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Ausgabe:

1932 Nr. 3

Spalte:

59-61

Autor/Hrsg.:

Hempel, Johannes

Titel/Untertitel:

Altes Testament und völkische Frage 1932

Rezensent:

Wendel, Adolf

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Theologische Literaturzeitung 1932 Nr. 3.

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siert, leider auch bei Jeremia geblieben sind. Obwohl
auch sie einleuchtend erscheinen müssen nach den Ausführungen
jenes Schriftchens, S. 8 —, die des Hebr. unkundige
Leserschaft hat es doch eben nicht zur Hand!
Diese Worte müssen auch anders gewertet werden als
etwa „Aberkönig" etc. Man hätte allenfalls am Ende
des Bandes die besonders schwer begreifbaren Wörter
verständlich machen müssen. Aber das paßte auch wieder
nicht zur Gesamttendenz des Werkes, das ja etwas
Herausforderndes und Befremdliches zeigen soll. Gewiß
ist der Versuch, das prophetische Erleben und seine im
Wortbild gegebene Deutung nahezurücken, wie er bei
Jer. 1, 11: npta bpa, übersetzt als „„Zeitigreg", vorliegt,
begrüßenswert, aber wer aus weiterem Leserkreis versteht
das Wort? Hätte man nicht etwa „Wachzweig"
sagen können? Von rmn, Jer. 30, 5, als „Scheuchnis",
nrrra, Jer. 2, 6, als „Schluft", muß ich wieder sagen:
Das geht einfach nicht! Selbst gegen den „harschen"
Wind (D-'Dtt) na nn) und gegen „abzuschwenden"
cnnxnb) habe ich Bedenken, obwohl sie nicht außerhalb
des deutschen Wortbildeschatzes liegen. Wenn nn ny
„wörtlich" wiedergegeben werden sollte, würde ich dem
gewählten „bis ganz wurde" vorziehen: „bis voll
wurde".

Ober-Breidenbach i. Hessen. Adolf Wendel.

Mein hold, Johannes: Das Alte Testament und evangelisches
Christentum. Gießen: A. Töpelmann 1931. (VIII, 147 S.) 8°.

RM 4.80; geb. 6—.

Hempei, Johannes: Altes Testament und völkische Frage.

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1931. (16 S.) 8°. = Erweit.
Sonderdr. a. d. Monatschrift f. Pastoraltheologie. RM —.75.

Gelegentlich meiner Besprechung von Martin Thilo:
„Der Kampf gegen das A. T.", 1931, in „Die Christliche
Welt", Nr. 11, 1931, hatte ich bedauernd festgestellt,
daß so wenig Verteidigungsliteratur für das A.T. von
berufener fachmännischer Seite hinsichtlich der neuesten
Angriffswellen zu verzeichnen sei. Nun sind in
unseren vorliegenden gleich 2 Schriften solcher Art erschienen
. Wohl hatte 1929 Eduard König ein Schriftchen
: „Die Wahrheit der alttest. Religion" erscheinen
lassen, aber es gehört seiner eigentlichen Zwecksetzung
nach nicht in unseren Rahmen, ist zudem für weitere
Kreise weniger geeignet und in seiner Problemstellung
schon nicht unanfechtbar. Bei jener Gegnerschaftswelle
vor etwa einem Jahrzehnt, die im Rahmen gelehrter Diskussion
durch die Namen Delitzsch und Harnack entfesselt
, aber weit in Volk und Kirche gedrungen war,
hatte die alttestamentliche Wissenschaft ein ganz ausgezeichnetes
Bollwerk aufgeworfen in der Schrift von
Ernst Sellin: „Das A.T. und die evangelische Kirche der
Gegenwart", 1921. Prägnant und packend hatte er
1. den Wert des A.T. in sich und 2. in den Augen
Jesu dargetan. Erwähnt darf auch noch Gunkels Schrift
von 1916 werden: „Was bleibt von A.T.?", die im
Wesentlichen vom literarhistorischen Standpunkt aus das
A.T. als Literaturwerk, Kunstwerk, Geschichtswerk, religiöses
Quellenwerk bewerten wollte. Es war bisher festzustellen
, daß eine Schrift mit solcher Hemm- und Gegenkraft
(wie die Sellins) gegen die neue Welle aus
dem Reich der Politik her (Ludendorff etc., Erbt und
die „Deutschkirche", auch noch Dinter) noch fehlte.
Man wird also mit Spannung die vorliegenden auf ihre
Wirkungskraft prüfen. Der eine ihrer Verfasser, Hempei
, hatte sich bereits 1926 in seiner Schrift: „Der alt-
testamentliche Gott, sein Gericht und sein Heil" zur
Frage geäußert; er bekundet sein starkes Interesse für
sie auch in seiner Broschüre: „Fort mit dem A.T.", 1931.

Das Buch von Mein hold nun, eines Seniors unserer Wissenschaft,
von dessen philosophischer Ehrenpromotion soeben die Blätter berichtet
haben, ist ähnlich angelegt wie das von Sellin. Er prüft teilweise das
A. T. an Hand von Behauptungen und Vorwürfen durch, teilweise
zeichnet er einfach die Quellen auf Tiefen und Höhen hin nach. Gelegentlich
sucht er selbst mögliche Angriffsflächen hervor und lehrt sie
begreifen. Falsche Methoden, Alttestamentliches zu stützen, werden im
ersten Teil bewußt abgelehnt; so jüdische und dialektisch-theologische

Beweisführungen, auch die Inspirationslehre. Beschönigungen und Halbheiten
werden verworfen. Die Kanonbildung nach den 3 Teilen des A. T.
wird besprochen (I.) In den nächsten 3 Teilen (I —IV) geht der Verf.
auf viele Einzelfragen, oft breit, ein, weithin einfach Weltanschauung
und Frömmigkeit des A.T. darstellend. Momente der „Rückständigkeit
des A.T." werden gezeigt im Rahmen der Nationalreligion, der Gottesvorstellung
u. des Priestertums. (II). „Die Weltanschauung Israels" wird
durchgeprüft nach den Gebieten: Schöpfung, Tod, Sünde, Stellung der
Frau. (III.) Sodann wird „Die Zukunftshoffnung" ins Auge gefaßt.
(IV.) Der letzte wichtigste Abschnitt des Buches (V), dem Umfang nach
etwa ein Drittel beanspruchend, stellt nun, z. T. rückschauend, „Das
Bleibende" zusammen. Er zeigt schön, wie gerade Israel „das" Volk
der Religion war, das von Stufe zu Stufe höher geführt wurde, bis die
Fesseln der Nationalreligion fielen. Führer bis zu jener Höhe vor Jesus,
bei der es seiner Aufgabe in der Weltgeschichte enthoben werden konnte,
sind: Arnos, Hosea, Jesaia, der Deuteronomist, Jeremia, Deuterojesaia,
Ezechiel u. a. Dieser Teil geht nach den zwei Richtungen vor: 1. Das
A. T. als Urkunde der Offenbarungsreligion; 2. Das A. T. als heilige
Schrift des Christen.

Die Bedeutung der Schrift scheint mir nun darin
zu liegen, daß hier in überaus ruhig-abgeklärtem,
sachlichen Tone ein Nachschlagbuch für das Verständnis
so ziemlich aller angrifflichen Stellen und Fragen des
A.T. gegeben wird. Man möchte hinzufügen: Für alle,
die auch lernen „wollen" unter denen wieder zumal die,
welche noch nicht „verrannt" sind, sondern angefochten
und unruhig geworden, in besonnener Weise Klarheit
suchen möchten. Da — mit Recht — wenig, sehr wenig
vorausgesetzt wird, läßt das Buch auch den Laien bequem
folgen und versteht so gründlich zu überzeugen,
daß er sich ihm nicht wird entziehen können. Gerade
die Tatsache, daß es der Streitsphäre entrückt ist, weithin
verteidigt, indem es einfach darstellt, sorgfältig
detailliert, langsam abwägt und lose aneinanderreiht,
macht es allerdings schwer vorstellbar, daß der schlagwortgewohnte
und unruhige Gegner auf all die verschlungenen
Pfade der Fachwissenschaft wird folgen
wollen. Dagegen scheint auch der geschickte und oft
dialoghafte Stil kein genügendes Gegengewicht. Die
Schrift ist zu ausführlich, um in eine aktuelle Diskussion
durchschlagkräftig einzugreifen. Könnte doch Vieles auch
unter anderem Titel erörtert sein! Man fühlte sich gewiß
verpflichtet, die wichtigsten Seiten und Aussagen
anzustreichen, wenn man das Buch etwa weitergäbe.
Aber diese Feststellungen kämen ja eher einer Kritik
unseres Zeitgeistes als einer solchen des M.'sehen Buches
gleich. Man kann es eben mit Gewinn nicht durch-
! fliegen, man kann es nur studieren. Dann erzieht es
| zum Blick für Unterschiede der Höhenlage, belehrt über
die Hauptergebnisse der alttest. Wissenschaft in ihrer
Bedeutung für die Kirche. Das alles geschieht in pädagogisch
geschickter Form und mit gründlicher Gelehrsamkeit
. Eine gewisse Wärme erhält die Schrift dadurch
, daß der Verf. in teilnehmender Fühlung mit dem
kirchl. u. volklichen Leben der Gegenwart steht, wie man
immer wieder fühlen kann. Besonders bedeutsam und
j gewiß auch dem Gegner zu denken gebend sind die
Stellen, welche nachweisen: Was man am A.T. be-
kämpft, ist ja gerade die Triebkraft des eigenen Kampfes
und Hasses: Der Rassenstolz. Vom „deutschen Glau-
I ben" heißt es sehr gut auf S. 147: „Ein wunderlicher
| Judaismus, der den „Judaismus" bekämpfen will". Auch
dessen Aufzeigung im Katholizismus (S. 56 f.) wird
übrigens zu denken geben! Nur beiläufig sei noch ge-
j sagt, daß der Titel der Schrift nicht ganz glücklich gewählt
ist. Es wäre besser, entweder „Das" A.T. und
I „die" ev. K., oder aber „A.T." und „ev.K." zu sagen.

Hempei faßt das Problem da an, wo Christ und Kirche unmöglich
an ihm vorbeigehen können, bei der Missionsfrage: Ist die Übertragung
einer Religion von einer Rasse auf eine andere möglich ? So
wird der Ausgangspunkt aus seiner Einmaligkeit und Distanz gelöst.
Kurz gesagt: Hempei zeigt schlagfertig und überzeugend für den, der
ungetrübt noch sehen kann: Das A. T. stellt Religion über Volkstum,
die deutschvölkische Bewegung stellt Volkstum über Religion. Ähnlicherweise
hatte ja auch Meinhold, wie wir sahen, argumentiert. Was wir
christlicherseits — so zeigt Hempei — für die richtige Lösung der
Spannung zwischen Volkstum und Religion halten, auch wünschen, das
ist gerade im A. T. als Wirklichkeit vorhanden.