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Ausgabe:

1932 Nr. 5

Spalte:

115-116

Autor/Hrsg.:

Knittermeyer, Hinrich

Titel/Untertitel:

Staat und Mensch 1932

Rezensent:

Schowalter, August

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115

Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 5.

116

Willen und freundlicher Gesinnung gegen die Menschen
steht" (S. 179). Dieser Glaube ist ein Geschenk Gottes
, aber es wird nur dem zu teil, der (durch seinen
guten Willen) „auf dem Wege zu Gott ist" (S. 184),
„dem geistig mündig gewordenen Menschen" (S. 185),
und macht ihn glücklich (S. 197 f.).

Das Buch ist mehr als eine populär-wissenschaftliche
Darstellung christlichen Gottesglaubens, es ist ein
Bekenntnis, das restlos die Konsequenzen zieht aus der
alt- und neutestamentlichen Kritik, sich mit der gesamten
christlichen Dogmatik auseinandersetzt und sich aufbaut
auf der Voraussetzung, daß alle Menschen von
Natur wüßten, was gut und böse ist (S. 152, 178,
191 etc.). Diese Voraussetzung aber ist hart umstritten
und ein bedenklicher Unterbau für Duhms Konstruktion,
weil ihm die Entwicklung des Menschen aus einem
primitiven Urzustand Axiom ist (S. 190) und er erst
feststellen müßte, von welcher Entwicklungsstufe ab
dem Menschen diese „natürliche" Erkenntnis eignet und
auf welchem Wege sie geworden ist. Verallgemeinerungen
sind die Vorwürfe, daß „man" aus religiösen
Gründen das Weltbild des A. T. glaube festhalten zu
müssen (S. 171), daß „viele" Gott als feindselig und
mißtrauisch gegen alles Neue hinstellten (S. 180), und
daß die Auffassung einer wörtlichen Inspiration der
Schrift „sehr beliebt geworden sei und vielfach heute
noch in unverdientem Ansehen stehe" (S. 104). S. 159
hat der Setzer Verwirrung angerichtet.

Berlin. A. Schowa 1 ter.

Knittermeyer, Hiiirich: Staat und Mensch. Bremen: O.
Winters Buchh. 1931. (136 S.) gr. 8°. kart. RM 4—.

7 Vorlesungen des Direktors der Staatsbibliothek
in Bremen, die sittliche und kulturelle Bedeutung des in
Volk und Raum wurzelnden Staates festlegend, dessen
Ordnung und Autorität nur seine Begrenzung findet in
der Verantwortlichkeit des Einzelnen gegenüber Gott und
dem Nächsten. Zwei Aufgaben treten so deutlich hervor
: das Staatsgefühl als rocher de bronce zu stabilisieren
und doch der „Dämonie" der Staatsomnipotenz
zu wehren oder: das richtige Verhältnis zwischen Staatsrecht
und Menschenrecht festzulegen. Das geschieht in
vorsichtiger und weitherziger, oft etwas weitschweifiger
Weise. Nicht der Einzelne ist Urheber der Staatsgewalt,
sie beruht nicht auf dem contract social, der Staat besteht
kraft der Natur, des Rechtes und der Macht. Das Volk
drängt zum Staat, und nur durch den Staat gibt es Geschichte
. Aber das Volk darf nicht als eine physisch-
naturhafte, sondern nur als „eine auf der natürlichen
Grundlage ins Schicksalhafte vordrängende Ordnung" (S.
56) verstanden werden, „eine höchst verwickelte Ordnung
, die erschöpfend zu umgrenzen Aufgabe einer
wissenschaftlichen Naturlehre des Staates wäre" (S. 59).
Die völkische Überspannung schädigt Deutschlands organische
Staatsbildung. „Die Zeit macht das Zusammen
von Raum und Volk zum Vaterland" (S. 64). Wie nach
außen hat dieser Staat sich auch nach innen zu behaupten
. Auch Ordnungen, die in sich ein Eigengesetz tragen
(Ehe, Familie, Wirtschaft, Kultur), kann der Staat nicht
ganz aus seinem Gesetz herauslassen, „weil er der gesetzte
Mittler ist für den Austrag der geschichtlichen
Kämpfe der Menschheit" (S. 114), aber er muß sich der
Eingriffe enthalten, soweit es „seine eigene Existenz
nicht erfordert" (S. 115). Zu diesen Ordnungen gehört
auch die Kirche, nur daß zum mindesten die evangelische
Kirche sich selbst verloren, ihre Gegenwartskraft eingebüßt
hat (S. 120) und als lebendige und entscheidende
Ordnung sich heute noch zu behaupten (S. 124) nur
dann noch im Stande sein wird, wenn das von ihr verkündigte
Wort Gottes „aus der Gegenwart in die Gegenwart
wirkt" (S. 126), wenn sie „geschieht" (S. 133)
statt nur geschichtlich zu „sein". Sie muß ihren Anspruch
, trotz ihrer weltlichen Ordnung auch überweltliche
und übergeschichtliche Wirklichkeit und Gegenwärtigkeit
zu sein, auch gegenüber dem Staate durchfechten
, darf sich aber nicht an die Stelle des Staates setzen,
sondern muß seine Ordnung sich gefallen lassen (S.
135), in dessen „Zucht" sie steht, soweit sie seines
„Schutzes für die Erhaltung ihrer weltlichen Ordnung im
Dienste ihres überweltlichen Auftrages bedarf". Eine
volle Lösung ist das nicht.
Berlin. A. Schowalter.

M e i n e r t z, Max, und Adolf Donders: Aus Ethik und Leben.

Festschrift für Joseph Mausbach z. Vollendung d. siebzigsten Lebensjahres
(7. Febr. 1931). Münster: Aschendorff 1931. (VIII, 250 S.
m. 1 Bildn.) gr. 8°. RM 10—; geb. 12-.

Josepf Mausbach hat die Übergabe dieser Festschrift
nicht mehr erlebt; er starb eine Woche vor seinem
siebzigsten Geburtstag nach schweren Monaten, in
denen sein gewaltiger Arbeitswille immer wieder vor
dem quälenden Leiden kapitulieren mußte. Die umfangreiche
und vielseitige Festschrift ist nicht nur ein
Zeugnis für die Anerkennung und Liebe, deren Mausbach
sich bei seinen Freunden und Schülern erfreute;
sie ist auch zugleich ein Beweis für die große Fruchtbarkeit
der Methode, die M. in der Moraltheologie wie in
der Apologetik und Kulturpolitik vertreten hat. M.s
Denken war in stärkstem Maße von Augustin und Thomas
bestimmt; aber bei aller Ehrfurcht vor der Tradition
gehörte er nicht zu den Traditionalisten, sondern
verstand es, die Methode seiner Meister auf die Probleme
der Gegenwart anzuwenden und die veralteten
wissenschaftlichen Erkenntnisse bei jenen durch neue,
fortschrittlichere zu ersetzen. Er vertrat damit einen gesunden
Realismus. Von gegebenen Erkenntnissen als
geschichtlichen Wirklichkeiten ausgehend, suchte er deren
wahren Sinn zu verstehen, indem er sie auf das selbsterfahrene
Sein und Geschehen anwandte. Als Wahrheit
ließ er nur gelten, was mit unbefangener Prüfung der
Dinge übereinstimmte; das machte ihn kritisch gegen
die mechanische Übernahme der Tradition. Auf der anderen
Seite aber verhalf ihm die Tradition z. T. zu Erkenntnissen
, die die Gegenwart unter dem Vorurteile
anderer Weltanschauungen nicht gewinnen konnte. Man
wird als Protestant nicht in allen Dingen mit M. gehen
können — am wenigsten vielleicht in seiner Apologetik
— aber man wird von seiner realistischen Methode
lernen können. Gerade heute, wo wir im Zeichen der
Lutherrenaissance und der Neubetonung des Offenbarungscharakters
der Bibel auf dem Wege zum mechanischen
Traditionalismus sind.

Ich kann unter den zahlreichen Beiträgen der Festschrift
nur einige eingehender berücksichtigen. Eine
große Rolle spielt in der Festschrift der Begriff des
Naturrechtes, der von dem Naturbegriff der modernen
Naturwissenschaft aus neu durchdacht wird. Michael
W i tt m a n n-Eichstaett zeigt in seiner eingehenden Untersuchung
über den Begriff des Naturgesetzes bei Thomas
von Aquino, wie Thomas den augustinisch-neu-
platonischen Gedanken von der Gegenwart des ewigen
Gesetzes im Geiste des Menschen durch die Erkenntnislehre
des Aristoteles modifiziert: Jeder Mensch hat von
Natur, d. h. aufgrund seines Menschseins, die Fähigkeit
, die Wahrheit zu erkennen, diese Fähigkeit bekommt
aber erst durch die Natur (als Inbegriff der Außenwelt
) ihr Material (ontologische Naturordnung). Außer-
j dem haben die Dinge und Menschen ein angeborenes
j Streben nach ihrer eigentlichen Vollkommenheit hin;
diese (teleologische) Naturordnung ist gleichfalls normativ
. Aber das ewige Gesetz gelangt in diesen Strebungen
nur unvollkommen zur Geltung; vollkommen
I nur in der Vernunft des Menschen. Friedrich Wagner-
j Breslau bemüht sich in seiner Untersuchung zum Pro-
I blem der Sittennorm den thomistischen Standpunkt
mit der modernen Ethik zu verbinden. Norm des sitt-
| liehen Handelns ist für ihn die Schöpfung und speziell
die menschliche Natur, weil in ihr sich das göttliche
Ebenbild spiegelt. Kriterium rechten Handelns ist für
den Menschen sein wahrer Nutzen, d. h. der seiner
i gesamten Natur und nicht nur ihrer Teile. Dabei soll