ters in the Christ Conflict. London: James Clarke & Co. 1929.
(254 S.) 8°. 6 -sh.

Das Buch enthält Meditationen und Reflexionen
über Abschnitte aus dem Leben Jesu. Dieses Leben wird
< dabei betrachtet als Kampf mit den Kräften des Bösen
in jeder Gestalt. Die Darstellung geht von Jesu Einsamkeit
und seinem aller Tradition widersprechenden Verhalten
(Zebedaidenfrage) aus; sie beschreibt die beiden
I Auffassungen des Gottesreichs, indem sie auf die Menge
! beim Einzug und auf die zu Jesus strebenden Griechen