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Ausgabe:

1932 Nr. 5

Spalte:

106

Autor/Hrsg.:

Hajdu, Helga

Titel/Untertitel:

Lesen und Schreiben im Spätmittelalter 1932

Rezensent:

Hessel, A.

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105

Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 5.

106

richtig verstehen kann, so lange man in römischen Vorurteilen befangen
ist. Was übrigens den Streit Viktors mit den Kleinasiaten betrifft (S. 217),
so weist Salvatorelli in einem Aufsatz im Athenaeum vom Juli 1920,
der mir nicht zugänglich ist, den er aber bei der Besprechung von
Caspars Gesch. d. Papsttums Bd. I (in den Ricerche Relig. 1931, N. 4,
S. 357) anführt, mit Recht darauf hin, dal! es im Altertum neben der
Exkommunikation durch Richterspruch auch eine zweite Art von Exkommunikation
gab: „la denunzia, il rifiuto di commnnione, da pari a
pari, e perfino da inferiore a superiore", und daß der Bann Viktors
gegen die Kleinasiaten zu dieser zweiten Art gehört habe. Jedenfalls
verstanden ihn so die Bischöfe, die nach Eusebius (V, 24, 10) den römischen
Amtsgenossen ermahnten tu. Ttjs Fipipn]? xcu xi|s Jtp&s xoijg
3i?.t]oiov eviäöFo'jc t£ xcü üyüsvnc, tpfjovelv. — S. 24b A. 388 führt
K., wie das gewöhnlich geschieht, Euseb. V, 24, 15 als Beleg dafür an,
daß die Bischöfe zum Zeichen der Gemeinschaft einander die Eucharistie
zugesandt hätten. Nun hat aber, wenn ich mich nicht täusche, Giorgio
La Piana irgendwo — ich kann den Ort augenblicklich nicht finden
— die Vermutung geäußert, die Päpste hätten die Eucharistie nicht
nach auswärts, sondern den römischen stationes fremder Christen zugesandt
, und die Wendung toüc, (tax 6 xdVv jiapoiximv tTjocikllV scheint
mir dafür zu sprechen. — S. 282 heißt es, Zephyrin habe den Kallist
„mit der Leitung des Klerus" betraut, was aber das o/crv icpöc, xfrv
xaxuoxaoiv xoü xLi'ipou bei Hippolyt Refut. IX, 12,4 nicht bedeutet,
siehe ZNW 1916, S. 21 lf. — S. 284 u. 295 läßt K. den Papst Fabian
bei Beginn der decischen Verfolgung hingerichtet werden. Daß dies
nicht der Fall gewesen sein kann, glaube ich in der Internat, kirchl.
Ztschr. 1920, S. 234 f. nachgewiesen zu haben. Es kann auch keine
Rede davon sein, daß „gegen die Bischöfe gleich anfangs die Todesstrafe
bestimmt" gewesen sei, da die klaren Aussagen Cyprians anders
lauten. Ähnlich wurde ja auch Kornelius später als Märtyrer verehrt
, obwohl er nicht hingerichtet wurde, sondern in der Verbannung
starb. — S. 295 wird unrichtigerweise zwischen übeUatid und acta facicntes
unterschieden, siehe meine Cypr. Unterss. S. 153 A. 8. — Zu S. 308:
Die Schrift De cibis Judaicis verfaßte Novatian nicht während der decischen
Verfolgung, sondern später als Geger.bischof, und die „einzelnen"
von den Briefen des römischen Klerus, die von Novatian stammen, sind
die beiden Epp. 30 u. 36 (Übrigens hat L. Wohleb in der Rom. Chr. Sehr.
1929, S. 171 f. A. 1, aber nicht mit Recht, die Gewißheit sogar bei
Ep. 30 bestritten", vgl. dagegen Caspar, Papsttum I, S. 65 A. 2). —
S. 309 behauptet K., daß die Vollmacht der Kirche, die Kapitalsünder
wieder aufzunehmen, festgestanden habe - Cyprian sagt aber in Tcstim.
III, 28 noch : non passe in ecclesia remitti ei, qui in Deum deliquerit. — Ob
Papst Stephan den Bischof Marcian von Arles wirklich abgesetzt habe
(S. 312), wissen wir nicht, sondern nur, daß Cyprian ihn dazu aufforderte
, und es ist sogar sehr fraglich, ob Stephan dieser Aufforderung
nachgekommen sei. — Von einem „großen Ansehen", das die Synode
von Sardica genossen hätte (S. 481), kann so allgemein nicht die Rede
sein. — Zu S. 589 A. 94: bei Aug. de civ. Dei 22, 13 steht nichts
von einem „geistigen Tod". — Die Ausführungen S. 595f. über Vorherwissen
und Vorherbestimmung nach Auguslin entsprechen nicht seiner
wirklichen Lehre, und ein Augustinkenner, wie der verstorbene Benediktiner
P. Rottmanner hätte hier entschieden widersprochen, vgl. jetzt
auch E. Krebs, St. Augustin 1930, S. 166 ff. - S. 763 taucht auf einmal
die letzte Ölung auf, und es wird sofort ihr Ritus erwähnt, während
auf die ersten Zeugnisse für ihr Bestehen nur in der Anmerkung kurz
hingewiesen wird.

München. Hugo Koch.

Gut mann, Felix: Die Wahlanzeigen der Päpste bis zum Ende
der avignonesischen Zeit. Marburg: N. G. Elwert 1931. (XV, 94 S.)
gr. 8° = Marburger Stud. z. ält. deutsch. Gesch., hrsg. v. E. Stengel, II.
R., 3. Hft. RM 6—.

Die aus Stengels Schule hervorgegangene sorgfältige
Arbeit sammelt und untersucht „diejenigen Schreiben
der Kurie, mit denen sich die gewählten oder geweihten
Päpste Persönlichkeiten und Behörden der
christlichen Welt als die neuen Inhaber des Stuhles
Petri vorzustellen pflegten". Verf. verbindet eine Reihe
wertvoller Einzelbeobachiungen mit einer brauchbaren
Oesamtübersicht. Vielleicht wäre es vorteilhaft gewesen,
beim Gruppieren des Materials die Hauptprobleme:
Form, Inhalt und rechtliche Bedeutung der Schreiben,
noch deutlicher hervortreten zu lassen. Ferner hätte ich
gewünscht, daß statt der einfachen Kapitelfolge zwei
Abschnitte einander gegenübergestellt worden wären,
1. die Epoche, da die Päpste sich in Abhängigkeit von
den byzantinischen, dann von den abendländischen Herrschern
befanden, 2. die Frühzeit und die Jahrhunderte
nach der Reform, da sie aus freier Wahl hervorgingen.
Denn nur vor und nach der ersten Periode gab es Wahlanzeigen
in eigentlichem Sinne. Dieselben entwickelten
sich seit der Wahlordnung von 1059 schrittweise bis

i Alexander III. hin zu einem festgegliederten Typus.

Im 13. und 14. Jahrhundert wurde es üblich, neben der
allgemeinen Enzyklika noch Einzelpersonen besondere
Nachricht zukommen zu lassen. Hier von offiziellen
und offiziösen Schreiben zu sprechen, scheint mir irreführend
. Schade, daß Q. den 1. Band von Caspars
Papstgeschichte nicht mehr benutzen konnte. Auch ältere
Literatur vermißt man gelegentlich, z. B. bei Born*

■ faz VIII. Beckmanns Untersuchung im Neuen Archiv

j 32, 493. Doch wird dadurch der Wert der Arbeit nicht

: wesentlich beeinträchtigt.

Göttingen. a. Hessel.

1 Hajdu, Helga: Lesen und Schreiben im Spätmittelalter.

Pecs-Fünfkirchen: Verlagsanstalt Danubia 1931. (64 S.) gr. 8° =
Specimina Dissertatiomim facultatis pbilosophicae Regiae Hungaricae
Universitatis Elisabetliinae Quinqueecclesiensis. Schriften a. d. Dtsch.

I Institut, 1. RM 2-.

Ein interessantes Thema: Die Emanzipation des
Laientums während des ausgehenden Mittelalters, wie
sie im volkstümlichen Lesen und Schreiben ihren Aus-
druck findet. Gesprochen wird von den Katharern und
Waldensern, den Franziskanern und der Mystik, den

i Brüdern vom gemeinsamen Leben (mit Recht besonders
ausführlich) und den Hussiten. H. behandelt vorwiegend
die religiösen Antriebe, während sie die übrigen mitwirkenden
geistigen Faktoren und die wirtschaftlichsozialen
Voraussetzungen nur streift. Auch bleibt die
Entwicklungslinie etwas verschwommen, weil der Blick
der Verf. hauptsächlich auf das deutsche Reich gerichtet
ist, obwohl es sich um eine Angelegenheit des ganzen
Abendlandes handelt. Mehr anhangsweise werden die
Formen der Schriftlichkeit (Lesen, Schreiben, Buch)
skizziert.

Göttingen. A. H es sei.

I Schmaus, Prof. Dr. Michael: Der Liber Propugnatorius des
Thomas Anglicus und die Lehrunterschiede zwischen Thomas
von Aquin und Duns Scotus. II. Tl.: Die Militärischen
Lelirdiffererizen. I. Bd.: Systematische Darstellung und historische
Würdigung. II. Bd.: Anhang, Texte. Münster i. W.: Aschendorff
1930. (XXVII, 666 u. III, 334* S.) gr. 8°. = Beitr. z. Gesch. d. Philos.
u. Theol. d. Mittelalters. Texte u. Unters, begr. v. C. Baeumker in
Verb. m. F. Ehrle u. a. hrsg. v. M. Grabmann, Bd. XXIX, 1. u. 2.
Halbbd. RM 45.50.

In der Scholastik des späten Mittelalters sind die
Hauptprobleme der alten Dogmatik: Trinitätslehre und
Christologie durch die erkenntnistheoretischen und sote-
riologischen Etörterungen in den Hintergrund gedrängt
worden. Das heißt aber nicht, daß sie keine Roile mehr
gespielt hätten; sie traten nur in der für den Gang der
Entwicklung entscheidenden Auseinandersetzung sehr
stark zurück. Die großen dogmengeschichtlichen Darstellungen
gehen denn auch über die trinitarischen Lehrdifferenzen
im 14. und 15. Jahrh. im großen und ganzen
hinweg. Das hat jedoch nicht zum wenigsten darin seinen
Grund, daß die Spätscholastik von der Einzelforschung
bisher recht stiefmütterlich behandelt worden ist
und die große Masse des Materials nur handschriftlich
vorhanden und daher schwer zugänglich ist.

Umso dankenswerter ist es, daß der durch seine
Arbeit über die Trinitätslehre Augustins bereits vorbereitete
Präger Scholastikforscher Sch. sich mit große n
Fleiß und erstaunlicher Ausdauer daran gemacht hat, in
einer kaum zu überbietenden Vollständigkeit das wichtigste
handschriftliche Material darüber zusammenzutragen
, was in den beiden letzten Jahrhunderten der Scholastik
über die Trinität gelehrt worden ist. Daß er
dabei zu keinen Aufsehen erregenden Ergebnissen kommt,
ist in der Sache begründet und darum nicht verwunderlich
. Dennoch hat er in dem vorliegenden dicken Band
und dem nicht minder bedeutsamen Anhang ein Material
| vorgelegt, das uns gestattet, die Mannigfaltigkeit der
I Schulunterschiede, die außerordentliche Differenziertheit
] der Problemstellung, die Überspitzung der Formulie-
l rungen und schließlich den oft fruchtlosen Formalismus
I der wissenschaftlichen Diskussion der Spätscholastik an