Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1932 Nr. 3

Spalte:

68-71

Autor/Hrsg.:

Kirn, Otto

Titel/Untertitel:

Grundriß der Evangelischen Dogmatik. 8. Aufl 1932

Rezensent:

Schulze, Martin

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

67

Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 3.

68

deutschen Einwanderung in Brasilien von 1807—1859
auf Grund einer umfangreichen Literatur, gründlicher
brasilianischer Quellenforschung und vielfachen Studiums
reichsdeutscher Archive dar. Einen Einschnitt macht
er mit dem Jahre 1848, berechtigterweise insofern, als
mit der damals beginnenden Einwanderung der früheren
Schleswig - holsteinischen Soldaten, der sogenannten
„Brummer" ein ganz neues Element in die brasildeutsche
Geschichte tritt. Sehr, druckt kaiserliche Verfügungen
, Gesetze, Koloniestatuten usw. ab und gibt für
die einzelnen Kolonien kurze statistische Zusammenstellungen
. Das Kulturgeschichtliche und namentlich das
Kirchengeschichtliche tritt über Erwarten, ja über Gebühr
in den Hintergrund. Großen Raum nehmen die
Probleme der Sklaverei und der Anwerbung von Kolonisten
und Soldaten ein; ebenso gibt Sehr, eine statistische
Übersicht der deutschen Legion von 1851.

Das kulturelle und geistige Niveau der deutschen
Einwanderer bis 1848 (S. 57—59) ist kurz als sehr
flach und materialistisch zu bezeichnen; es wird zwar
in den folgenden Jahren etwas reger, aber der Materialismus
treibt groteske Blüten. Sehr, setzt sich mit Karl
v. Koseritz (geb. 1832, seit 1856 Herausgeber des
„Noticiador" gest. 1896) auseinander, dessen Einfluß
auf die kirchliche Entwicklung nicht ganz so verheerend
gewesen zu sein scheint, wie Rotermund behauptete.

Das außerordentlich anregende Buch Schröders
läßt Wünsche lebendig werden nach einer ausführlichen
Darstellung 1. des Eherechts in Brasilien; 2. der Beziehungen
zwischen nationaler Bewegung und Auswanderung
(Preußen suchte die Auswanderungen nach Brasilien
im Interesse seiner Landeskinder 1849 gesetzlich
einzuschränken) und 3. der nationalen Mindestforderungen
an die Missionstätigkeit. Auch das Kapitel
Pseudopfarrer ist hier nur angedeutet; Koseritz hat
noch keine erschöpfende Biographie gefunden.

Leipzig. Otto Lerche.

Nagel, O. F.: Eine heilige christliche Kirche. Mitteilgn. a. d.
Geschichte d. Evangel. Allianz. Bad Blankenburg-Thür.: Verlag
Harfe [1931]. (223 S.) 8°. RM 3.50; geb. 4.25.

Man möchte annehmen, daß in die ökumenische Bewegung
der Gegenwart auch starke Strömungen aus dem
Allianzgedanken eingemündet sind. Stimmungsgemäß ist
das vielleicht richtig, aber systematisch ist daran festzuhalten
, daß mit den Namen Lausanne und Stockholm
Marksteine für die Einigung der Kirchen gesetzt sind,
während der alte „Evangelische Bund" von 1845/46
(Liverpool-London) eine Sammlung der Gläubigen
erstrebte.

Die Geschichte der Evangelischen Allianz ist bisher
nicht wissenschaftlich gründlich dargestellt. Die Artikel
in unseren fachwissenschaftlichen Enzyklopädien und
die Abschnitte in den einschlägigen Handbüchern zeichnen
sich in ihrer Darstellung und in ihrer übereinstimmend
ablehnenden Kritik nicht sehr durch Reichhaltigkeit
und eigene Gedanken aus. Die Wissenschaft hat,
wie die evangelische Allianz so auch andre pietistische
Strömungen nicht beachtet. Von der bemerkenswerten
Tagung der Evangelischen Allianz in Florenz 1891 —
bemerkenswert insbesondere wegen Aufnahme von Beziehungen
zu den Waldensern — sagt der Sekretär des
deutschen Zweiges:

Man hat bedauert, daß Vertreter deutscher Universitäten fehlten.
Mit Recht. Ich bedaure es gleichfalls. Aber wenn sie nicht wollen,
was kann man tun ? Vergessen wir nicht, daß auch aus den andren
Nationen die große Mehrzahl der Vertreter Männer der Praxis waren.
Die Allianz ist ja nicht sowohl Sache des Katheders als des Lebens.
Dazu kommt, daß zur Zeit die deutschen Lehrstühle im Besitz des
Ritschlianismus stehen, der bei aller wissenschaftlichen Bedeutung doch
seiner Natur nach dem heiligen Pietismus der Allianz nicht gerecht
werden kann. Von Pietismus besaß Ritsehl nicht einen Faden noch
Schuhriemen. So sind auch seine Anhänger instinktiv der Allianz abhold
, während der Liberalismus sich bewußt von ihr lossagt.

Man darf sagen, daß das auch nach Überwindung
des Rifschlianismus nicht viel anders geworden ist. Es

wäre darum wünschenswert, wenn eine einwandfreie wissenschaftliche
Darstellung der Evangelischen Allianz in

| gelehrten Kreisen Eingang fände. Das Buch von Nagel,
das die Tagungen von Liverpool (1845), London (1846)
und Berlin (1857) sowie die Gründung der Anna von
Weling in Bad Blankenburg in den Mittelpunkt stellt
und nach einer Betrachtung der allgemeinen geistigen
Lage der Gegenwart im Eingange mit einer Schilderung
der Allianzarbeit und ihrer Stellung in der ökumenischen
Bewegung schließt, genügt den Ansprüchen der Wissenschaft
garnicht. Es ist wohl auch nicht für gelehrte

; Kreise bestimmt, würde aber da beim Fehlen jeder anderen
Zusammenfassung willkommen sein, wenn es trotz
seines volkstümlich schlichten Tones ernsthaft in der

j Zeitgeschichte gegründet wäre. Das ist aber nicht der
Fall. N. benutzt nur abgeleitete Quellen, aus denen er
mit großem Ungeschick zitiert. Wenn er es aber fertig

| bekommt, Friedrich Wilhelm IV. von Preußen mit Elisabeth
von Bevern (statt von Bayern) zu verbinden,
dann ist das mehr wie ein Druckfehler, von denen die
Zitate sonst wimmeln (Häußi statt Heussi, J. A. Wil-
kens statt C. A. Wilkens, Pfeilschiffer statt Pfeilschifter
S. 92. 104, 130 f., 191 f., 198 f. usf.). Der von N.

j falsch zitierte und vermutlich nicht gelesene Cornelius
August Wilkens war in seinem Independentismus der
typische Allianzmann; mehr wie die gedruckten Aus-

| züge aus seinen Tagebüchern (Otium Kalksburgense Bd.

j 1. 2. 1923, 28) beweisen das die handschriftlichen

1 Originale und der Briefwechsel. Die Bedeutung der
Evangelischen Allianz in Sachen Vandsburg wird über-

| schätzt (vgl. Theol. Lit. Zeitung 1931. Nr. 2).

Die umstrittenen neun Sätze des Allianzbekennt-

| nisses, die den Gedanken des Weltbundes in der Enge

I des Konventikels versanden lassen mußten, legen den

I Vergleich mit dem Gustav Adolf-Verein nahe, der sowohl
nach Liverpool wie nach London eingeladen, durch
Culling 1857 in Kassel warmherzig begrüßt, stets eine
bekenntnismäßige Festlegung ablehnte und bei dieser
Ablehnung blieb, während die Allianz ihren Mitgliedern
doch eine Consensus-Union zumutete, die z. B. Moltke
ablehnte. F. L. Mallet, der 1856 die Hauptversammlung
des Gustav Adolf-Vereins in Bremen mit dem Feuer
seines Geistes und seiner Liebe durchglühte, der mit der
Allianz 1857 im „teutschen" Rock vor Friedrich Wilhelm
IV. stand, war aus anderm Holz geschnitzt wie
etwa Merle d'Aubigne, der sein persönliches Bekenntnis
gemischt aus hartem Calvinismus, Genfer Evangelischer
Gesellschaft und Evangelischer Allianz dem Gustav
Adolf-Verein 1845 in Stuttgart aufzwingen wollte, freilich
vergeblich.

Wenn Karl v. Hase, der für den Gustav Adolf-

| Verein schließlich nur eine matte Ablehnung übrig hatte,
sich eingehend mit der Evangelischen Allianz auseinandersetzte
, so ist das Grund genug für eine erneute Erörterung
des Problems.
Leipzig. Otto Lerche.

Kirn, Prof. D. Otto: Grundriß der Evangelischen Dogmatik.

8. Aufl. Nach d. Tode d. Verf. hrsg. v. D. Dr. Hans Preuss.
Leipzig: A. Deichen 1930. (VI, 140 S.) gr. 8°. RM 4.80; geb. 6.40.

Wenn ein Grundriß der Dogmatik soviel Auflagen
erlebt, auch nach dem Tode des Verfassers noch wiederholt
herausgegeben werden kann, so muß schon etwas
daran sein. Diesen Eindruck gewinnt man auch immer
wieder, wenn man sich mit ihm beschäftigt.

K. schickt in üblicher Weise seinem „dogmatischen
System" (S. 48 ff.) eine „dogmatische Prinzipienlehre"
voraus (S. 8 ff.), in der er nach einander das Wesen der
christlichen Religion, die Grundlage des Christentums in
der göttlichen Offenbarung, die Quelle und Norm der
christlichen Glaubenslehre und den Erweis der Wahrheit
der christlichen Glaubenserkenntnis behandelt.

Das Wesen des Christentums wird im Zusammenhange
mit einem induktiv gewonnenen Allgemeinbe-
I griff der Religion bestimmt, der sich in der Linie des